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# taz.de -- Soziale Medien bei Bundestagswahl: Wie rechte Trollarmeen hetzten
> In den USA löschen soziale Netzwerke Hunderte Accounts aus dem Iran und
> Russland. Doch auch bei uns wird online politisch gezielt desinformiert.
Bild: Manipulationsinstrument Facebook-App
BERLIN taz | Was haben wir gelacht, als Angela Merkel 2013 im Bundestag
einen ihrer mittlerweile recht zahlreichen Signatursätze sagte: „Das
Internet ist für uns alle Neuland“, lautete der. Spott, Häme und die
entsprechenden Memes ließen nicht lange auf sich warten: Haha, die
Kanzlerin hat’s auch endlich geschnallt, wo es das Internet in seiner
kommerziellen Nutzung doch schon seit 1990 gibt. Wat’n Spaß!
Nun gibt es eine neue Merkel-Meldung mit Meme-Potenzial: Die Kanzlerin hat
sich vor der Sommerpause von einem Internetexperten die Digitalisierung
erklären lassen. Bloß: Das ist eigentlich gar nicht zum Lachen, sondern
eher ziemlich smart – und etwas, das nicht nur die Kanzlerin machen sollte,
sondern auch die allermeisten von uns.
Warum? Ganz einfach. Weil im Moment vor allem solche Menschen die
Winkelzüge und Kniffe der Digitalisierung bis in alle dunklen Ecken
durchschauen und entsprechend für sich zu nutzen wissen, die potenziell das
friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft stören wollen und damit
uns alle bedrohen. Alle anderen – mal abgesehen von wohlmeinenden Nerds und
Hacker*innen, deren Existenz hier nicht bezweifelt werden soll – tapern
bedröppelt hinterher und merken meist nicht mal, was um sie herum
geschieht.
Gucken wir in die USA, also dorthin, wo gezielte Versuche, das
Meinungsklima in sozialen Medien wie Facebook und Twitter zu beeinflussen
und in eine bestimmte Richtung zu verzerren, mutmaßlich vor der
US-Präsidentschaftswahl begannen. Einer, der davon unter anderem profitiert
hat, twittert jetzt aus dem Weißen Haus. [1][In den USA gehen
Internetkonzerne und soziale Medien gerade – auch wegen des politischen
Drucks, unter dem sie stehen – gegen mögliche Beeinflussungsversuche vor.]
Facebook löschte gerade erst 652 Accounts, Seiten und Gruppen, die aus dem
Iran und mutmaßlich vom Umfeld des russischen Militärgeheimdiensts
betrieben worden seien. Es habe sich um koordinierte Aktionen mit
verknüpften Accounts gehandelt, sagte Mark Zuckerberg in einer
Telefonkonferenz mit Journalisten in der Nacht zum Mittwoch. Twitter
sperrte 284 Konten, die für eine „koordinierte Manipulation“ eingesetzt
worden seien.
## Längst auch bei uns
Nun könnte man denken: Hui, gruselig. Klingt wie ein US-Spionagethriller,
den ich bestimmt bald im Kino gucken kann. Aber das wäre fatal. Denn was in
den sozialen Netzwerken der USA geschieht, passiert längst auch bei uns.
[2][Das belegte zu Beginn des Jahres eindrücklich eine Studie am Londoner
Institute for Strategic Dialog], deren Ergebnisse längst nicht die breite
Aufmerksamkeit bekommen, die ihnen gebührt.
Darin ist nachzulesen, wie sich rechtsextreme Trollarmeen mit dem schönen
Namen „Reconquista Germanica“ oder die Gruppe „Infokrieg“ aus dem
Dunstkreis der Identitären Bewegung auch in Deutschland vor der
Bundestagswahl in verschlüsselten Chats verabredeten, um gemeinsam und
mithilfe von Fakeaccounts bestimmte Hashtags auf Twitter zum Trenden zu
bringen oder mit massenhaften Likes und Dislikes den Facebook-Algorithmus
zu manipulieren und so das Stimmungsbild in den sozialen Medien zugunsten
von AfD-Themen und der zugehörigen Rhetorik zu kippen.
Wer genau dahintersteckt und wie eng die Bändel zur AfD sind, ist
ungeklärt. Dass die Partei bei der Bundestagswahl von den abgesprochenen
Desinformations- und Einschüchterungskampagnen profitiert hat, glauben die
Forscher*innen nachweisen zu können. Übrigens auch, dass zumindest die
größere von beiden Gruppen, Reconquista Germanica, aufgrund der im geheimen
Chat verbreiteten Inhalte zu den (rechts)extremsten Deutschlands gehört und
daher vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte.
Eine derartige absichtsvolle Stimmungsmache in sozialen Medien bereitete
nicht nur den Nährboden für den Einzug der AfD in den Bundestag. Sie
bestimmt auch die Politik, die wir derzeit erleben. Wenn [3][Seehofer
Geflüchtete an der Grenze abweisen will] und [4][Italiens Innenminister
Salvini vor dem Ertrinken Gerettete zurück nach Libyen schicken will], dann
feiert die Trollcommunity das als ihren Erfolg.
## Desinformation erkennen
Davon müssen alle Menschen, die im Netz unterwegs sind und soziale
Netzwerke nutzen, wissen – und sie müssen erkennen lernen, wann sie es mit
einer von Trollen verabredeten Desinformationskampagne zu tun haben. Das
wird ohne gute, weil wirksame Gesetze nicht funktionieren. Schon allein
deshalb, weil niemand ernsthaft wollen kann, dass politische
Entscheidungen, die de facto über das Schicksal von Menschen entscheiden,
künftig – überspitzt gesagt – davon abhängen, ob Facebook und Twitter in
der Lage sind, richtig einzuschätzen, was nun ein Fakeaccount ist, der da
gerade Meinungen absetzt, und was nicht.
Angela Merkels verlachtes Neuland-Zitat aus dem Jahr 2013 hatte im Übrigen
noch einen zweiten Teil. „Das Internet ist für uns alle Neuland [5][und es
ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung mit
völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen, unsere Art
zu leben in Gefahr zu bringen“], lautet er in Gänze. Die Vorlage für
hämische Memes – das wären dann wohl wir.
23 Aug 2018
## LINKS
[1] /Aufraeumaktion-bei-Facebook-und-Twitter/!5530159
[2] https://www.isdglobal.org/wp-content/uploads/2018/07/ISD_Ich_Bin_Hier_2.pdf
[3] /Geheim-Papier-Masterplan-Migration/!5514377
[4] /Italienisches-Rettungsschiff-im-Mittelmeer/!5529041
[5] https://www.youtube.com/watch?v=-VkLbiDAouM
## AUTOREN
Marlene Halser
## TAGS
Soziale Medien
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