| # taz.de -- Community-Management: Für Respekt in der Kommentar-Spalte | |
| > Community-Manager*innen sollen Kommentare auf den Seiten der | |
| > Öffentlich-Rechtlichen regulieren. Doch der raue Ton geht vielen an die | |
| > Substanz. | |
| Bild: Wie Community-Manager*innen täglich mit Hatespeech umzugehen kann auf di… | |
| Islamistengesocks, unzivilisierte Halbwilde“, schreibt der User, dessen | |
| Profilbild einen Mann mit adrettem Haarschnitt und Anzug zeigt. Doch das | |
| ist nicht er selbst – sondern der Bösewicht aus einer TV-Serie. Das Profil | |
| ist Fake, der Nutzer ein Troll, der vorsätzlich im Internet Unruhe stiftet. | |
| Im Jahr 2022 erhielt [1][allein das ZDF] nach eigenen Angaben über 12 | |
| Millionen Kommentare auf seinen Social-Media-Kanälen. Die meisten sind | |
| harmlos. Einige wie der obige, enthalten Hass, Beleidigungen und Drohungen. | |
| Um einen respektvollen Austausch zu ermöglichen, beschäftigen viele | |
| Rundfunkanstalten daher Community-Manager*innen wie Melissa. | |
| Melissa arbeitet beim Deutschlandfunk (DLF) und heißt eigentlich anders. | |
| Ihren echten Namen möchte sie lieber nicht in der Zeitung lesen, auch weil | |
| sie befürchtet, dass User*innen sie kontaktieren könnten. Melissa | |
| [2][löscht Hasskommentare auf Facebook,] leitet Diskussionen auf Instagram | |
| und Twitter, beantwortet Fragen in den Foren des Senders. Im Fachjargon | |
| nennt sich das Moderation. Zu dieser ist der ÖRR laut einem Urteil des | |
| Bundesverwaltungsgerichts vom November 2022 nicht nur berechtigt, sondern | |
| teilweise sogar verpflichtet, um EU-Wettbewerbsrichtlinien zu erfüllen. Die | |
| Menschen, die sich darum kümmern, brauchen starke Nerven. | |
| „Ich lese ungefähr 1.000 Kommentare am Tag, davon sind etwa 10 Prozent | |
| problematisch und noch mal 20 Prozent Spam, viele Sex-Bots und | |
| Finanz-Coaches“, erzählt Melissa. „Mit das Übelste, was ich bisher gelesen | |
| habe, war eine sehr plastische Beschreibung davon, wie jemand einen | |
| Klima-Kleber töten wollte.“ | |
| ## Wenig sichtbar | |
| Community-Management ist ein wenig sichtbares Arbeitsfeld in Deutschland, | |
| obwohl es inzwischen in fast jedem größeren Unternehmen zu finden ist, | |
| besonders in der Medienbranche. Wie viele Community-Manager*innen es | |
| genau in Deutschland gibt ist schwer zu sagen. Das Berufsbild ist nicht | |
| geschützt und eine Erfassung daher schwer möglich. Mit 38 Jahren gehört | |
| Melissa zu den Älteren in der Branche. Viele der Community-Manager*innen, | |
| mit denen die taz für diesen Text sprach, studieren noch, verdienen sich | |
| mit dem Job etwas dazu. Für Melissa aber ist es ihre Haupttätigkeit. | |
| Ein Ziel der Moderation ist, dass die Community die sogenannte | |
| [3][Netiquette einhält]. Diese hauseigenen Verhaltensregeln gehen bei den | |
| Formaten des ÖRR meist über die Guidelines von Facebook & Co hinaus. So | |
| kann die Netiquette z. B. vorschreiben, dass Kommentare sachbezogen, | |
| konstruktiv und respektvoll sein sollen. Leider gelingt das nicht immer. | |
| „Moderation hat definitiv einen Effekt. Aus Studien wissen wir, dass allein | |
| die Präsenz von Moderation dazu führt, dass Nutzer*innen lieber an | |
| Diskussionen teilnehmen“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin | |
| Dominique Heinbach. Sie forscht an der Uni Mainz zu Moderation und | |
| Community-Management und hat mit Prof. Dr. Marc Ziegele (Uni Düsseldorf) in | |
| Kooperation mit der Landesanstalt für Medien NRW das sogenannte | |
| Kasi-Prinzip entwickelt. Dieses enthält verschiedene Moderationsstile, den | |
| kognitiven (K), affektiven (A) und den sozial-integrativen Stil (SI). Sie | |
| konzertieren sich auf die Bestärkung positiver, konstruktiver und | |
| bereichernder Kommentare. Dabei soll auf Gefühle der Menschen eingegangen, | |
| positive Rückfragen gestellt und die Interaktion untereinander gefördert | |
| werden. | |
| „Häufig liegt in der öffentlichen Debatte und in Redaktionen ein großer | |
| Fokus auf dem Eindämmen von Hatespeech und Inzivilität, also von | |
| unerwünschten Beiträgen. Wir haben versucht, das Ganze andersrum | |
| anzugehen.“ Eine große Studie mit Praxispartnern zeigte, dass die | |
| Kasi-Methoden zu einem besseren Klima führten. Sie nahmen aber auch mehr | |
| Zeit in Anspruch als das bloße Löschen von Hasskommentaren. „Natürlich | |
| braucht man genug Personal dafür“, sagt Heinbach. | |
| ## Es fehlt an Kapazitäten | |
| Tom Klein koordiniert das Community-Management beim Hessischen Rundfunk und | |
| bestätigt die Wirksamkeit von Heinbachs Methoden: „Wir haben Testungen | |
| durchgeführt und nicht nur gemerkt, dass die Diskussionen besser geworden | |
