| # taz.de -- Grüne bei der Bayernwahl: Höhenwind bläst Grüne auf Platz 2 | |
| > Die Grünen bejubeln einen Sieg, den sie „historisch“ nennen. Doch ob sie | |
| > auch an die Macht kommen, ist äußerst zweifelhaft. | |
| Bild: Spitzenkandidatin Katharina Schulze freut sich | |
| München taz | Manchmal sieht man am Sommerhimmel ein Segelflugzeug enge | |
| Kreise ziehen. Der Pilot kreist im warmen Aufwind, der unter die Flügel | |
| greift und das Flugzeug höher und höher trägt. Den Grünen ist es bei dieser | |
| Landtagswahl so ergangen wie dem glücklichen Segler. | |
| Um die 19 Prozent, das ist nicht nur ein starkes Ergebnis, das ist eine | |
| Sensation. Die Grünen haben sich im Vergleich zur Wahl 2013 mehr als | |
| verdoppelt, und das ausgerechnet im konservativsten aller Bundesländer. | |
| Das Ziel, die SPD als führende Kraft der linken Mitte abzulösen, ist | |
| geschafft. Den Grünen und ihren Spitzenkandidaten Katharina Schulze und | |
| Ludwig Hartmann ist es gelungen, sich als Gegenentwurf zur kaltherzigen | |
| Söder-CSU zu präsentieren: modern, weltoffen, gut gelaunt. | |
| Als um 18 Uhr die ersten Prognosen auf den Fernsehbildschirmen erscheinen, | |
| brandet Jubel auf im Saal 1 des Maximilianeums. Böller explodieren, grünes | |
| Glitzerlametta fliegt durch die Luft. Hartmann und Schulze schieben sich | |
| durch die Menge, auch Robert Habeck ist dabei, der aus Berlin angereiste | |
| Grünen-Chef. Schulze legt auf der Bühne eine Hand aufs Herz. | |
| ## Grünes Klischee abgeräumt | |
| Die Grünen hätten alle drei Wahlziele erreicht, sagt sie. Sie seien | |
| zweistellig geworden, sie hätten Platz Zwei geschafft. „Und wir haben | |
| gesagt, am 14. Oktober ist endlich die absolute Mehrheit der CSU | |
| Geschichte.“ Wieder Jubel. Das Ergebnis, ruft Schulze, sei „historisch“. | |
| Es gibt viele Gründe für den grünen Erfolg. Zum einen setzte die Partei | |
| konsequent auf Personalisierung. Schulze und Hartmann räumten das von | |
| CSUlern verbreitete Klischee ab, Grünen seien arrogante Großstädter mit | |
| Faible fürs Gendersternchen. | |
| Besonders Schulze avancierte zu einer Art Shooting Star. Klug | |
| argumentierend und unermüdlich lächelnd zertrümmerte sie die Glaswand | |
| zwischen Grünen auf der einen und Bierzelten, Trachtenvereinen und | |
| Kirchenvorständen auf der anderen Seite. | |
| Es gab früh Anzeichen dafür, dass die Themen der Grünen im modernen, | |
| diversen Bayern gut ankommen. Viele Landwirte haben keine Lust mehr auf den | |
| „Mehr Ertrag mit mehr Pestiziden“-Irrsinn. Viele Pendler auf dem Dorf | |
| ärgern sich über die autofixierte Verkehrspolitik der CSU. | |
| ## Moderner Instagram-Wahlkampf | |
| Gegen das repressive Polizeiaufgabengesetz gingen im Mai 30.000 Menschen in | |
| München auf die Straße, zu Demos gegen rechte Hetze kamen ebenfalls | |
| Zehntausende. | |
| Natürlich profitierten die Grünen auch von der Schwäche der anderen. Sie | |
| saugten rot-grüne Wechselwähler von der marginalisierten SPD ebenso ab wie | |
| frustrierte Konservative. Aber sie haben eben auch einen hochmodernen | |
| Wahlkampf hingelegt. | |
| Schulze und Hartmann posteten und twitterten, was das Zeug hält. Selbst aus | |
| kleinsten Terminen extrahierte das grüne PR-Team instagramfähige Bilder. | |
| Hartmann und Habeck besuchen einen Biohof in Eurasburg? Das | |
| Schwarz-Weiß-Foto sah aus wie ein Poster für einen Film noir-Klassiger. | |
| Die letzten 40 Stunden des Endspurts wurden live mit der Kamera übertragen. | |
| Hartmann und Schulze bei der Großveranstaltung, in der Kneipe, an der | |
| Haustür – Politik zum Miterleben. | |
| ## Mehrheit wünscht sich schwarz-grün | |
| Diesen Schwung konnte auch ein Patzer von Habeck auf den letzten Metern | |
| nicht stoppen, der dem CSU-regierten Bayern auf Twitter absprach, eine | |
| Demokratie zu sein – und sich wenig später dafür entschuldigte. Es war | |
| einer der wenigen Fehler, die den Grünen im Wahlkampf passierten. | |
| Vor Sonntag haben sie kein Geheimnis daraus gemacht, regieren zu wollen. | |
| Ihre Wähler, sagten Hartmann und Schule bei jeder Gelegenheit, wollten sie | |
| gestalten sehen. Wird das was? Welche Koalition Bayern künftig regieren | |
| wird, war am Sonntag bei Redaktionsschluss noch nicht absehbar. | |
| Klar ist: Für ein schwarz-grünes Bündnis würde es dicke reichen. Viele | |
| Bayern würden diese Koalition laut Umfragen sogar bevorzugen. | |
| Die Hürden wären hoch, aber nicht unüberwindbar. Es gibt große | |
| Unterschiede, nicht nur in der Flüchtlingspolitik, sondern auch in der | |
| Umwelt- oder Verkehrspolitik. Außerdem sind die Grünen für viele | |
| CSU-Funktionäre immer noch der Gottseibeiuns. | |
| ## Initiative liegt bei CSU | |
| Andererseits werden die heiklen Fragen zur Migration in Berlin entschieden. | |
| Und ein Zweierbündnis ist stabiler als eine Dreiervariante, die | |
| CSU-Ministerpräsident Markus Söder mühsam ausbalancieren müsste. Nicht | |
| zuletzt können alle Beteiligten, von Söder bis Schulze, sehr pragmatisch | |
| sein, wenn sie wollen. | |
| Im Maximilianeum blocken die Grünen solche Fragen erstmal ab. Sie wissen, | |
| dass die Initiative trotz allem bei der CSU liegt – und Söder könnte | |
| konservative Varianten, etwa mit Freien Wählern oder der FDP bevorzugen. | |
| Jetzt werde gefeiert, sagt Anton Hofreiter, Bayer und Chef der | |
| Bundestagsfraktion. Alles weitere sei „reine Spekulation“. Der warme | |
| Aufwind könnte die Grünen durchaus wieder auf die Oppositionsbank tragen. | |
| 14 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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