# taz.de -- Doku über Social Media: Löschen. Ignorieren. Löschen | |
> „Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners“ zeigt jene Menschen, die von | |
> Manila aus die sozialen Medien für uns aufräumen. | |
Bild: Enthauptungen, Suizid, Kindesmissbrauch: Die Content-Moderatoren sehen si… | |
Haben Sie sich jemals gefragt, warum ihr Foto gelöscht wurde? Ihr Video? | |
Warum Ihr Konto gesperrt wurde, als Sie diesen Post likten? Die | |
Dokumentation „The Cleaners“ hat Antworten. Auch wenn es keine einfachen | |
sind. | |
„Ignorieren. Löschen. Löschen. Löschen. Ignorieren. Löschen. Ignorieren.�… | |
Dieses mantraartige Gemurmel der Content-Moderatoren, es ist der Beat | |
dieses Films. Und jene Menschen, die von Manila aus die sozialen Netzwerke | |
für uns aufräumen, vor die Kamera gebracht zu haben, ist wohl die größte | |
Leistung der Filmemacher Hans Block und Moritz Riesewieck. | |
Enthauptungsvideos, dokumentierter Kindesmissbrauch, Suizid im Livestream – | |
sie sind es, die sich all das ansehen, damit wir es nicht müssen. Aus | |
Furcht davor, als Müllsammlerin zu enden, oder um die Familie | |
durchzubringen. | |
„Ignorieren. Ignorieren. Löschen.“ | |
So banal das ist: Am meisten überrascht vielleicht, in welch | |
wimpernschlagschneller Geschwindigkeit routinierte Moderatoren ihre | |
Entscheidungen fällen. Manchmal brauche er lang, um eine Entscheidung zu | |
treffen, sagt einer der Moderatoren. Und lang, das ist für ihn acht | |
Sekunden lang. Ein anderer beziffert die Anzahl der Bilder, die er jeden | |
Tag sichtet, auf 25.000 Bilder. Allein dies, diese irrsinnige Taktung, | |
erklärt wahrscheinlich besser als jeder theoretische Essay, warum es bei | |
Löschungen, Sperrungen und Rauswürfen bei Facebook und anderswo keine | |
präzisen Erklärungen gibt, woran es gelegen hat. Die Zeit fehlt schlicht. | |
„Löschen. Löschen. Löschen.“ | |
Einem der Moderatoren wird in einer Reihe von Bildern eine Karikatur | |
gezeigt: Erdoğan, der den Twitter-Vogel von hinten nimmt. Klarer Fall von | |
Sodomie, sagt der Moderator. Ein alter Mann mit einem Vogel: löschen. | |
Erdoğan oder der Zusammenhang dieses Bildes scheinen ihm nicht bekannt. | |
Eine Content-Moderatorin, die immer wieder beim innigen Gebet in | |
christlichen Kirchen gezeigt wird, entscheidet angesichts eines Gemäldes | |
von Donald Trump mit Mikropenis: löschen. Ein Foto eines toten Kindes, das | |
im Wasser schwimmt. Kann man so nicht zeigen, befindet der Moderator. | |
Löschen. | |
## Mitverantwortlich für Genozid? | |
Schnitt. Der Fotograf dieses Bildes, ein Künstler und nach Berlin | |
geflüchteter Syrer, druckt das Bild großformatig aus. Er habe versucht, bei | |
Facebook jemanden zu erreichen, zu Fragen, warum das Bild gelöscht wurde. | |
Gerne würde er sich mal mit denen unterhalten, die das entscheiden, sagt er | |
und raucht. Und es klingt nicht aggressiv, wie er das sagt, sondern | |
verzweifelt. | |
Um die Fotos trotzdem verbreiten zu können, entfernt er nun die | |
Kinderkörper mit einem Cutter fein säuberlich aus dem Bild, sodass nur der | |
Hintergrund um die weiße Silhouette bleibt. „Ich will dem Kind eine laute | |
Stimme geben“, sagt er. „Wir dürfen nicht aufhören, die Welt zu verstöre… | |
in einem guten Sinne.“ | |
Aber auch Kritik daran, dass zu wenig gelöscht werde, gibt es | |
selbstverständlich. Der Genozid an den Rohingya in Burma, inzwischen machen | |
selbst UN-Experten Facebook mitverantwortlich dafür. Weil sie den in Burma | |
grassierenden Hass nicht stoppten. „Wir sollten uns wirklich in Acht nehmen | |
vor dem, was wir da geschaffen haben“, sagt ein junger Mann, der einmal als | |
Ethik-Beauftragter bei Google arbeitete. | |
## Unverantworliches Outsourcing | |
Genau hier sieht man aber auch eine der größten Schwächen dieser | |
Dokumentation: Sie hat niemanden vor die Kamera bekommen, der heute noch | |
die Regeln macht und vertritt. Facebook, YouTube, Twitter, all sie haben | |
Interviewfragen an sich abperlen lassen. Und kommen daher nur in | |
Ausschnitten von Anhörungen vor politischen Gremien in Washington vor – | |
oder von wenigen Ehemaligen repräsentiert. | |
„The Cleaners“ funktioniert als Dokumentation, weil sie sich weigert, | |
einfache Antworten anzubieten. Klar wird, wie falsch und unverantwortlich | |
es ist, die Ausmistung von Social-Media-Plattformen an Drittfirmen in | |
Manila und anderswo outzusourcen, die dafür oberflächlich geschulte | |
Mitarbeiter in Vollzeit den übelsten Schund sichten lassen, den das | |
Internet zu bieten hat. Aber andererseits: Wie sollten sie denn aussehen, | |
die universalgültigen Regeln für Inhalte von Plattformen, die auf der | |
halben Welt populär sind? Und wer soll sie denn umsetzen? | |
Zu löschenden von zulässigem Inhalt zu unterscheiden – dieses Problem | |
werden auch mehr Geld, festes Personal und bessere Algorithmen für die | |
großen sozialen Netzwerke nicht auf die Schnelle lösen können. | |
28 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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