| # taz.de -- Diesel-Nachrüstung und Verkehrspolitik: Fahrverbot statt Denkverbot | |
| > Diesel-PKW mit Filtern nachrüsten – Verkehrsminister Scheuer will das | |
| > prüfen. Nach drei Jahren der Abstinenz käme die Verkehrspolitik zurück. | |
| Bild: Alle Räder stehen still, wenn der starke Arm der Nachrüstung es will | |
| [1][Ein vorsichtiger Kurswechsel]: Rechtzeitig zum dritten Jahrestag des | |
| Dieselskandals hat CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer am Freitag | |
| angekündigt, er werde über eine Nachrüstung von Dieselautos zumindest | |
| ernsthaft nachdenken. In einem Videoclip beim Kurznachrichtendienst Twitter | |
| sagte Scheuer: „Ich werde ein Konzept ausarbeiten, wo wir uns Gedanken | |
| machen, wie ein Umstieg in eine neue Technik möglich ist (…) und wie wir | |
| bestehende Fahrzeuge noch sauberer bekommen.“ Er wolle die Debatte um | |
| Diesel und Fahrverbote „von den Emotionen auf eine sachliche Basis“ | |
| stellen. | |
| Es ist Scheuers Versuch, das Steuer wieder in die Hand zu bekommen. Noch am | |
| Beginn der Woche hatte er vor dem Bundestag gesagt, eine Nachrüstung mit | |
| Diesel-Filtern (im Gegensatz zu einem Update der Software) komme nur für | |
| Busse und Müllfahrzeuge in Städten in Frage. „Da macht es wirklich Sinn“, | |
| hatte er erklärt. | |
| Aber diesen Sinn sehen immer weniger politische Freunde von Scheuer. Unter | |
| dem Druck von drohenden Fahrverboten in ihren Städten freunden sich viele | |
| CDU-Verkehrspolitiker mit der Idee an, Dieselautos durch den Einbau von | |
| Filtern zu entgiften – und dafür die Hersteller zahlen zu lassen, wie es | |
| die SPD und viele Umwelt- und Verkehrsverbände schon lange fordern. | |
| Erst war es der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, der im | |
| Wahlkampf die Nachrüstung forderte. Dann zogen Verkehrspolitiker aus der | |
| zweiten Reihe nach, etwa mit der Forderung, ungenutzte Millionen aus der | |
| E-Mobilität für die Nachrüstung einzusetzen. Selbst bei Scheuers | |
| CSU-Kollegen im Bundestag hieß es: „Die Leute wollen die Nachrüstung. Und | |
| sie wollen auch, dass die Hersteller dafür bezahlen.“ Die Angst vor dem | |
| Fahrverbot schlägt die Denkverbote in der Regierung, die sich explizit in | |
| den Koalitionsvertrag geschrieben hat: „Fahrverbote wollen wir vermeiden.“ | |
| Entscheidend aber ist der Druck von ganz oben. Schon vor Tagen hatte | |
| CDU-Generalsekretärin Annegret Kamp-Karrenbauer gemahnt, man solle | |
| Nachrüstung machen, „wo es sinnvoll und machbar ist“. Dann hatte | |
| Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, über das Thema bis Ende | |
| September zu entscheiden. Sie werde sich darum kümmern, weil es im | |
| Hessen-Wahlkampf eine Rolle spiele. Schließlich habe sie sich mit Scheuer | |
| am Donnerstag getroffen, hieß es. Und am Freitag erhöhte die Bild-Zeitung | |
| noch einmal den Druck: In einer Umfrage fand sie 12 Verkehrs- und 13 | |
| Umweltminister aus den Bundesländern, die die Nachrüstung forderten. | |
| ## Selbst der ADAC ist nicht gegen Nachrüstung | |
| Mit der Debatte um Dieselfilter versucht die Politik, das Verkehrsthema | |
| wieder in den Griff zu bekommen. Denn seit vor genau drei Jahren der | |
| „Dieselgate-Skandal“ losbrach, wurde das Geschehen von den Unternehmen, den | |
| Medien, den Umweltgruppen und den Gerichten bestimmt. Ähnlich wie bei der | |
| Finanzkrise nahmen die Menschen die Regierungen als hilflos oder verstrickt | |
| mit den Interessen der Konzerne wahr, zeigen Umfragen. | |
| Im ARD-Deutschlandtrend 2017 sagten 67 Prozent der Befragten, die Politiker | |
| gingen zu nachsichtig mit der Autoindustrie um. Und in einer aktuellen | |
| Umfrage der Verbraucherzentralen meinen 80 Prozent der Menschen, „dass die | |
| Politik im VW-Dieselskandal eher die Interessen der Autoindustrie | |
| vertritt“. | |
| Immer wieder hat das Verkehrsministerium betont, bei der | |
| Hardware-Nachrüstung gebe es „technische, rechtliche und finanzielle | |
| Bedenken“. Das Nachrüsten dauere zwei Jahre, es erhöhe den Spritverbrauch | |
| und CO2-Ausstoß, koste „mehrere tausend Euro“ pro Wagen und überhaupt sei | |
| die Verordnung von Dieselfiltern eine „Investition in die Vergangenheit.“ | |
| Eine Expertenkommission des Ministeriums kommt zumindest teilweise zu | |
