| # taz.de -- Ex-Stasi-Knast: Überwältigt statt informiert | |
| > AfD-Werbung, Holocaust-Relativierung: Die Gedenkstätte Hohenschönhausen | |
| > machte zuletzt negative Schlagzeilen. Aber das Problem geht noch tiefer. | |
| Bild: Schon 5 Millionen BesucherInnen: Probleme mit dem Zulauf hat die Gedenkst… | |
| Als wir das Gelände an einem frühen Morgen Anfang Juni betreten, scheint | |
| bereits die Sonne über die Mauern der ehemaligen zentralen | |
| Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Hohenschönhausen. Ein | |
| Wachmann steht lässig im Eingangsbereich und scherzt mit einem Mitarbeiter, | |
| im Hof tummeln sich SchülerInnen, die auf den Beginn ihrer Führung warten. | |
| Jeden Tag kommen Dutzende Schulklassen in das ehemalige Gefängnis, im April | |
| verkündete die Gedenkstätte stolz die Zahl von fünf Millionen BesucherInnen | |
| seit ihrer Gründung. Der in der Gedenkstätte praktizierte pädagogische | |
| Ansatz hat eine nicht zu unterschätzende Breitenwirkung. | |
| Doch zuletzt sorgte ein an der Gedenkstätte tätiger Zeitzeuge bundesweit | |
| für Aufsehen. Der ehemalige Mitarbeiter Siegmar Faust hatte im Interview | |
| mit der Berliner Zeitung mit Blick auf den Massenmord an den europäischen | |
| Jüdinnen und Juden gefragt: „Ist die Zahl sechs Millionen heilig?“ Die | |
| Gedenkstättenleitung reagierte mit einer Entlassung und versuchte zu | |
| beschwichtigen. Diese Holocaust-Relativierung sei eine bedauerliche | |
| Einzelmeinung, die von der „Mehrheit der ehemaligen politischen Gefangenen | |
| in der DDR“ nicht geteilt werde, ließ die Gedenkstätte damals wissen. | |
| Bereits drei Wochen später musste sich die Leitung erneut distanzieren. | |
| Diesmal vom Vorsitzenden ihres Fördervereins Jörg Kürschner, der in der | |
| neurechten Junge Freiheit wiederholt für die AfD geworben hat. Wie | |
| gestaltet sich das pädagogische Tagesgeschäft in der Gedenkstätte, in der | |
| Faust und Kürschner jahrelang tätig waren? | |
| Im Gegensatz zur üblichen Praxis führt uns kein Zeitzeuge, sondern ein | |
| ehemaliger Geschichtslehrer in einem eineinhalbstündigen Rundgang durch die | |
| Gedenkstätte. Schnell wird deutlich, welche pädagogischen Ziele die Führung | |
| verfolgt. „Können Sie sich vorstellen, wie es war, hier eingesperrt zu | |
| sein?“ fragt der Guide zu Beginn. Es folgen im Minutentakt rhetorische | |
| Fragen, die darauf abzielen, sich in die Situation ehemaliger Häftlinge zu | |
| versetzen. | |
| ## Nachgestelle Verhöre | |
| Viele der ZeitzeugInnen gehen noch weiter. Mehrmals beobachten wir, wie | |
| einzelne SchülerInnen dazu aufgefordert werden, sich in einem | |
| nachgestellten Verhör durch Gedenkstättenmitarbeiter ausfragen zu lassen. | |
| Auch das testweise Einsperren in die Gefängniszellen ist Praxis bei den | |
| Führungen. Dass die Gedenkstätte ganz auf Emotionalisierung und die | |
| Reinszenierung von historischen Situationen setzt, ist dabei kein | |
| Geheimnis, im Gegenteil. | |
| Leiter Hubertus Knabe zeigt sich begeistert: „Dann legt sich doch plötzlich | |
| diese Atmosphäre auf einen und nimmt einem doch ein bisschen den Atem, | |
| selbst wenn man 16, 17 Jahre alt ist und plötzlich in so einer Zelle steht | |
| und der alte Mann erzählt, wie er sich dort gefühlt hat“, sagte er bereits | |
| im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. | |
| Dass ein solches pädagogisches Konzept dem in der politischen Bildung als | |
| Mindeststandard geltenden „Beutelsbacher Konsens“ widerspricht, ist Knabe | |
| dabei durchaus bewusst. Die 1976 im schwäbischen Beutelsbach ausgehandelte | |
| Vereinbarung dient unter anderem der Bundeszentrale für politische Bildung | |
| als Prüfstein für die Unterstützung von Projekten. In ihr wird ein | |
| „Überwältigungsverbot“ festgehalten, das eine emotionale Überrumpelung d… | |
| Lernenden untersagt und stattdessen die Förderung der kritischen | |
| Urteilsfähigkeit betont. Knabe hält das Konzept jedoch für überholt, wie er | |
| den Deutschlandfunk wissen ließ. | |
| „Der Beutelsbacher Konsens ist in der Gedenkstättenpädagogik nach wie vor | |
| ein Standard“, meint hingegen Oliver von Wrochem. Der Historiker leitet die | |
| Abteilung Bildung und Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in | |
| Hamburg. Die von Knabe betonte emotionale Bindung von Lernenden an die | |
| historischen Inhalte sei zwar wichtig, um jüngere Generationen zu | |
| erreichen, fraglich sei aber, ob man dafür mit Schock und Überwältigung | |
| arbeiten müsse. „Wir setzen in unserer Arbeit stärker auf Dialog und | |
| Interesse“, so von Wrochem. | |
| Auch wie in Hohenschönhausen ZeitzeugInnen eingesetzt werden, hält von | |
| Wrochem für problematisch. Sie seien zentrale Akteure in der | |
| Gedenkstättenpädagogik, ihre Präsenz habe eine große Kraft. „Ich bin aber | |
| skeptisch, wenn die Vermittlung der Inhalte ausschließlich Zeitzeugen | |
| überlassen wird. Dabei wird meistens die eigene Erfahrung verabsolutiert | |
| und der gesellschaftliche Kontext der Verbrechen zu wenig berücksichtigt“, | |
| so der Historiker. | |
| ## Lauter NS-Vergleiche | |
| Diese Problematik wird auch bei unserem Besuch deutlich. Die Führung ist | |
| durchzogen von Vergleichen zwischen der DDR und dem Dritten Reich. Zwar | |
| wird eine Gleichsetzung vermieden, doch viel mit Suggestionen gearbeitet. | |
| „Die Gestapo hatte 7.000 Mitarbeiter, die Stasi 91.000“, lässt uns der | |
| Guide wissen, „das muss man sich mal vorstellen!“ Welche Schlüsse daraus zu | |
| ziehen seien, lässt er offen. Das Leid der Internierten scheint nicht | |
| auszureichen, stattdessen dominieren Aufrechnungen und Vergleiche. | |
| Ein Blick auf den Alltag in Hohenschönhausen zeigt: Die Probleme gehen | |
| tiefer als die Einzelfälle Faust und Kürschner, auch die pädagogische | |
| Praxis bietet Anlass für grundsätzliche Kritik. Man darf gespannt sein, | |
| wann die Gedenkstätte wieder von sich hören lässt. | |
| (Mitarbeit: Hendrik Wehling) | |
| 27 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jonathan Welker | |
| Hendrik Wehling | |
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