| # taz.de -- Debatte Aufarbeitung von SED-Unrecht: Das große Schweigen | |
| > Rechtspopulisten gewinnen in DDR-Opferverbänden an Einfluss. Und die | |
| > wollen ihre Anfälligkeit für Geschichtsrevisionismus nicht wahrhaben. | |
| Bild: Geschichte wiederholt sich nicht – aber der Osten tickt mental konserva… | |
| Es ist nicht das erste Mal, dass in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen | |
| ein Zeitzeuge und Guide gesperrt wird. Anfang Juni verbot Hubertus Knabe, | |
| der Direktor, [1][Siegmar Faust] bis auf Weiteres, Besucher durch die | |
| Haftzellen der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaft zu führen. Der Anlass war | |
| ein Artikel in der Berliner Zeitung, in dem Faust unter anderem zitiert | |
| wird mit: „dass die Verbrechen der Nazizeit noch weiter wirken. Aber | |
| irgendwann muss das mal ein bissel aufhören. Man darf es nicht | |
| übertreiben.“ | |
| Faust verteidigte sich, die Äußerung sei beim Herausgehen herausgerutscht. | |
| Ein echtes Dementi klingt anders. Dürfte man Schülern beim Rausgehen solche | |
| Sätze sagen, die klingen, als müsse nun „ein bisserl“ ein Schlussstrich | |
| unter den Holocaust gezogen werden? Sicher nein. Kein Gedenkstättenleiter | |
| in Deutschland hätte wohl anders handeln können. Berlins Kultursenator | |
| Lederer, zugleich Stiftungsratsvorsitzender der Gedenkstätte, begrüßte | |
| Knabes Entscheidung denn auch ausdrücklich. | |
| Freilich gibt es auch Proteste gegen diese Entscheidung. Denn Faust ist | |
| eine Legende unter den Stasi-Opfern. Sein Engagement für die Freiheit | |
| brachte ihm eine lange Gefängnisstrafe in Cottbus ein. Auch durch tagelange | |
| Einzelhaft im sogenannten Tigerkäfig ließ er sich nicht brechen. Nach dem | |
| Freikauf aus der DDR war er im Westen eine Zeitlang Assistent des | |
| Dissidenten und Sängers Wolf Biermann. | |
| Rechtsradikal ist Faust sicher nicht, aber er provoziert gerne und so, dass | |
| er von rechts Beifall bekommt. Es ist dieser Beifall, der aufhorchen lassen | |
| muss. Auf zahlreichen Veranstaltungen zur SED-Diktatur sind inzwischen | |
| Äußerungen zu hören, die zum Standardrepertoire der Rechtspopulisten | |
| gehören: Die Medien manipulieren; die Regierenden hören nicht aufs Volk: | |
| überhaupt leben wir angeblich wieder in Verhältnissen, die denen in der DDR | |
| nicht fern sind. | |
| ## Das Phänomen gibt es fast überall | |
| Vor einem Jahr wäre der Förderverein der Gedenkstätte Hohenschönhausen fast | |
| aufgeflogen, weil einige den Frontmann der Berliner AfD kooptieren wollten. | |
| Die Sache endete mit einem „Kompromiss“: Georg Pazderski wurde aufgenommen. | |
| Weil der Vorsitzende des Fördervereins an dem Vorgang beteiligt war und | |
| neuerdings in der rechtslastigen Jungen Freiheit publiziert, machen andere | |
| im Vorstand ihn für den Rechtsruck verantwortlich und fordern seinen | |
| Rücktritt. | |
| Es geht hier aber nicht nur um ein Hohenschönhausenproblem, wie der | |
| SPD-Politiker Wolfgang Thierse und andere in Kommentaren zum Thema | |
| weismachen wollten. Das Phänomen gibt es fast überall in der Aufarbeitungs- | |
| und Opferszene. Diese ist weit verzweigt. Der Dachverband UOKG zählt allein | |
| fast 40 Mitgliedsvereine, deren Anhänger in die Zehntausende gehen. Die | |
| Reihen lichten sich zwar altersbedingt, aber wie die Kinder und | |
| Kindeskinder denken, weiß keiner so genau. Und so traten sogar schon Angela | |