| anderen Schlüssen. Im Entwurf des Abschlussberichts, der der taz vorliegt, | |
| sind sich die Fachleute von Naturschutzbund Nabu bis zum Verband der | |
| Autohersteller VDA einig, dass die Filtersysteme („SCR-Katalysatoren“) 50 | |
| bis 95 Prozent der Schadstoffe filtern, dass die Umrüstung technisch | |
| machbar ist und den Spritverbrauch nur wenig erhöht. Bei den Kosten | |
| schwankt das Gutachten zwischen 3.000 und 11.000 Euro, die hohen Preise | |
| berücksichtigen aber nicht die günstigeren Bedingungen im Fall einer | |
| Massenproduktion. | |
| Auch der ADAC habe keine Probleme mit der Nachrüstung, sagt Reinhard Kolke, | |
| zuständig für die Testreihen. Der Spritverbrauch steige nur um „2 bis 4,5 | |
| Prozent“, es gebe keine „negativen Auswirkungen auf den Motor“, keine | |
| häufigeren Pannen. „Software-Updates reichen bei hochbelasteten Straßen | |
| nicht aus“, so Kolke. | |
| ## No-go-Areas für Autos | |
| Anders als etwa in den USA wurden in Deutschland bei „Dieselgate“ die | |
| Hersteller kaum in die Pflicht genommen. Dort gab es hohe Bußen und | |
| Strafen, transparentes Behördenhandeln und nur saubere Neuwagen auf den | |
| Straßen. Hier war die Politik handzahm, das Kraftfahrtbundesamt nicht | |
| auskunftsfreudig und die Neuwagen liegen immer noch weit über den | |
| Grenzwerten. „Das ist der eigentliche Skandal“, sagt der grüne | |
| Umweltexperte Oliver Krischer. „Der allergrößte Teil unserer neuen Autos | |
| hat auch drei Jahre nach Bekanntwerden des Skandals zu hohe | |
| Schadstoffemissionen.“ | |
| Passiert ist bislang wenig, um die Luft tatsächlich sauberer zu machen, | |
| monieren die Kritiker. „Die Strategie war: Abwarten, bis sich das über neue | |
| Autos und sinkende NOx-Werte von selbst erledigt“, sagt ein Experte aus dem | |
| Ministerium. | |
| Mit dieser Strategie war es am 27. Februar 2018 vorbei. Da entschied das | |
| Bundesverwaltungsgericht, dass [2][Fahrverbote zur Luftreinhaltung] | |
| rechtens sein können. Seitdem haben Gerichte bereits für Hamburg, Aachen, | |
| Stuttgart [3][und Frankfurt] No-go-Areas für Autos verordnet. Und die | |
| Deutsche Umwelthilfe, die seit Jahren das Thema Dieselskandal immer wieder | |
| in die Gerichte und Schlagzeilen bringt, hat noch lange nicht genug. | |
| Insgesamt liefen Verfahren in 34 deutschen Städten, sagt | |
| DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. | |
| Resch ist von Scheuers Einlenken nicht überzeugt. Er befürchtet einen | |
| „faulen Kompromiss“, den Merkel durchsetzen will. Für ihn ist auch klar, | |
| wie man die milliardenschwere Nachrüstung der Diesel finanzieren könnte: | |
| Für jedes Betrugsfahrzeug die mögliche Obergrenze beim Bußgeld von 5.000 | |
| Euro verlangen – und mit den 22 Milliarden Euro die Investitionen bezahlen. | |
| ## Bußgelder für Hersteller | |
| Die Expertenkommission im Ministerium konnte sich nicht einigen, ob es eine | |
| Rechtsgrundlage für solche Geldforderungen gegen die Industrie gibt. Doch | |
| der Verbraucherzentralen-Bundesverband (vzbv) denkt ähnlich wie die DUH: | |
| Über Bußgelder für die Hersteller könnten 7 bis 13 Milliarden für einen | |
| „Diesel-Hilfsfonds“ eingenommen werden, der Zahlungen an Diesel-Halter oder | |
| Nachrüstungen finanzieren könne. „Die rechtlichen Grundlagen dafür gibt es, | |
| die Regierung muss sich nur entscheiden, sie zu nutzen“, fordert vzbv-Chef | |
| Klaus Müller. | |
| Die Autokonzerne seien bei einer freiwilligen Fonds-Lösung schon aus | |
| aktienrechtlichen Gründen vorsichtig, weiß Müller: „Kein Vorstand kann mal | |
| eben ein paar Milliarden auf den Tisch legen, wenn ihn die Regierung | |
| bittet.“ Allerdings hätten die Hersteller einen Spielraum. So hätten sie | |
| vor einem Jahr 250 Millionen beim „Diesel-Gipfel“ zugesagt, und VW habe ein | |
| Bußgeld von einer Milliarde Euro akzeptiert. Um diesen Spielraum der Firmen | |
| zu nutzen, brauche die Politik aber „eine ordentliche Drohkulisse“. | |
| Dass der Einsatz von Steuergeld zur Beseitigung der Sünden von VW und Co | |
| unpopulär ist, weiß auch Verkehrsminister Andreas Scheuer. In seinem | |
| Twitter-Filmchen verspricht er dann auch eine Lösung, „ohne Steuergeld zu | |
| verschwenden“. | |
| 17 Sep 2018 | |
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| Bernhard Pötter | |
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