# taz.de -- Pro und Contra zur Förderung von E-Sport: Soll Daddeln Sport sein? | |
> Der schleswig-holsteinische Landtag hat beschlossen, Computerspiele unter | |
> dem Label E-Sport als Sport zu begreifen und zu fördern. Ist das richtig? | |
Bild: Spielen sie noch oder sporteln sie schon? Spieler*innen auf dem E-Sport-F… | |
Einstimmig hat der schleswig-holsteinische Landtag [1][beschlossen, Video- | |
und Computerspielen unter dem Label E-Sport zu fördern]. Die | |
Landesregierung wird aufgefordert, an der Fachhochschule Westküste eine | |
Akademie für Computerspielen zu errichten. Gemeinsam mit den Kommunen | |
sollen Konzepte für die Integration des E-Sports in die Jugendarbeit und in | |
den Schulunterricht erarbeitet werden. Zudem soll das Land sich im Bund für | |
die Anerkennung von Video-Gaming und Computerspielen als „gemeinnützig“ | |
einsetzen und so dafür sorgen, dass E-Sport entsprechende Privilegien in | |
der Abgabenordnung erhält. | |
Ist es richtig, Computerspiele als Sport zu begreifen und zu fördern? | |
Ja, sagt Yasemin Fusco | |
Natürlich sind Computerspiele Sport. Zwar gibt es viele Gründe, | |
Computerspiele aus den Zimmern der Jugendlichen zu verbannen. Aber die | |
Argumente dafür sind oft nicht haltbar: Zu brutal sollen die Games sein, | |
bloße Zeitverschwendung oder keinen großen Mehrwert haben. Der Umgang mit | |
elektronischem Sport ist schlicht altmodisch, wenn man sagt, E-Sport sei | |
keine „richtige“ Sportart, und Schach soll Sport sein? Bullshit. | |
Was die Welt insgesamt und der Sport im Allgemeinen braucht, sind mehr | |
Zocker, die sich in Sportvereinen organisieren. Ja, organisiert euch! Denn | |
es gibt tatsächlich Gemeinsamkeiten mit dem analogen Sport. Jeder, der | |
einmal online mit anderen Zockern unterschiedlichen Alters das eigene | |
Gebiet gegen das gegnerische Team verteidigt hat, weiß, dass E-Sport sehr | |
viel besser als sein Ruf ist. | |
Das Narrativ des faulen und Energy Drinks saufenden Nerds stützt sich auf | |
Männer ab Mitte vierzig, die sich vor vielen Jahren Fifa 98 auf der | |
Playstation gegeben haben. Es ist längst nicht mehr repräsentativ und | |
verkennt die Qualitäten des Computerspielens. | |
Zuvörderst ist es der Teamgeist, der groß geschrieben wird bei E-Sportlern. | |
In vielen Wettkämpfen muss man gemeinsam Strategien entwickeln und sehr | |
schnell handeln, denn das Spiel kann sich innerhalb von wenigen Sekunden | |
drehen. Aus dem laufenden Spiel kann man nicht mal eben aussteigen. Spiele, | |
die in der Regel eine Stunde dauern, erfordern ständige Konzentration und | |
eine stark ausgeprägte Augen-Hand-Koordination, insbesondere, wenn man die | |
PC-Tastatur bedienen muss. | |
Es sind aber auch die sogenannten Soft Skills, die beim Zocken den | |
Unterschied machen. Spieler müssen gut kommunizieren und mit Stress umgehen | |
können. Beim E-Sport ist es egal, wer mitspielt. Auch Menschen mit | |
Behinderung dürfen und können barrierefrei mitspielen. Zocker lernen | |
schnell Englisch, weil das die Amtssprache der E-Sportler ist. | |
Große Sportvereine wie der VFL-Wolfsburg verfügen schon über eine eigene | |
E-Sport-Abteilung. Dass E-Sport kapitalistischer und umweltschädlicher als | |
der analoge Sport sein soll, ist nicht endgültig nachgewiesen. Auf die | |
Einnahmen im analogen Sport durch den internationalen Fußballverband Fifa | |
wollen wir mal nicht zu sprechen kommen. Wenn man so will, ist Spitzensport | |
immer kapitalistisch und umweltschädlich. | |
Sponsoren, Agenturen, Medien- und Beratungsagenturen sind längst in das | |
E-Sport-Geschäft eingestiegen – wie dumm wäre die Politik, diesen Bereich | |
nicht auch zivilisieren zu wollen und Sportvereine zu subventionieren, um | |
sich hinterher mit den positiven Ergebnissen zu rühmen? | |
Am Ende könnten wir ja herausfinden, dass Computerspiele die Medien- und | |
