# taz.de -- Roma in Sachsen: Es brennt in Plauen | |
> In Sachsen brennen hintereinander zwei Häuser, in denen Roma wohnen. | |
> Zufall, sagt die Staatsanwaltschaft. Wirklich? | |
Bild: Plauen, Trockentalstraße: Hier brannte es im Dezember 2017 | |
Es sind die letzten Tage des Jahres 2017. Julian Walther und sein Freund | |
sitzen gerade im Auto und fahren zu einer Party, als sie eine Gruppe | |
winkender und schreiender Menschen am Rande der Trockentalstraße in Plauen | |
sehen. Alles ist voll Rauch, das ganze Haus brennt. | |
Walther rennt zum Haus, er spürt die Hitze. Der Brand ist an der | |
Eingangstür ausgebrochen und versperrt den Weg. Männer halten Kinder an den | |
Handgelenken aus dem Fenster, Walther fängt einen kleinen Jungen auf und | |
bringt ihn zu den Rettungskräften, die eben eingetroffen sind. | |
Es ist eine Ausnahmesituation, Walther und sein Freund rennen hin und her. | |
Eines der Kinder überschlägt sich beim Sturz aus dem Fenster, das Gesicht | |
eines anderen ist halb verbrannt. Auf der Straßenseite gegenüber versammeln | |
sich Menschen und johlen – unter ihnen Neonazis, die der Polizei bereits | |
wegen rechtsextremer Straftaten bekannt sind, wie sich später herausstellt. | |
Sie fragen die beiden Jungs, warum sie hier helfen. „Lasst die brennen!“, | |
ruft einer. Und: „Sieg Heil!“ In dem Haus wohnen mehrere Romafamilien aus | |
der Slowakei. | |
42 Menschen werden aus dem Haus evakuiert. 22 von ihnen sind verletzt, vier | |
davon schwer. Eine Schwerverletzte ist Lucia Dunkova, sie will gerade | |
duschen, als sie ihre Familie schreien hört: Feuer! Lucia zieht sich etwas | |
an und rennt aus dem Haus. Ihre Haare brennen, ihre Hände, ihr Gesicht. Und | |
ihr Kind. Sie kann nichts sehen, als sie draußen steht, ihre Augen sind | |
verklebt, aber sie hört ein dumpfes Geräusch. „Schläge“, sagt sie. Die | |
Gruppe der Neonazis greift einen Feuerwehrmann und einen Polizisten an, um | |
sie von den Rettungsarbeiten abzuhalten. Dunkovas Mutter sieht zwei Männer | |
weglaufen. Sie glaubt, dass das die Täter sind. | |
Wenig später wird ein Mann festgenommen: Jens W., 25 Jahre alt, ein | |
ehemaliger Mieter. Er soll den Brand gelegt haben, weil der Vermieter ihn | |
wegen Mietschulden aus dem Haus geworfen hat. Er kommt in | |
Untersuchungshaft. | |
Die Roma ziehen um. Manche kommen in weiteren Häusern desselben Vermieters | |
unter. Einige ziehen in ein Haus in der benachbarten Dürerstraße. Es sind | |
vor allem Frauen und Kinder aus der Slowakei, die kaum Deutsch sprechen. | |
## Zwei Brände, kein Zusammenhang? | |
Am 3. Januar 2018 werden sie dort von einer Sozialarbeiterin besucht. Die | |
Bewohner berichten ihr, dass sie keinen Schlüssel haben, nur der Vermieter | |
könne die Türen abschließen. Sie erzählen auch von Übergriffen, da Fremde | |
einfach in das Haus eindringen könnten. Deutsche Männer sollen nachts an | |
ihre Türen geklopft, die Türen eingeschlagen oder ätzende Flüssigkeiten in | |
die Wohnung geworfen haben. So steht es in einem Gedächtnisprotokoll, das | |
die Sozialarbeiterin nach ihrem Besuch anfertigt. Es liegt der taz vor. | |
Alle haben Angst, steht dort, dass es zu weiteren Brandanschlägen kommt. | |
Am 9. Januar gibt es in der Dürerstraße einen Polizeieinsatz. Die Roma | |
hatten im Keller des Hauses drei Männer gesehen, die mit einer weißen | |
Flasche hantierten. Nach ihrer Entdeckung ergriffen die Männer die Flucht. | |
