| # taz.de -- Umgang mit Rechtsextremismus: Es brennt überall in Sachsen | |
| > Rechter Hass und Hetze sind nirgendwo so fest verankert wie in Sachsen. | |
| > Schuld sind vor allem die Regierenden der vergangenen Jahrzehnte. | |
| Bild: Am besten das Feuer löschen, bevor das ganze Haus brennt | |
| Ich werde, besonders nach Ereignissen wie in Chemnitz, immer wieder | |
| gefragt: „Was sind denn Ihre Konzepte, Frau Köditz? Was kann man gegen das | |
| Anwachsen von Extremismus und Gewalt tun?“ | |
| Ich erzähle dann immer die Geschichte von einem Abfalleimer, der vor mehr | |
| als 25 Jahren gegenüber meiner Wohnung brannte. Was sollen wir tun? Nehmt | |
| einen Eimer Wasser und kippt ihn drüber! Ach, das wird schon von alleine | |
| ausgehen. Wenig später schlugen die Flammen aus dem Fenster des | |
| Erdgeschosses des Hauses. | |
| Und wieder: Was sollen wir tun? Ruft endlich die Feuerwehr! Als auch der | |
| Dachstuhl brannte – natürlich war wieder nichts geschehen –, riet ich: | |
| Sorgt dafür, dass das Feuer nicht übergreift. Natürlich griff das Feuer | |
| über, die Innenstadt war abgebrannt. Und anschließend fragten alle: „Was | |
| sind denn Ihre Konzepte, damit so etwas nicht erneut passiert?“ | |
| ## Ein einfaches Bild | |
| Die Geschichte ist ausgedacht, aber sie zeigt bildlich, was in Sachsen in | |
| den vergangenen Jahrzehnten schiefgelaufen ist. Denn alle, aber auch | |
| wirklich alle klagten, es fehle am bürgerschaftlichen Engagement. In | |
| solchen Fällen müsse unbedingt die Zivilgesellschaft eingreifen. Das sollte | |
| sie. Hat sie aber nicht. | |
| Sie hat nämlich auch, um im Bild zu bleiben, gesehen, dass die Feuerwehr | |
| kaum noch einsatzfähig war, weil man ihr keine Ausrüstung gegeben hat. Sie | |
| hat gesehen, dass die Feuerwehr immer zu spät am Brandort war. Sie hat | |
| gesehen, dass das nie ein Thema im Stadtrat war. Dass Brandschutzmaßnahmen | |
| durch die Behörden nicht gefördert wurden. Dass Brandstifter kaum bestraft | |
| wurden. Die Innenstadt war abgebrannt. Sie erneut aufzubauen dauert. | |
| Es brennt überall in Sachsen. Nicht nur in Chemnitz. Auch die Hetzjagden | |
| sind nicht neu. Ich erinnere nur an jene am Rande eines Stadtfestes in | |
| Mügeln. Gut zehn Jahre ist das her. | |
| Es brennt überall. Wenige Stunden bevor am vergangenen Samstag eine Meute | |
| von rund 8.000 Menschen, die in Sachsen als „besorgte Bürger“ bezeichnet | |
| werden, durch Chemnitz zog, hatte es eine andere Demonstration gegeben, die | |
| in den überregionalen Medien kaum vorkam. In Plauen, einer gut 60.000 | |
| Menschen zählenden Kreisstadt, 70 Kilometer von Chemnitz entfernt, hatte | |
| die Neonazi-Partei „Der III. Weg“ einen Aufmarsch durchgeführt. 50 | |
| Teilnehmende waren angemeldet, über 700 gekommen. Die Zivilgesellschaft? | |
| Protestierte mit gut 100 Personen. | |
| ## Nicht zuständig für Verteidigungsmaßnahmen | |
| Der Plauener Oberbürgermeister Ralf Oberdorfer (FDP) hatte im Vorfeld | |
| gemahnt: Die im Herbst 1989 in 23 Samstagsdemonstrationen in Plauen | |
| eingeforderte Demokratie stehe derzeit, wie seit Langem nicht in | |
| Deutschland, auf dem Prüfstand. Aber nur die Demokratie lasse die freie | |
| Meinungsäußerung, das Recht, zu demonstrieren, zu. | |
| „Lassen Sie uns diese Demokratie nicht leichtfertig in Frage stellen, | |
| lassen Sie uns diese Demokratie gegen jegliche extreme Anfeindungen | |