Problemlösungskompetenz stärken. Eine Politik, die das mangelnde Interesse | |
an Mathematik und Informatik unter den Schülern beklagt, sollte sich die | |
Gelegenheit nicht entgehen lassen, die jüngere Generation im Umgang mit | |
technischem Gerät zu trainieren. Lasst uns E-Sport nicht nur als | |
zweckfreies Tun abhaken, erkennen wir lieber seinen Nutzen und fördern wir | |
ihn, auch politisch! | |
*** | |
Nein, sagt Benno Schirrmeister | |
Daddeln als Sport zu bezeichnen, wäre absurd. Klar macht Spaß, es macht | |
auch hungrig und ist anstrengend. Weiß ich. Ich habe selbst schon Nächte | |
irgendwelche Fifa-Football-Turniere durchgezockt, und war am nächsten Tag | |
so benebelt und ausgepowert wie früher nach einem Langstreckenschwimmen. | |
Und selbstverständlich kann man Videospiele auch als Sport bezeichnen: Die | |
Definition ist so schwammig, dass jedes Brettspiel die entscheidenden | |
Kriterien erfüllen würde. | |
Spätestens als Schach 2013 kurz mal kein Sport und dann doch wieder einer | |
war, wurde klar: Hier geht’s nur um eine Setzung: Auch Kochen könnte zum | |
Sport erklärt werden mit Disziplinen wie 400-Liter-Freistilsuppe und | |
Highspeed Mousse-Aufschlagen. | |
Aber darum geht’s selbstverständlich nicht: Es geht darum, ob der Staat | |
eine milliardenschwere Industrie, die bis jetzt ganz gut ohne Beihilfen | |
wächst und gedeiht, subventionieren sollte. „Aber sicher!“, rufen im gerade | |
noch finanziell sanierungsbedürftigen Schleswig-Holstein die Abgeordneten | |
von – ausgerechnet! – der marktradikalen FDP, von der CDU und von der SSW. | |
Begünstigen wir den deutschen Absatzmarkt von Nintendo, Electronic Arts und | |
von vielen multinationalen Konzerne steuerlich, denn da können sie selbst | |
nicht tricksen! Sie haben es verdient! Und zur treibenden Kraft dieser | |
Quatsch-Initiative macht sich der Grüne Rasmus Andresen. | |
Das ist angesichts der umweltpolitischen Akzentsetzung, der sich dessen | |
Partei verpflichtet fühlen sollte, herausragend dumm, denn: Wahrscheinlich | |
gibt es in der gesamten deutschen Politik derzeit keine Maßnahme, um dem | |
Klima unmittelbarer ohne wirklichen Ertrag Schaden zuzufügen. | |
Denn der CO2-Ausstoß von E-Sport ist noch nicht sicher erfasst. Es lässt | |
sich also nicht sagen, ob er viel größer ist als bei der Formel 1. Aber | |
angesichts der sporadischen Evaluationen, die es dazu gibt, wird es diese | |
Größenordung schon sein, gerade weil die E-Sport-Accessoires eher | |
massentauglich sind als ein Rennbolide – und wie dieser jedes Jahr | |
mindestens einmal neu gelauncht wird: Das Produzieren der Konsolen, der | |
Download der Programme, und auch das Spielen schlucken massig Energie. | |
Und selbstredend hat der Supergrüne Rasmus Andresen nicht mal versucht, | |
eine Ökostrom-Klausel zur Bedingung für die Gleichstellung von Rumdaddeln | |
mit Rennen und Paddeln zu machen. Kleiner Trost: Die wäre spätestens vom | |
Finanzgerichtshof kassiert worden, der dafür gesorgt hat, dass auch | |
Motorsport als begünstigter Zweck gelten kann – weil er eben als Sport | |
anerkannt worden ist. | |
Gesund ist beides nicht. Eine wahre Flut medizinischer Forschungsliteratur | |
legt nahe, dass Computerzockerei krank macht an Auge, Rücken und | |
Hormonspiegel. Es ist abwegig, etwas zu bezuschussen, das abgesehen von | |
sicheren Arbeitsplätzen in Kyoto und Burnaby keinen gesellschaftlichen | |
Profit verspricht, aber individuell und global Schaden verursacht. | |
Fortschrittlich mag es wirken. Aber sich dem Fortschritt zu widersetzen, | |
ist wichtig und sinnvoll, wenn man am Abgrund steht. | |
11 Sep 2018 | |
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[1] /Schleswig-Holstein-plant-E-Sport-Akademie/!5532667/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Yasemin Fusco | |
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