Es waren dieselben Männer, sagt eine Romni der Freien Presse, die sie in | |
der Brandnacht vom 29. Dezember gesehen hatte. Die Polizei findet keine | |
Hinweise auf eine versuchte Brandstiftung. | |
Der Vorstand bei Romano Sumnal, einem sächsischen Romaverein, macht sich | |
Sorgen. Er verfasst einen offenen Brief an den Landrat und den | |
Bürgermeister, in dem er sie warnt. „Für die Menschen in der | |
Trockentalstraße war dies nicht der erste Brand und sie befürchten aufgrund | |
erneuter Geschehnisse weitere Anschläge“, schreibt er. „Wir sind entsetzt | |
über dieses menschenverachtende Verhalten, welches sich gezielt gegen eine | |
Opfergruppe des Nationalsozialismus richtet.“ | |
Am 19. Januar wird der Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen Jens W. | |
aufgehoben. | |
Am Morgen des 5. Februar 2018 steht das Haus in der Dürerstraße in Flammen. | |
Zwei Deutsche und sechs Hunde sterben, sie lebten in einer Wohngemeinschaft | |
im Dachgeschoss. Vier weitere Bewohner des Hauses, darunter Roma, werden | |
verletzt. Eine Romni will Jens W., den Tatverdächtigen des ersten Brandes, | |
im Haus gesehen haben. | |
Sebastian M., 26, der an jenem Abend in der Wohngemeinschaft zu Besuch war, | |
wird als Zeuge vernommen, schließlich gesteht er die Tat. Laut | |
Polizeibericht soll er dort ein Stück Stoff angezündet und dieses auf einen | |
Schaukelstuhl mit Wäsche gelegt haben. Als die Flammen 50 Zentimeter | |
hochschlugen, soll er die Wohnung verlassen haben. | |
Sebastian M. kommt in Untersuchungshaft, am kommenden Mittwoch beginnt der | |
Prozess gegen ihn. Die Tat scheint keinen Sinn zu ergeben: Bei dem Brand | |
starben sein bester Freund und dessen Schwägerin. „Zwischenmenschliche | |
Streitigkeiten“, sagen die Ermittler. Einen Zusammenhang zum ersten Brand | |
sehen sie nicht. | |
Um die Vorgänge aufzuklären, hat die taz mit Brandopfern, Anwälten, | |
Anwohnern, Flüchtlingshelfern, dem Vermieter, Ersthelfern, Sozialarbeitern, | |
einer Lehrerin, der Staatsanwaltschaft, einem Richter und der Polizei | |
gesprochen. Die Recherchen zeigen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen | |
beiden Bränden. Er wird aber vor dem Landgericht Zwickau keine Bedeutung | |
haben. Und da die Ermittlungen zum ersten Brand inzwischen eingestellt | |
sind, vermutlich auch nie aufgeklärt werden. | |
*** | |
Plauen liegt im hintersten Eck Sachsens, im Vogtland, wo sich die | |
Landesgrenze um Thüringen schmiegt, eingekeilt zwischen Bayern und | |
Tschechien. 60.000 Menschen leben hier – und meist ging es um zwei Themen, | |
wenn zuletzt von Plauen zu hören war: Drogen und die rechte Szene. | |
Anfang 2017 eröffnete die rechtsextreme Partei Der III. Weg in Plauen ihr | |
erstes Bürgerbüro. Es ist „eine bundesweit einzigartige Immobilie, die dem | |
Dritten Weg einen Versammlungs-, Lager- und Rückzugsraum bietet, von dem | |
aus auch bundesweit die Aktivitäten der Partei organisiert und unterstützt | |
werden können“, heißt es im Verfassungsschutzbericht Sachsen aus dem Jahr | |
2017. Der III. Weg lehnt sich an den Nationalsozialismus an und fordert den | |
offenen Kampf gegen jede Form der Zuwanderung. Die Partei definiert sich | |
als „Stoßtruppe der völkischen Wiedergeburt“. Gewalt wird bei der | |
Durchsetzung dieser Ziele toleriert: „Sofern es notwendig ist, dass einige | |
Scheiben zerbrechen, um das deutsche Volk in seiner ethnischen Existenz zu | |
