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# taz.de -- Kommentar Fahrverbot für Dieselautos: Autobann statt Autowahn
> Ein bisschen Straßen sperren reicht nicht: Wir brauchen endlich die
> autofreie Stadt. Das geht – und es gibt fast nur Gewinner.
Bild: Wie wollen wir in unseren Städten leben?
Das Berliner Verwaltungsgericht hat [1][in der vergangenen Woche
Fahrverbote für Dieselautos] auf Abschnitten von acht Straßen in der
Hauptstadt verkündet, auch Gerichte in Frankfurt am Main und Hamburg haben
einen punktuellen Dieselbann verhängt. Das gab eine enorme öffentliche
Aufregung – dabei sind die angedrohten Maßnahmen nicht mehr als eine
hilflose Geste. Weder die Umwelt- noch die Verkehrskrise in deutschen
Innenstädten lässt sich so lösen. Dazu braucht es eine dramatische Wende:
die autofreie Innenstadt.
Auf den Straßen herrscht Krieg. Seit Stadtplaner in den 1960er/70er Jahren
der autogerechten Stadt den Vorzug gaben, haben Fahrzeuge den öffentlichen
Raum erobert, Schnellstraßen reißen Schneisen in Städte, parkende Wagen
besetzen Gelände, das der Allgemeinheit fehlt. Wie Panzer wälzen sich
Schwerlaster durch die Straßen, Kleinwagen preschen überraschend hervor,
FußgängerInnen und RadfahrerInnen müssen stets auf der Hut sein.
Nahezu jede und jeder weiß von einem Menschen, der bei einem Verkehrsunfall
schwer verunglückt oder ums Leben gekommen ist. Allein im Jahr 2017 sind
3.177 [2][Menschen bei einem Verkehrsunfall] getötet worden. Zehntausende
sterben in Deutschland nach Angaben der EU aufgrund der zu hohen
Feinstaubbelastung vorzeitig.
In jeder Woche sterben zwei RadfahrerInnen bei einem Unfall auf deutschen
Straßen, fast 80.000 wurden verletzt. Die Zahl der Verkehrstoten geht
leicht zurück – bei den Autofahrern und FußgängerInnen. Aber immer noch
sind mehr als ein Drittel der Verkehrstoten in Städten zu Fuß unterwegs
gewesen. In den Innenstädten kann diese Gefahr gebannt werden: indem Autos
und Laster hier nicht mehr fahren dürfen.
## Zahlreiche Vorbilder gibt es bereits
Das ist nicht so utopisch, wie es die Autolobby glauben machen will. Auch
Lieferketten können ökologisch organisiert werden. Es ist kein Naturgesetz,
dass der riesige Laster aus dem weit entfernten Lagerzentrum kommen muss
und mit laufendem Motor vorm Supermarkt steht. Auch Lebensmittel können auf
der Schiene bis in Städte transportiert werden und dann in kleinen
Einheiten verteilt werden. Dazu müsste die Bahn allerdings aufhören, ihre
Güterbahnhöfe in den Großstädten abzubauen.
Wer privat etwas in Innenstädte transportieren muss, kann das mit
Miet-E-Lastenrädern oder – etwa bei Umzügen mit Ausnahmegenehmigung – mit
E-Lkws. Alle anderen fahren mit dem Rad, dem E-Bike oder öffentlichen
Verkehrsmitteln.
Und ja, das geht. Oslo will ab dem kommenden Jahr autofrei sein. Hunderte
Parkplätze sind bereits verschwunden. Die Stadt baut ihre Radwege um 60
Kilometer aus, fördert E-Bikes und erweitert den öffentlichen Nahverkehr.
Helsinki will bis 2025 eine Infrastruktur schaffen, die private Autos
überflüssig macht. Dort wird eine App entwickelt, mit der BürgerInnen
Verkehrsmittel anfordern können. Schon jetzt gibt es mehr als ein Dutzend
Linien in der Innenstadt, auf denen BürgerInnen den Bus rufen können. Wie
praktisch: Der öffentliche Bus holt einen da ab, wo man gerade steht. Das
ist etwas teurer als ein herkömmlicher Bus, aber billiger als ein Taxi. Für
Menschen mit Handicap ist das ideal.
## In Deutschland wird noch viel kleiner gedacht
Viele Städte wie Paris oder Bologna experimentieren mit autofreien Tagen,
andere beschränken Fahrten von bestimmten Autos zu bestimmten Zeiten oder
verlangen eine Gebühr für Fahrzeuge, die ins Zentrum wollen. Eine Citymaut
hat allerdings einen unschönen Effekt: Die Wohlhabenden können bequem in
die Innenstadt, ärmere AutofahrerInnen bleiben draußen.