| verteidigen“, hatte Oberdorfer (FDP) gesagt. Aber die Zivilgesellschaft | |
| fühlte sich offenkundig nicht zuständig für Verteidigungsmaßnahmen. | |
| Warum auch? Warum soll sie sich um den Brandschutz kümmern, der den | |
| Regierenden egal ist? Im besten Falle. Gelegentlich wird von ihnen sogar | |
| noch Öl ins Feuer gegossen. Warum wird immer dann nach der | |
| Zivilgesellschaft gerufen, wenn gezündelt worden ist und alle sehen, dass | |
| nichts für den Brandschutz getan worden ist? | |
| Eine Zivilgesellschaft allein wird nichts daran ändern können, dass | |
| inzwischen längst eine soziale Bewegung von rechts entstanden ist. Die | |
| natürlich selbst, das wird gerne ausgeblendet, ebenfalls Teil der ominösen | |
| Zivilgesellschaft ist. Eine soziale Bewegung von rechts, in der die | |
| einstmals fein säuberlich getrennten Bestandteile längst zu einem | |
| untrennbaren Konglomerat verschmolzen sind. | |
| Der Rassismus schweißt die Teile zusammen: die gutbürgerliche AfD-Klientel, | |
| die minder betuchten früheren NPD-Wähler, die offenen Neonazi-Strukturen, | |
| die alten und die neuen Hooligan-Gruppen, die martialischen Kampfsportler. | |
| Die Abgrenzung der AfD von Pegida? Steht nicht einmal mehr auf dem Papier. | |
| Lutz Bachmann, mit dem die AfD einst nichts zu schaffen haben wollte, | |
| marschierte am vergangenen Samstag in der zweiten Reihe, knapp hinter den | |
| AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke aus Thüringen, Andreas Kalbitz aus | |
| Brandenburg und Jörg Urban aus Sachsen. | |
| Die Kundgebung der lokalen Gruppe „Pro Chemnitz“ um den Rechtsanwalt Martin | |
| Kohlmann, die enge Verbindungen ins Neonazi-Spektrum hat, führte ihre | |
| Teilnehmer problemlos zur AfD. Distanz der AfD zur gewaltbereiten Szene? | |
| Niemand nahm am Samstag Anstoß an Teilnehmern, die Kapuzenpullis der | |
| einschlägigen „Division Sachsen“ trugen. | |
| ## Hirn statt Hetze wäre auch gut | |
| Der Chefredakteur der örtlichen Freien Presse kommentierte nach den | |
| Ereignissen am Samstagabend: „Und die Polizei hat eine hervorragende Arbeit | |
| gemacht: Deeskalation bis zur Schmerzgrenze.“ Und darüber hinaus, möchte | |
| ich anfügen. Es kann doch von gewaltaffinen Rassisten nur als Ermutigung | |
| begriffen werden, wenn eine Woche zuvor die Polizei sie bei ihren | |
| Hetzjagden nahezu unbehelligt lässt, weil Polizeiführung wie auch | |
| Staatsregierung die Lage gnadenlos unterschätzt haben. Wieder einmal. | |
| Genauso ermutigend muss es geklungen haben, dass die Oberbürgermeisterin | |
| der Stadt, die für Samstag immerhin zu dem zivilgesellschaftlichen „Herz | |
| statt Hetze“ aufgerufen hatte, in ihren ersten Stellungnahmen vor allem | |
| über den Abbruch des Stadtfestes jammerte. Und der Ministerpräsident des | |
| Freistaates, der am Donnerstag unter starkem Polizeischutz seinen Dialog | |
| mit den Bürgern im Chemnitz-Stadion geführt hatte? Er war am Samstag bei | |
| „Herz und Hetze“ nicht zu sehen. Dafür am Sonntag, gemeinsam mit der | |
| Oberbürgermeisterin bei einer Kundgebung unter dem Motto: „Wir in Chemnitz. | |
| Aufeinander hören – miteinander handeln“. Herz statt Hetze eben. | |
| Manchmal hätte ich mir bei der so benannten Veranstaltung am Samstag eher | |
| Hirn statt Hetze gefordert. Zum Beispiel als ein Dozent der Uni verkündete, | |
| die rechten Randalierer seien „nicht aus Chemnitz“ gewesen. | |
| ## Keine einfachen Lösungen | |