sichern, (…) so werden wir das nicht als Frevel ansehen.“ So steht es in | |
einer Ende 2017 herausgegebenen Broschüre mit dem Titel „National, | |
revolutionär, sozialistisch“. Beim Verfassungsschutz geht man davon aus, | |
dass Der III. Weg eine entscheidende Rolle bei Anschlägen auf | |
Flüchtlingsunterkünfte spielt. Vor Ort werde gezielt Stimmung gemacht, bis | |
Einzelne zu Straftaten bereit seien, sagte Verfassungsschutzpräsident | |
Hans-Georg Maaßen. Und diese Straftaten würden im Nachhinein wohlwollend | |
kommentiert. | |
Das Büro der Partei liegt im Plauener Stadtteil Haselbrunn, der von | |
Rechtsextremen dominiert wird. „Multikulti tötet“, steht dort in großen | |
Lettern an der Scheibe. „Überfremdung stoppen“. Die rechtsextreme Szene | |
Südostdeutschlands vernetzt sich in Plauen, organisiert Demonstrationen und | |
Feste für die ganze Familie. | |
*** | |
Die Brände in der Dürer- und der Trockentalstraße sind nicht die einzigen | |
Brände, die es in den vergangenen Jahren in Plauen gegeben hat. Tatsächlich | |
könnte man inzwischen von einer Serie sprechen: Fünfmal hat es seit | |
Dezember 2015 in Häusern gebrannt, in denen Roma lebten. Alle Häuser | |
gehören demselben Vermieter: Dr. Frank B. Er vermietet vor allem an | |
sogenannte Problemgruppen: Drogenabhängige, Prostituierte, Romafamilien aus | |
der Slowakei, Bulgarien und Rumänien. | |
Das erste Mal, im Dezember 2015, zündete eine Frau in einem seiner Häuser | |
einen Papierstapel an. Sie wurde wegen schwerer Brandstiftung zu einer | |
Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten mit Bewährung verurteilt. | |
Das Motiv geht aus der Urteilsbegründung nicht hervor, teilt die | |
Staatsanwaltschaft auf Nachfrage mit. | |
Mehrere Monate später, im April 2017, brannten drei Garagen ab, die B. | |
gekauft hatte. Es gab mehrere Brandherde – ein Hinweis auf Brandstiftung. | |
In den Garagen hatte B. Möbel stehen, die bulgarischen Mietern gehörten. | |
Die Ermittlungen haben bisher zu keinem Ergebnis geführt, einen | |
Tatverdächtigen gibt es nicht. | |
Im Juni 2017 brannte es in einem weiteren Haus. Als Ursache nannte die | |
Polizei einen technischen Defekt. Die Bewohner sollen illegal Strom gezapft | |
haben, wodurch ein Kühlschrank in Brand geraten sei. | |
Und schließlich die beiden Brände in der Trockentalstraße und der | |
Dürerstraße. | |
Agnes Russo, kurz nach den Bränden noch Vorstandsvorsitzende der | |
Flüchtlingshilfe Plauen, findet: Das sind ein bisschen zu viele Zufälle. | |
Sie wirkt etwas übermüdet und raucht eine Zigarette am runden Tisch ihres | |
Büros. Seit den Bränden ist viel los. Einigen Roma aus der | |
Trockentalstraße, wo es Ende 2017 gebrannt hat, hat sie geholfen, eine neue | |
Wohnung zu finden; sie unterstützt sie bei Behördengängen. Ihr Büro liegt | |
nur wenige Gehminuten von den Brandorten entfernt. | |
## Sie nennen ihren Vermieter „Chef“ | |
Russo ist das Verhältnis zwischen B. und seinen Mietern suspekt. Die Mieter | |
nennen ihn „Chef“. Fast alle sind bei ihm in irgendeiner Form angestellt – | |
zum Putzen oder als Bauhelfer. Das Jobcenter hat die Arbeitsverträge | |
moniert, die oft nur über wenige Stunden pro Woche laufen. „Es ist davon | |
auszugehen, dass der Arbeitsvertrag nur zum Zweck des ergänzenden | |
Sozialleistungsbetrugs geschlossen wurde“, heißt es in einem Dokument des | |