In Deutschland wird noch viel kleiner gedacht. Dabei gibt es auch
hierzulande eine Menge Leute, die sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik
oder professionell in der Wissenschaft mit solchen Fragen beschäftigen. Es
gibt Inselprojekte wie die autofreie Siedlung in Köln-Nippes, den
Vorschlag, den Stadtteil Wuppertal-Elberfeld bis 2030 autofrei umzubauen,
wunderschöne Radstraßen in Konstanz und vieles mehr.
Auf Kongressen diskutieren AktivistInnen, PolitikerInnen und ForscherInnen
engagiert über Konzepte für ein Leben ohne Autos. An guten Ideen mangelt es
nicht. Aber: Bei der Finanzierung von Verkehrsprojekten wird das Auto immer
noch bevorzugt. Die EntscheiderInnen in Verwaltungen und Ministerien lassen
allenfalls Alibiprojekte wie schönere Radwege zu. Aber echte Alternativen
zum Privatmotor? Fehlanzeige.
## Kostenfreier, statt privatisierter Nahverkehr
Bund und Länder kümmern sich akribisch um jedes Detailproblem der
Autobranche. Wie man ohne eigenen Wagen von A nach B kommt, ist aber egal.
Statt den Nahverkehr auf Zack zu bringen, wird er großflächig privatisiert.
Das macht ihn nicht besser. Weder Bund noch Landesregierungen unterstützen
den Aufbruch in eine autofreie Zukunft – und die muss in den Städten
beginnen.
Die Dieselkrise hat immerhin neue Impulse in die Verkehrspolitik gebracht.
Das zeigte etwa die Initiative der Bundesregierung im Februar, in
ausgewählten Städten kostenlosen Nahverkehr auszuprobieren. Das war zwar
nur ein halb garer Versuch, und die Bundesregierung ist schnell wieder
zurückgerudert – aber plötzlich wurde sichtbar, was für eine erstaunliche
Dynamik sich entwickeln kann. Wenn der politische Wille da ist, kann die
autofreie Stadt schnell kommen.
In vielen deutschen Kommunen gibt es Initiativen für fahrscheinlose Busse
und Bahnen als kostenloses oder von den BürgerInnen mit einer Abgabe
finanziertes Modell. Im estnischen Tallinn oder im französischen Aubagne
gibt es bereits kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Das ist der richtige
Weg.
## Mehr Mobilität, auch auf dem Land
Das [3][E-Auto löst im Übrigen nur einen Teil der Probleme], es ist leiser
und nicht so umweltschädlich. Aber es braucht genauso viel Platz und
verdrängt damit andere Verkehrsteilnehmer. Es bringt auch neue
Unfallgefahren für FußgängerInnen und RadfahrerInnen, weil es nicht zu
hören ist. Diesel- und Benzinautos durch sie zu ersetzen ist keine Lösung.
Für Fahrten zwischen Orten mögen sie gut sein – aber auch da muss der
Verkehr drastisch reduziert werden.
Wenn in den Staus auf den Autobahnen im Ruhrgebiet elektrische statt
herkömmlicher Fahrzeuge stehen, ist das fürs Klima besser, aber nicht für
die Mobilität. Erst wenn es flexible Angebote auch auf dem Land und in
Kleinstädten gibt, gerade für Ältere, Familien mit Kindern und Menschen mit
Handicap, werden auch dort mehr Menschen auf ein Auto verzichten können.
Anders als in Großstädten ist das heute in den meisten Regionen für viele
einfach nicht möglich, weil sie ihre Bewegungsfreiheit verlieren würden.
Was für ein Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt im 21.
Jahrhundert.
## Verödung der Innenstädte
In vielen Innenstädten sind Parkplätze knapp. Die Stadtverwaltungen
betreiben deshalb Parkraumbewirtschaftung mit irren Preisen. Die
BürgerInnen fühlen sich zu Recht abgezockt. Denn auf ihrem Rücken werden
die falschen Entscheidungen der StadtplanerInnen von vor einem halben
Jahrhundert ausgetragen.
Oft wehren sich gerade EinzelhändlerInnen gegen die Einschränkung des
Autoverkehrs. Ziemlich kurzsichtig. Denn es ist doch der Autoverkehr, der
die Innenstädte unattraktiv macht. Wer ewig im Stau steht, dann stundenlang
einen Parkplatz sucht, um schließlich im teuren Parkhaus das Auto
abzustellen, der oder die geht beim nächsten Mal lieber zum Einkaufszentrum
auf der grünen Wiese.