| Merkel und Volker Kauder, um jedes halbe CDU-Wahlprozent besorgt, | |
| gelegentlich den Rückzug an, wenn diese Vereine die Muskeln spielen ließen. | |
| Versammlungen haben etwas von Familien- oder Klassentreffen, bei dem man | |
| sich einig gegen SED und Stasi weiß. Dabei wird ignoriert, dass ein | |
| keineswegs geringer Teil der SED-Kritik rechts motiviert war und ist. Das | |
| war schon zu DDR-Zeiten so. Etwa 20 Prozent der sogenannte Hetze-Delikte, | |
| die die Stasi in den 1980er Jahren registrierte, waren rechts konnotiert. | |
| Es gab damals ausländerfeindliche Attacken, die denen von heute nicht | |
| unähnlich sind. Während der Revolution 1989 wurden ultranationalistische | |
| Töne vom nationalen Überschwang nur übertönt, waren aber zweifelsohne | |
| vorhanden. | |
| Zudem ist es ein historisches Missverständnis, wenn undifferenziert vom | |
| roten Mitteldeutschland oder roten Sachsen die Rede ist. Es gibt dort lange | |
| rechtsextremistische Traditionslinien, die bis in die Vorkriegszeit | |
| zurückreichen. Es war eine Propagandalüge der SED, dass alle NS-Anhänger im | |
| Westen säßen, eine Lüge, die freilich alle ehemaligen Unterstützer der | |
| Rechten in der DDR auf einen Schlag exkulpierte. | |
| ## SED-Gegnerschaft macht noch keinen guten Demokraten | |
| Anders als im Westen, wo unter dem Stichwort des „autoritären Charakters“ | |
| die Mitverantwortung der Befehlsempfänger und Mitläufer zumindest | |
| thematisiert wurde, hatten die DDR-Bürger nicht einmal die Chance, ihre | |
| Verstrickungen und Traumata aus der NS-Zeit aufzuarbeiten. Was ostdeutsche | |
| AfDler als angeblichen linksliberalen Meinungsterror darstellen, ist im | |
| Westen teilweise sensus communis bis in die CDU. | |
| Geschichte wiederholt sich nicht, aber der Osten, dazu hat auch die SED mit | |
| ihrem Sicherheits-, Ordnungs- und Abschottungsdenken beigetragen, tickt | |
| mental konservativer als der Westen. Wenn es dabei nur um | |
| nationalkonservative Töne oder regierungskritische Meinungen ginge, müsste | |
| man sie, weil von der Meinungsfreiheit gedeckt, aushalten. Anders sieht es | |
| mit den schrillen Tönen jenseits der politischen Schamgrenze aus. | |
| SED-Gegnerschaft allein, so muss man allmählich erkennen, macht jedenfalls | |
| noch keinen guten Demokraten aus. Offenbar war es ein Fehler, sich nur auf | |
| die Analyse der zweiten Diktatur zu konzentrieren und die mentalen | |
| Verwerfungen der ersten zu ignorieren. Da trifft dann nicht jeder bei | |
| diesem Thema den richtigen Ton, zumal wenn rechte Strategen im Hintergrund | |
| daran arbeiten, die Linie zum Rechtsextremismus aufzuweichen, – siehe | |
| Gaulands jüngster Versuch, die NS-Zeit als „Vogelschiss“ zu verharmlosen. | |
| Gaulands Satz fiel fast zeitgleich zur Äußerung in Hohenschönhausen. Es | |
| verwundert, dass das Aufarbeitungsgewerbe, das für sich beansprucht, im | |
| Interesse der Demokratie Lehren aus der Geschichte zu ziehen und den | |
| öffentlichen Diskurs zum Prinzip erklärt hat, die Probleme im eigenen Lager | |
| immer noch beharrlich beschweigt. Dabei wäre gerade jetzt ein Strategiemix | |
| von intelligenter Aufklärung, Stoppzeichen und Dialog angesagt. Diese | |
| Auseinandersetzung wäre die eigentliche Bewährungsprobe der Aufarbeitung. | |
| 18 Jul 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Booß | |
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