| sind, sondern auch, dass die Arbeit für unsere Community-Manager*innen | |
| viel befriedigender geworden ist.“ Leider fehlten im eng getakteten | |
| Arbeitsalltag oft die Kapazitäten. „In der Coronazeit hatten wir manchmal | |
| Postings mit 10.000 und mehr Kommentaren. Da kann man nur noch das | |
| Schlimmste verhindern, aber keinen sachgerechten Diskurs mehr führen.“ | |
| Rechtlich ist es aber nicht ganz einfach, Kommentare zu löschen oder | |
| Nutzer*innen zu blockieren. Schnell hagelt es Vorwürfe: Der ÖRR betreibe | |
| „Propaganda“, erhebe „Zwangsgebühren“ und betreibe Zensur. Auch dem be… | |
| erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ging die Klage eines Nutzers | |
| voraus. Das Gericht urteilte, dass die Löschung von Kommentaren auf der | |
| Facebookseite des MDR zwar weitgehend rechtens war, gab dem User aber in | |
| einem Fall recht. Ein Eintrag hätte nicht gelöscht werden dürfen. | |
| Der Kläger hatte zu einem Beitrag über eine Razzia bei der verbotenen | |
| rechten Vereinigung „Blood & Honour“ gefragt, „ob man dabei den Attentät… | |
| von Straßburg finden wird“. Der MDR löschte, weil der Anschlag islamistisch | |
| motiviert war, die Razzia aber Neonazis traf. Hier sah das Gericht die | |
| fehlende Themenbezogenheit zu eng gefasst. | |
| „Meinungsfreiheit heißt nicht, dass jeder alles überall sagen kann“, sagt | |
| Tom Klein. „Wir haben als Redaktionen ein Hausrecht.“ Der ÖRR kann davon | |
| Gebrauch machen, wenn Kommentare vom Thema abweichen. Private Medienhäuser | |
| haben beim Löschen recht freie Hand, doch der ÖRR muss ein breites | |
| Meinungsspektrum akzeptieren. Bei Beleidigungen, strafrechtlich relevanten | |
| Äußerungen, Gewaltandrohungen oder Volksverhetzung ist aber Schluss. | |
| ## Es schlägt auf die Psyche | |
| Täglich mit Hatespeech umzugehen kann auf die Psyche schlagen. Auch Melissa | |
| war wegen ihres Jobs bereits in therapeutischer Behandlung. Bei ihrem | |
| vorherigen Arbeitgeber war sie während Corona mehrere Wochen | |
| krankgeschrieben, weil der Druck zu groß wurde. | |
| „Community-Manager*innen fragen sich häufig, wer hinter dem Hass | |
| steckt, in welche Richtung der Diskurs geht. Sie fragen sich: Ist das | |
| wirklich das Abbild unserer Gesellschaft?“ sagt Judith Strieder, | |
| Psychologin bei HateAid, einer Organisation, die sich für Betroffene von | |
| digitaler Gewalt einsetzt und für Community-Manager*innen. Einige ihrer | |
| Klient*innen entwickelten psychische Leiden aufgrund ihrer Arbeit, wie | |
| Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen oder depressive | |
| Verstimmungen. „Das ist eine Arbeit, bei der man gut auf sich aufpassen | |
| muss“, sagt Strieder. | |
| Besonders schwierig seien Themen, von denen Moderator*innen selbst | |
| betroffen sind, etwa geschlechtsspezifische Gewalt oder Rassismus. Vor | |
| allem Täter*innen aus dem rechten Spektrum nutzten das Internet | |
| strategisch, um politische Gegner*innen mundtot zu machen. So waren laut | |
| Bundeskriminalamt im Jahr 2019 ganze 73 Prozent aller strafbaren | |
| Hasspostings rechts motiviert. „Es ist wichtig, die Menschen darüber | |
| aufzuklären, dass Menschen, die digitale Gewalt verbreiten, nur eine | |
| kleine, aber sehr laute Minderheit sind“, sagt Strieder. | |
| ## KI könnte helfen | |
| Tatsächlich beteiligen sich nur wenige Menschen aktiv an | |
| Onlinediskussionen, während viele unbeteiligt mitlesen. Laut einer Studie | |
| von ARD und ZDF schrieben 2020 lediglich 10 Prozent der User*innen | |
| gelegentlich Kommentare auf Facebook und Instagram. Die Zahl der | |
| sogenannten „Heavy User“ ist noch deutlich geringer. | |
| Um den Moderator*innen ihre Arbeit zu erleichtern, sieht Dominique | |
| Heinbach in der Zukunft Potenzial bei automatisierten KI-gestützten | |
| Modellen, die etwa Kommentare anhand von Reizwörtern und Sprachmustern | |
| filtern. Diese würden immer besser und seien zumindest bei eindeutigen | |
| Verstößen eine willkommene Unterstützung. Bis die KI jedoch wirklich | |
| zuverlässig funktioniere, werde es noch dauern. Bis dahin sei es wichtig, | |
| dass Community-Management auch in den Redaktionen weiter als | |
| journalistische Arbeit anerkannt und im redaktionellen Prozess mitgedacht | |
| wird, sagt Heinbach. Das sieht auch Melissa so: „Viele Institutionen geben | |
| das CM an unterbezahlte Studis oder Praktikant*innen weiter, die dann | |
| mit Anfang 20 Burnout haben.“ Das müsse sich ändern. „Es muss als richtig… | |
| Beruf wahrgenommen werden und dafür muss man auch Geld in die Hand nehmen.“ | |
| 7 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Schroer | |
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