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# taz.de -- Grüne nach der Wahl in Bayern: Die melancholischen Sieger
> Die Grünen haben bei der Wahl im konservativen Bayern eine kleine
> Sensation hingelegt. Nun genießt die Partei die Siegesstimmung.
Bild: Bei der Pressekonferenz der Grünen sieht alles etwas improvisiert aus �…
München taz | Die Pressekonferenz läuft schon eine Weile, da sagt Ludwig
Hartmann ein paar Sätze, die das Dilemma der Grünen auf den Punkt bringen.
Wäre das nicht eine Chance gewesen, fragt er fast wehmütig. Eine
anstrengende zwar, aber eine lohnende? „Das Beste aus allen Welten
zusammenzubringen, das wäre eine spannende Aufgabe gewesen.“ Hartmann, der
Spitzenkandidat der bayerischen Grünen, redet über eine Koalition mit der
CSU.
Der Raum in der Münchner Grünen-Geschäftsstelle ist fast zu klein, um die
vielen Journalisten zu fassen. Alles wirkt ein bisschen improvisiert.
ReporterInnen kauern auf dem Boden, die Medienwand mit dem Parteilogo sieht
aus, als sei ein grünes Bettlaken über ein Holzgestell gehängt worden. Vorn
erklärt das Spitzenduo Hartmann und Katharina Schulze die Lage.
Was für eine Sensation: Die Grünen haben mit 17,5 Prozent ein Ergebnis
eingefahren, [1][das sie „historisch“ nennen]. Platz zwei hinter der CSU,
die SPD mit 9,7 Prozent weit abgeschlagen. So etwas gab es noch nie im
konservativsten aller Bundesländer, in dem Grüne lange als weltfremde Ökos
verschrien waren.
Doch in der Euphorie schwingt Bitterkeit mit. Denn die starken Grünen
sitzen hilflos auf der Zuschauerbank. CSU-Ministerpräsident Markus Söder
präferiert [2][ein Bündnis mit den Freien Wählern] – und macht daraus kein
Geheimnis.
## Mut besiegt Angst
Also wieder Opposition? Hartmann weicht aus. Die Grünen, verspricht er,
würden das Beste aus dem Ergebnis machen – „mit dem klaren Wunsch, dass es
eine andere Politik in Bayern geben wird“. Die Wahl habe eine Zeitenwende
eingeleitet: „Mut besiegt Angst.“ So sieht es auch Grünen-Chef Robert
Habeck in Berlin. Seiner Partei sei es gelungen, „ganz breit zu wirken“ und
über „enge Milieus“ hinaus Wähler zu gewinnen, sagt er.
In der Tat haben die Grünen in Bayern eine neue Mitte jenseits der
klassischen Lager begründet. Sie wuchsen laut Infratest dimap durch 200.000
WählerInnen, die der darbenden SPD den Rücken kehrten. Dieses rot-grüne
Wechselwählertum ist aus vielen Wahlen bekannt. Neu war: Auch von der CSU
liefen 170.000 Menschen zu den Grünen über – ebenso wie 140.000 vormalige
NichtwählerInnen. Die Grünen wirkten wie eine gesellschaftspolitische
Klammer, die Milieus verbindet.
Vor allem in den Städten hat die Ökopartei furios zugelegt. In Bayern gibt
es acht Großstädte mit über 100.000 Einwohnern. Die Grünen holten dort
teilweise über 20 Prozent. In München deklassierten sie die CSU geradezu.
Sie gewannen in der Hauptstadt fünf Direktmandate – und eines in Würzburg.
Im Stimmkreis 108, München-Schwabing, hat Christian Hierneis dem CSUler
Ludwig Spaenle das Direktmandat abgenommen. „Als ich mich beworben habe,
war das Direktmandat Fantasie“, sagt Hierneis. „Für mich als Grüner in
Bayern war das unvorstellbar.“
## Engagierter Pragmatismus
Den Erfolg erklärt sich Hierneis vor allem inhaltlich. „Viele Themen, die
den Menschen wichtig sind, haben die anderen Parteien nicht bearbeitet.
Mein Team und ich, wir machen Umwelt- und Naturschutz.“ Auch sei heute die
Parteibindung nicht mehr so stark. „Die Menschen wählen, was sie für
richtig halten.“
Als Mitglied einer NGO habe er mitbekommen, dass die Politik oft nicht mehr
auf die Bedürfnisse der Menschen eingehe. „Aber wir sind Volksvertreter.
Mein Ziel ist, dass auch die, die mich nicht gewählt haben, am Ende sagen:
So schlecht war er gar nicht.“ So klingt engagierter Pragmatismus.
Anton Hofreiter, Bayer und Chef der Bundestagsfraktion, frühstückt am
Montag im Café am Beethovenplatz. Frisch gepresster O-Saft und
Wurstsemmeln. Auch Hofreiter, der zum linken Parteiflügel gehört, sieht
eine Zeitenwende. „Zum ersten Mal seit Jahren hat der progressive Teil der
Gesellschaft damit begonnen, den Rechtsdrift zurückzukämpfen.“
Hofreiter erinnert an die Großdemos der vergangenen Monate. Proteste gegen
das CSU-Polizeigesetz in München, Ausgehetzt, die Unteilbar-Demo in Berlin.
„Diese Stimmung hat sich jetzt in Bayern manifestiert.“
## Und Schwarz-Grün?
Hofreiter war es, der vor Monaten das Ziel ausgab, die Grünen müssten die
führende Kraft der linken Mitte werden. Es gebe drei Achsen, an denen sich
Politik sortiere, sagt er: weltoffen und liberal versus illiberal. Links
und rechts in einem sozioökonomischen Sinne. Und ökologisch versus nicht
ökologisch. „Die Grünen sind auf allen drei Achsen klar positioniert“, sa…
Hofreiter. „Die anderen Parteien sind gespalten.“ Deshalb sei auch die SPD
so unter Druck.
Und Schwarz-Grün? „Söder sendet ja deutliche Signale, dass er ein ‚Weiter
so‘ will“, sagt Hofreiter. „Ich halte es für falsch, dass er den Auftrag
für einen Politikwechsel offenbar nicht annehmen will, kann es aber nicht
ändern.“
Innerhalb der bayerischen Grünen sind die Gefühle ambivalent. Manche hoffen
nach wie vor auf eine Regierungsbeteiligung – und auf gute
Sondierungsgespräche mit der CSU. Aber es gibt auch die Erleichterten, die
froh sind, dass dieser Kelch an ihnen vorbeizieht. Grüne-Jugend-Sprecherin
Ricarda Lang sagt zum Beispiel, progressive Veränderung sei mit der CSU
nicht zu machen. Die Grünen müssten eine klare Oppositionsstrategie fahren
und Bündnisse mit progressiven Kräften der Zivilgesellschaft suchen.
So wie es aussieht, bleibt den Grünen in Bayern nichts anderes übrig.
15 Oct 2018
## LINKS
[1] /Gruene-bei-der-Bayernwahl/!5542774
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## AUTOREN
Ulrich Schulte
Anett Selle
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