Jobcenters, das der taz vorliegt. Der Verdacht: B. verhilft seinen Mietern | |
mit Arbeitsverträgen zu aufstockenden Hartz-IV-Leistungen, die EU-Bürgern | |
zustehen – und verdient daran mit. | |
B. stand bereits zweimal vor Gericht. Einmal, weil er die ausstehende Miete | |
mithilfe eines Handlangers eintrieb – das Verfahren wurde gegen eine | |
Zahlung von 1.500 Euro eingestellt. Beim nächsten Mal ging es um Betrug: B. | |
sollte für 58 Bulgaren fälschlicherweise aufstockende Hartz-IV-Leistungen | |
beantragt haben. 98.000 Euro sollen zu Unrecht an die Bulgaren – oder an B. | |
– geflossen sein. Genauer konnten es die Ermittler nicht benennen. Das | |
Verfahren wurde ebenfalls eingestellt, weil die Beweise fehlten. | |
Agnes Russo machen diese Geschichten wütend. „Was hat dieser Eigentümer mit | |
den Menschen zu tun?“, fragt sie. „Warum beschäftigt er sie unter dubiosen | |
Verträgen? Und warum brennt es immer in seinen Häusern?“ Sie ist | |
aufgebracht, die Fragen sprudeln aus ihr heraus. Sie will die Menschen in | |
Sicherheit bringen. „In Sicherheit, nicht nur wegen der Brände. Die | |
Menschen haben Angst, sprechen immer wieder von ,Nazis'.“ Eine Romni, die | |
sie betreut, will vor dem ersten und zweiten Brand „Nazis“ im Haus gesehen | |
haben. Ihr Deutsch ist sehr gebrochen, aber dieses Wort, „Nazi“, das sagt | |
sie immer wieder. Und auch: dass diese „Nazis“ für B. arbeiten würden. | |
B. wohnt in einem gräulichen Mehrfamilienhaus im Westen Plauens, einer | |
ruhigen, bürgerlichen Gegend, in der man die hohen Bäume rauschen hört. | |
Nach mehreren Mails und Telefonaten ist er bereit, sich zu treffen. Er | |
schlägt das Theatercafé vor. Dort bestellt er sich einen Cappuccino und | |
eine Schwarzwälder Kirschtorte. | |
## B. hat den Begriff „Plaunacken“ erfunden | |
B. ist ein kleiner, untersetzter Mann, 55 Jahre alt. Wenn er nachdenkt, | |
nimmt er sein Baseballcap ab und streicht sich über die stoppeligen Haare. | |
Er sagt, dass er sein Immobiliengeschäft in Plauen innerhalb von fünf | |
Jahren aufgebaut habe. Und etwa zehn Häuser mit mehr als hundert Wohnungen | |
besitze. B. kommt aus einem Dorf in Südhessen, nach Plauen zog er, weil er | |
dort günstige Wohnungen kaufen konnte. Im Internet findet man allerdings | |
kaum Informationen über ihn – seine Firma, in der er die Mieter angeblich | |
beschäftigt, ist nicht im Handelsregister eingetragen. „Dann gibt es sie | |
nicht oder nicht mehr“, sagt der Sprecher des Amtsgerichts Plauen. | |
Konfrontiert man B. damit später per Mail, reagiert er nicht. | |
Warum wohnen bei ihm fast ausschließlich Drogenabhängige, Prostituierte und | |
Romafamilien? „Mein Prinzip ist es, günstig einzukaufen und schnell zu | |
vermieten“, sagt B. „Nicht absichtlich an Randgruppen. Aber es gibt ja in | |
Plauen fast nur Randgruppen.“ Sie seien wie eine große Familie. B. sagt, er | |
helfe den Leuten. | |
Er nennt die Roma, die in seinen Wohnungen leben, seine „Dinger“. Oder | |
spricht von „Gesocks“, von „dummen Leuten“, er ist stolz auf den Begriff | |
„Plaunacken“, den er für die Drogenabhängigen geprägt hat. B. wünscht s… | |
dass die Brände schnell aufgeklärt werden. Er sieht sich als Opfer. | |
„Ich habe die Vermutung, dass einige der Bewohner der Dachgeschosswohnung | |
in der Dürerstraße irgendwas über den ersten Brand wissen“, sagt er noch. | |
„Entweder als Mittäter oder Mitwisser.“ | |
