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# taz.de -- Debatte Verkehrspolitik: Deutschland im Stau
> Die Zukunft der Mobilität wird woanders gemacht: in Südostasien. Die
> deutsche Politik und Autoindustrie verschlafen die Modernisierung.
Bild: Die Autoindustrie würde entsetzt sein, zwänge die Politik sie zu echten…
Was soll eigentlich dieser Satz, die große Koalition müsse endlich zur
Sachpolitik zurückkehren? Sie macht doch Sachpolitik, ununterbrochen sogar.
Ist doch logisch, die Welt dreht sich weiter, Brüssel versucht, Politik zu
gestalten, da muss Schwarz-Rot notgedrungen mitmachen. Dieser Tage zum
Beispiel hat die Groko ganz sachpolitisch über die Grenzwerte für
Kohlendioxid entschieden, die Fahrzeuge der deutschen Autobauer künftig
ausstoßen dürfen. Sie hat sich, erwartungsgemäß, für niedrige Standards
entschieden. Diese Entscheidung hat Folgen: Sie trägt dazu bei, dass der
Verkehrssektor seine Klimaziele nicht erreichen wird. Und sie verhindert,
dass die deutsche Autoindustrie in Elektromobilität und neue
Geschäftsmodelle investiert.
BMW und Co erleben gerade spannende Zeiten. Nach Jahren des Beharrens auf
dem Verbrennungsmotor steuern die deutschen Autobauer jetzt um und nehmen
Kurs Richtung E-Zeitalter. Sie stecken Milliarden in die Forschung. Sie
weiten ihre Produktpalette aus und erobern mit Elektroautos Exportmärkte.
Und mehr als das: Daimler und BMW wollen in Berlin ihre Geschäfte jenseits
des Autobaus bündeln und vorantreiben – etwa ihre Carsharingtöchter. Der
Zulieferer Scheffler stellt auf Branchentreffen Wägelchen vor, die einen
schnellen und automatischen Transport durch die Stadt mit weitgehender
Emissionsfreiheit verbinden. Als Markt hat Schäffler übrigens die
Metropolen Südostasiens im Blick.
Die deutschen Konzerne begannen sich neu auszurichten, nachdem nicht nur
Großbritannien und Frankreich, sondern auch China und Indien feste
Ausstiegsdaten für den Verbrennungsmotor angekündigt hatten. Dazu kommt:
Die Wachstumsmärkte in den Schwellenländern mit ihren konsumfreudigen
Mittelschichten benötigen andere Lösungen für ihre Mobilitätsbedürfnisse
als Personenkraftwagen. In den Megacitys von morgen ist massenhafter
Individualverkehr mit dem Auto nicht durchsetzbar. BMW und Co reagieren auf
politischen Druck (Verbot von Verbrennungsmotoren) und gesellschaftliche
Realitäten (Urbanisierung) in wichtigen Märkten.
Was für die Metropolen Südostasiens gilt, gilt aber auch für die Städte in
Südwest- oder Nordostdeutschland. Auch hier sind die Kosten der
Pkw-Mobilität zu hoch: Sie macht die Bewohner der Städte krank, sie
gefährdet Fußgänger, Fahrradfahrer und die Klimaziele. Auch hier wäre ein
forcierter Umstieg auf Elektroautos in Kombination mit anderen Maßnahmen
die Lösung: Eine klimaneutrale und menschenfreundliche Mobilität würde in
Städten auf gemeinsam genutzte Elektroautos setzen, digital vernetzt mit
einem starken öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und klug gefördertem
Fuß- und Fahrradverkehr. Doch in Deutschland geht nichts voran. Das Ziel
von einer Million E-Autos auf deutschen Straßen bis 2020? Gestrichen.
Während Wirtschaft und Verwaltung anderswo an Ladeinfrastrukturen arbeiten,
bemüht sich die Bundesregierung, den Dieselskandal auszusitzen. Pariser
Klimaziele im Verkehrssektor einhalten? Geht leider nicht.
Warum unterbleibt ausgerechnet im Heimatland der Autoindustrie jeder
Modernisierungsschub? Erstens zeigt sich hier der Lauf der Dinge. Man kennt
es aus der Technikgeschichte: Der Wettbewerb zweier konkurrierender
Technologien befeuert erst einmal die Innovationskraft beider, bevor sich
eine von ihnen durchsetzt. So erlebte die in Europa Anfang des 20.
Jahrhunderts weit verbreitete Gaslampe zahlreiche Verbesserungen und sogar
eine Renaissance, bevor sie endgültig durch die überlegene Technik der
elektrischen Glühbirne ersetzt wurde. Wohl darum schwärmen jetzt noch immer
Tausende hochqualifizierte Ingenieure, Facharbeiter und Autojournalisten
von immer leistungsfähigeren Verbrennungsmotoren; und so steckt VW bis 2022
zwar 34 Milliarden Euro in Elektromobilität und autonomes Fahren, im selben
Zeitraum aber 90 Milliarden in konventionelle Autos.
Zweitens müssen die Autokonzerne ihren grundlegenden technologischen Wandel
bei laufendem Betrieb stemmen. Da passt es natürlich gut, wenn sie ihre auf
dem Weltmarkt bald nicht mehr wettbewerbsfähigen Benziner und Diesel
wenigstens zu Hause noch so lange wie möglich verticken können. Darum würde
die Industrie Zeter und Mordio schreien, wenn die Bundesregierung
tatsächlich einen verkehrspolitischen Gestaltungswillen entwickelte. Wenn
sie die Autobauer mit strengen Umwelt- und Klimavorschriften auch in
Deutschland ins 21. Jahrhundert zwänge. Wenn sie das Schienennetz
wenigstens wieder auf den Stand von 1990 brächte und die Kommunen beim Um-
und Ausbau des ÖPNV unterstützte. Wenn sie der Nachfrage der BürgerInnen
nach besseren Radwegen – der Absatz von Pedelecs wächst rasant – nachkäme.
Aber für all das sind Union und SPD zu mutlos oder gerade mit anderen
Problemmüttern beschäftigt. Umwelt- und wirtschaftspolitisch lau erfüllen
sie in Berlin und Brüssel die Wünsche der Autoindustrie. Im Ergebnis wird
die Zukunft woanders gemacht – perspektivisch gilt das auch für die
Technologien, die Ideen, die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze der
Zukunft. Der ewige Streit in der Groko – er lenkt nur ab von ihrem viel
ernsteren Problem: Weder die Union noch die SPD haben verstanden, dass die
deutsche Wirtschaft eine Modernisierung nötig hat – weil auf den Märkten
der Zukunft mit zehn Milliarden Menschen, die in Ballungsräumen leben,
neue, intelligentere, ressourceneffizientere Angebote gebraucht werden.
Der Weg dorthin führt auch über eine ambitionierte Umweltpolitik. Aber
anstatt die Unternehmen mit technologieoffenen, aber strengen Vorgaben fit
zu machen, macht die schwarz-rote Regierung das Einzige, was ihr zur
Zukunft noch einfällt: Sie gründet eine Plattform. Dort reden Experten über
die Zukunft der Mobilität. Man möchte ihnen von Herzen viel Erfolg
wünschen.
4 Oct 2018
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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