| Ich habe kein Konzept dafür, wie ein Problem schnell gelöst werden könnte, | |
| dessen jetziges Zwischenstadium sich über zwanzig Jahre nahezu ungestört | |
| entwickeln konnte. Ich weiß, dass ein solcher Lokalpatriotismus wie der des | |
| Hochschullehrers ungeeignet ist. Ich bin überzeugt davon, dass die | |
| Beobachtung der AfD durch den Inlandsgeheimdienst nichts, aber auch gar | |
| nichts bewirken würde. | |
| Ich weiß, dass es grundfalsch war, dass sich der Innenminister vor Jahren | |
| mit Pegida getroffen hat. Ich weiß, dass es verheerende Folgen hatte und | |
| hat, dass nicht sofort bei den ersten rassistischen Aufmärschen wie in | |
| Schneeberg, den „Lichtelläufen“ mit bis zu 2.000 Teilnehmenden, reagiert | |
| worden ist. Das war übrigens bereits 2013. | |
| Ich habe immer gesagt, dass es schädlich ist, dass es nach dem Einzug der | |
| NPD in den Sächsischen Landtag kein ressortübergreifendes Gesamtkonzept zur | |
| Zurückdrängung der extremen Rechten gegeben hat. Stattdessen gab es ein | |
| reines Fördermittelprogramm. Die Aktiven, die zivilgesellschaftlichen | |
| Gruppen, wurden gleichzeitig mittels „Extremismusklausel“ unter | |
| Generalverdacht gestellt. Sehr förderlich für die Entwicklung einer | |
| funktionsfähigen Zivilgesellschaft ist das nicht. | |
| ## Chemnitz ist überall | |
| Jetzt braucht man sie, jetzt ruft man verzweifelt nach ihr. Um von der | |
| eigenen Untätigkeit und Unfähigkeit abzulenken. Um tunlichst im Bewusstsein | |
| der Bevölkerung auszublenden, dass die sächsische CDU mehrheitlich ihr Heil | |
| darin sucht, die AfD rechts zu überholen. | |
| Und wie der Herr, so das Gescherr. Empirische Untersuchungen zu den | |
| politischen Einstellungen bei der Polizei? Fehlanzeige! Dann ist der | |
| [1][inzwischen berühmte Hutbürger vom LKA] nicht so erstaunlich. Dann | |
| verwundert es weniger, dass [2][Ermittlungsunterlagen der Polizei zu | |
| Antifas auf der Homepage der NPD] auftauchen. Dass ein | |
| [3][Bereitschaftspolizist enge Verbindungen zu einem bekannten Neonazi] | |
| hat. Dass Polizisten in Verdacht geraten, Interna an Beschuldigte der | |
| „[4][Gruppe Freital]“ gegeben zu haben. Dass die Polizei illegalerweise | |
| linke Demonstranten [5][mit Frostschutzmitteln aus dem Wasserwerfer | |
| bespritzt]. Dass ein Justizbeamter [6][den Haftbefehl gegen einen | |
| Tatverdächtigen von Chemnitz an einschlägige Kreise gibt]. Dass beim | |
| [7][Landesamt für Verfassungsschutz mindestens ein Funktionär der AfD | |
| arbeitet.] | |
| Ja, gegen die soziale Bewegung von rechts braucht es eine starke | |
| Zivilgesellschaft. Vor allem aber braucht es entschlossenes, planvolles und | |
| konvertiertes Regierungshandeln. Öl ins Feuer ist schon zu lange gegossen | |
| worden. Es muss endlich gelöscht werden. Die Lösch- und Aufräumarbeiten | |
| werden ihre Zeit brauchen. Einstweilen brennt es weiter. Nicht nur | |
| Chemnitz. Chemnitz ist überall. | |
| 4 Sep 2018 | |
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| [1] /!5530477/ | |
| [2] https://www.endstation-rechts.de/news/schwarze-liste-der-npd-aus-ermittlung… | |
| [3] https://www.deutschlandfunk.de/sachsen-polizisten-mit-kontakten-in-die-rech… | |
| [4] /!5476087/ | |
| [5] http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Frostschutzmi… | |
| [6] /!5532594/ | |
| [7] /!5224702/ | |
| ## AUTOREN | |
| Kerstin Köditz | |
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