*** | |
Es ist ein schwüler Tag im August dieses Jahres, als Leon S. mit seiner | |
Schwester und ein paar Freunden in einem kleinen Park in Pirna sitzt. Leon | |
S. hat in der Dachgeschosswohnung in der Dürerstraße gewohnt, als es dort | |
brannte. Es ist ein Uhr mittags, und er hat einige Bier intus. S. trägt | |
eine lange Hose, trotz der Hitze. Darunter, an seinen Beinen, ist die Haut | |
noch immer rosa und wund. | |
Beim Brand sind sein Bruder und seine Verlobte gestorben. Er selbst wurde | |
schwer verletzt, lag zwei Wochen im Koma. Seit er aus dem Krankenhaus | |
entlassen wurde, sei er permanent betrunken, sagt er. Vor ihm stehen die | |
Bierflaschen, Wespen umschwirren ihn. S. hat eine Insektenstichallergie – | |
„mir ist das egal“. Am liebsten wäre er bei dem Brand auch gestorben, sagt | |
er. | |
„Ich hatte ein Leben!“ „Immer wenn ich mein Leben auf die Reihe kriegen | |
will, passiert irgendeine Scheiße.“ Leon S. und seine Verlobte wollten im | |
März heiraten, erzählt er, wenige Wochen nach dem Brand. | |
Er glaubt, dass seine Freundin schwanger war, als sie am 6. Februar | |
gestorben ist. Die Gerichtsmedizin will das Leon S. nicht bestätigen. Es | |
könnte ihn psychisch zu sehr belasten, heißt es dort. | |
Sebastian M. aus Dresden, der gestanden hat, den Brand gelegt zu haben, war | |
der beste Freund seines Bruders. Leon S. sagt, er könne sich nicht | |
vorstellen, dass er das wirklich getan hat. Trotz des Geständnisses. Hat er | |
ihn gefragt? „Ich habe 20 Briefe an ihn angefangen, seit er in U-Haft | |
sitzt“, sagt er. „Aber keinen beendet.“ | |
## Rechtsradikale, Trinker und Punks | |
Er glaube hingegen, die Ex-Freundin seines Bruders habe etwas mit dem Brand | |
zu tun. Da sie aus ihrer Wohnung geflogen war, zog sie in die | |
Wohngemeinschaft und schlief auf dem Sofa im Wohnzimmer – auch, als sich | |
das Paar längst getrennt hatte. „Vor dem Brand habe ich ihr gesagt, dass | |
sie ausziehen muss“, sagt Leon S., der der Hauptmieter war. Er könne sich | |
vorstellen, sie habe sich rächen wollen und Sebastian M. deshalb dazu | |
angestiftet, den Brand zu legen. | |
Klar ist: Das Umfeld dieser WG hat etwas mit den Bränden zu tun. Beide | |
Tatverdächtige, Jens W. und Sebastian M., stammen aus demselben | |
Bekanntenkreis. In Berichten ist die Rede davon, dass es sich bei ihnen um | |
„Punks“ handele – tatsächlich ist es aber eher ein Drogenmilieu, in dem … | |
Grenzen zwischen links und rechts sich verwischen. | |
Ein Plauener, der die rechte Szene beobachtet, beschreibt es so: Die | |
Plauener Drogenszene, zu der diese Menschen zählten, setze sich aus | |
Rechtsradikalen, Trinkern und Straßenpunks zusammen. „Untereinander scheint | |
es keine Berührungsängste zu geben“, sagt er. „Sie saufen zusammen, sind | |
teilweise auf Facebook befreundet.“ | |
## Ein Hand-Emoticon, das nach Hitlergruß aussieht | |
Die Ex-Freundin von Leon S.’ Bruder dealte in der Wohngemeinschaft mit | |
Crystal Meth – und verkaufte es auch an Neonazis, so erzählt es ein | |
Bekannter. Schaut man sich ihre Freunde bei Facebook an, findet man | |
darunter einige, die aus ihrer rechten Gesinnung kein Geheimnis machen; sie | |
verzieren ihr Profilbild mit Eisernen Kreuzen oder Reichskriegsflaggen. | |
Leute, die sich online „Kameraden“ nennen, „Aryan“ als zweiten Vornamen | |
führen und mit einem Hand-Emoticon grüßen, das nach einem Hitlergruß | |
aussieht. Ihr Bruder postet immer wieder Propagandavideos aus dem | |