Oder kauft im Internet. Die Innenstädte veröden vielerorts, weil es keinen
Spaß macht, dort zu flanieren. Fußgängerzonen alleine machen die
autogeprägte Atmosphäre des Umfelds nicht wett, sind aber ein Anfang.
## Abgasfreies Spazieren
Die am meisten frequentierten Einkaufstraßen wie die Frankfurter Zeil oder
die Kölner Schildergasse sind Fußgängerzonen. In Zeiten des boomenden
Internethandels sollten HändlerInnen einen Autobann nicht als Angriff
empfinden. Es ist ein Chance, die Innenstädte wieder zu beleben.
Mehr getan werden muss auch für die FußgängerInnen. Zu Recht hat das
Umweltbundesamt gerade eine bundesweite Strategie zur Stärkung der
FußgängerInnen gefordert. Denn auch das ist Teil einer autofreien Stadt. Zu
laufen macht auch bei schönem Wetter vielerorts einfach keinen Spaß, weil
es zu laut, zu eng und die Luft zu dreckig ist.
Dabei können viele Strecken gut zu Fuß bewältigt werden. Innerhalb von
Städten sind nach Angaben des Umweltbundesamts ein Fünftel aller Wege, die
mit dem Auto zurückgelegt werden, kürzer als zwei Kilometer.
## Die Autoindustrie ist die einzige, die verliert
Autofreie Städte kennen freilich nicht nur GewinnerInnen. Ein Autoverbot
für Innenstädte schwächt die Autoindustrie. Einen Wagen zu kaufen würde
sehr viel unattraktiver werden. Die Absatzzahlen der Hersteller würden
sinken, und ja, das würde Arbeitsplätze kosten.
Das ist für die Beschäftigten schlimm, ihre Angst vor Arbeitsplatzverlust
muss man ernst nehmen. Aber die Angst vor Arbeitsplatzverlust in der
Autoindustrie ernst zu nehmen bedeutet eben nicht, es wie die
Bundesregierung zu machen und für die Konzerne jedes Hindernis aus dem Weg
zu räumen – nur damit deren Geschäftsmodell fortgesetzt werden kann.
Wer so vorgeht, verspielt die Zukunft der Menschen in dieser Branche, die
sich aus eigener Kraft ja offensichtlich nicht erneuern und modernisieren
kann. Für die Autowirtschaft gilt das Gleiche wie für die
Rüstungsindustrie: Die Konversion muss eingeleitet werden, also die
Umstellung auf eine zivile und menschenfreundlichere Produktion.
Nicht nur notorischen AutoliebhaberInnen erscheint der Verzicht auf ein
Auto ein hoher Preis. Aber es gibt viel zu gewinnen, auch für sie. Nach
einer britischen Studie verbringen AutofahrerInnen in Städten 106 Tage
ihres Lebens mit der Parkplatzsuche. Auch wenn es in Deutschland ein
bisschen weniger sein sollte – jede suchend verbrachte Stunde ist eine
verlorene.
Die autofreie Innenstadt ist nicht der Wunsch einer kleinen verschrobenen
Minderheit. Bei einer Umfrage der Aktion „Deutschland spricht“ waren 63,4
Prozent der Befragten dafür, mit 70 Prozent etwas mehr Frauen als Männer.
Autofreie Stadt, das bedeutet: entspanntes Bewegen zu Fuß oder per Rad und
somit weniger genervte und aggressive ZeitgenossInnen. Eltern müssen nicht
ständig Angst um ihr Kind haben, der Lärm nimmt ab, und viele Menschen
können besser schlafen und atmen.
In autofreien Innenstädten kann auch eine neue Form von Gemeinsamkeit
entstehen. Vielerorts gibt es kein regelmäßiges Miteinander, kein
gemeinsames Ballspielen der Kinder oder Fußballschauen der Erwachsenen vor
der Haustür – geht nicht, da fahren ja Autos, oder sie stehen dort.
Parkflächen fressen enorm viel Platz, den man für Besseres nutzen sollte,
fürs Spielen, Sporteln, Spaßhaben.
16 Oct 2018
## LINKS
[1] /Diesel-Fahrverbote-in-Berlins-Innenstadt/!5538476
[2] /Weltaktionstag-Ride-of-Silence/!5506335
[3] /Pro-und-Contra/!5528530
## AUTOREN
Anja Krüger
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