Nationalsozialismus, seine Profile werden regelmäßig von Facebook gesperrt. | |
In ähnlichen Kreisen verkehrt auch Sebastian M., der Tatverdächtige beim | |
zweiten Brand, auf Facebook. Freunde von ihm heißen „Steinar Odin“ und | |
verwenden in ihrem Profilbild Deutschland- oder Reichskriegsflaggen, die | |
sie mit Frakturschrift betexten. Er hat ein Bild gepostet, das sich gegen | |
„Sozialschmarotzer“ richtet. | |
Was den Fall noch komplizierter macht: Leon S.’ Bruder und dessen | |
Ex-Freundin hatten dem Tatverdächtigen des ersten Brandes, Jens W., zuerst | |
ein Alibi gegeben. Jens W. hatte sich vor dem ersten Brand in der | |
Wohngemeinschaft aufgehalten. | |
Bei einer weiteren Vernehmung der Polizei widerriefen sie jedoch ihre | |
Aussage und gaben an, dass Jens W. zehn Minuten vor dem Brand das Haus | |
verlassen habe. Wenig später soll er zurückgekommen sein, stark nach Rauch | |
gerochen und gesagt haben: „In zehn Minuten geht ein Brand los.“ So habe es | |
ihm auch sein Bruder erzählt, bevor er starb, sagt Leon S. | |
## „Die Zusammenhänge drängen sich auf“ | |
Die Polizei nahm Jens W. fest und brachte ihn in U-Haft. Am 19. Januar kam | |
er wieder frei, weil die Staatsanwaltschaft beantragt hatte, den Haftbefehl | |
gegen ihn aufzuheben. 18 Tage später brannte es in der Dürerstraße. Und der | |
Hauptbelastungszeuge starb. | |
Das Verfahren gegen Jens W. wegen Brandstiftung wurde am 13. Juli 2018 | |
eingestellt. „Dem Beschuldigten konnte die Tat nicht nachgewiesen werden“, | |
heißt es in einem Brief der Staatsanwaltschaft. Die Sachbearbeiterin sei zu | |
dem Schluss gekommen, dass die Zeugenaussagen nicht ausreichten, sagt der | |
Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage – darüber müsse man mit der | |
Presse nicht diskutieren, man sehe keine Zusammenhänge zwischen den beiden | |
Bränden. | |
Die Anwältin Claudia Neher vertritt einige der Opfer des ersten Brandes. | |
Sie findet es absurd, dass die Staatsanwaltschaft keine Verbindungen sieht: | |
„Diese Zusammenhänge drängen sich auf“, sagt sie. „Ein Hauptbelastungsz… | |
aus dem ersten Brand ist beim zweiten Brand verstorben. Das Haus gehört | |
demselben Vermieter, bei dem es schon mehrere Brände in Plauen gab. Und | |
einige Sinti und Roma, die bereits beim ersten Brand Opfer waren, wurden in | |
dieses Haus umgesiedelt, wobei der Beschuldigte aus dem ersten Verfahren | |
wieder frei war!“ | |
Sie glaubt, dass dringend untersucht werden müsse, ob ein rechtsradikaler | |
Hintergrund für einen oder beide Brandanschläge eine Rolle gespielt habe. | |
„Oder auch sonstige kriminelle, mafiöse Strukturen.“ | |
Gegen die Einstellung des Verfahrens hat sie eine Beschwerde eingereicht. | |
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden muss jetzt darüber entscheiden. | |
Lucia Dunkova, die bei diesem Brand so schwere Verletzungen davongetragen | |
hat, lebt immer noch in Plauen. In einer anderen Wohnung inzwischen – | |
einer, die auch Frank B. gehört. Es ist ein kleiner Verschlag im | |
Erdgeschoss, auf dem Gelände eines alternativen Wohnprojektes. Sie versteht | |
nicht, warum die Polizei Jens W. wieder freigelassen hat. „Warum?“, fragt | |
sie immer wieder. | |
Warum? | |
Mitarbeit: Marie-Louise Stoll | |
11 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Steffi Unsleber | |
Sarah Ulrich | |
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