| # taz.de -- Höcke, die AfD und ihre Sozialpolitik: Rente von ganz rechts | |
| > Die AfD braucht ein sozialpolitisches Programm. Björn Höcke setzt auf | |
| > solidarischen Patriotismus. Das gefällt nicht allen in der Partei. | |
| Bild: AfD-Fraktionschef und -Landessprecher Björn Höcke spricht am 28.01.2018… | |
| Berlin taz | Der fette Vogel im Nest, dem eine Taube mit | |
| schwarz-rot-goldenem Schwanz einen Tausend-Euro-Schein in den Rachen | |
| schiebt, während der eigene Nachwuchs auf dem Boden verhungert, soll wohl | |
| ein Kuckuck sein, der da nicht hingehört. Damit die Botschaft ganz sicher | |
| ankommt, hat das wohlgenährte Tier noch ein kleines Etikett. | |
| „Familiennachzug“ steht darauf. So haben AfD und ihre | |
| Arbeitnehmervertretung „Alarm!“ – der „Alternative Arbeitnehmerverband | |
| Mitteldeutschland“ – für ihre Demonstration unter dem Slogan „Unseren | |
| Sozialstaat verteidigen!“ in Erfurt geworben. | |
| Am Sonntagnachmittag nun steht AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, hiesiger | |
| Landes- und Fraktionschef, auf dem Domplatz der Thüringer Landeshauptstadt | |
| vor vielleicht 2.000 AnhängerInnen; über den Platz weht der Wind. „Für die | |
| unterstützungsbedürftigen Leute, die es verdient haben, ist immer weniger | |
| Geld da“, ruft Höcke von der Bühne. Das liege, so seine schlichte wie | |
| eingängige Erklärung, an den vielen Geflüchteten im Land. „Wenn die | |
| Altparteien-Politiker unsere Sozialsysteme für alle Mühseligen und | |
| Beladenen öffnen, dann fahren sie unser Sozialsystem vor die Wand.“ Mal | |
| wird der AfD-Politiker mit zustimmenden „Volksverräter“-Rufen unterbrochen, | |
| mal mit „Höcke, Höcke“ bejubelt. | |
| Seit Monaten hat die Leitfigur der Völkisch-Nationalen in der AfD den | |
| Sozialpopulismus für sich entdeckt. Im vergangenen Jahr am 1. Mai, später | |
| auch während der Bundestagswahl, haben Höcke und die Seinen unter dem Titel | |
| „Sozial ohne rot zu werden“ zu Kundgebungen aufgerufen. „Sozialpolitik wi… | |
| das große Zukunftsthema sein, wahlentscheidend bei uns im Osten“, ist sich | |
| Höcke sicher. | |
| Der Thüringer, gegen den formal noch immer ein Parteiausschlussverfahren | |
| unter anderem wegen Anleihen beim Nationalsozialismus läuft, will die AfD | |
| bei der Landtagswahl im kommenden Jahr zur stärksten Kraft machen. Dafür | |
| will er sie als Partei der sogenannten kleinen Leute aufstellen und ihr das | |
| Profil des „solidarischen Patriotismus“ verpassen – und so weiter | |
| WählerInnen gewinnen, die bislang eher für SPD und Linkspartei stimmten: | |
| Arbeiter und Angestellte, Arbeitslose und alle, die abgehängt sind, sich so | |
| fühlen oder befürchten, sie könnten es künftig sein. | |
| Bei der Bundestagswahl votierten bereits je ein Fünftel der Arbeiter und | |
| der Arbeitslosen für die ehemalige Anti-Euro-Professorenpartei. Um das zu | |
| steigern, wettert Höcke gegen Neoliberalismus und Großkonzerne, fordert | |
| mehr Solidarität und staatliche Sozialleistungen. Nur für deutsche | |
| Staatsbürger, versteht sich. Höcke setzt auf Sozialpopulismus | |
| nationalistischer bis völkischer Prägung. | |
| ## Höckes Rente soll nur für Deutsche gelten | |
| „Die neoliberale Ideologie, die von allen Altparteien getragen wird und | |
| Staaten zu Wurmfortsätzen global agierender Konzerne gemacht hat, entzieht | |
| den Volkswirtschaften dringend benötigtes Investitionskapital und senkt in | |
| den westlichen Industrienationen die Löhne zugunsten der Kapitalrendite“, | |
| [1][erklärte er jüngst in der Welt]. „Die Folgen für den Sozialstaat und | |
| die Renten sind verheerend.“ Höcke sagte, dass die gesetzliche | |
| Rentenversicherung zugunsten von privaten Versicherungen und Banken | |
| ausgehöhlt worden sei. Dass CDU und SPD mit der Ausweitung der Leiharbeit | |
| Niedriglöhne auf breiter Front etabliert und das Lohngefüge zugunsten der | |
| Kapitalrendite gedrückt hatten. Und dass die private Vorsorge ein Irrweg | |
| war. Sätze, die auch von Sahra Wagenknecht stammen könnten. | |
| Höcke schlägt eine „Staatsbürgerrente“ vor: Auch Selbstständige, | |
| Freiberufler und Beamte sollen in die Rentenkasse einzahlen; am besten soll | |
| der Staat diese zu einem Drittel finanzieren. Das klingt ein bisschen nach | |
| Bürgerversicherung Marke SPD. Ein großer Unterschied: Höckes Rente soll nur | |
| für Deutsche gelten. Wenn er von „Solidargemeinschaft“ redet, meint er das | |
| „deutsche Volk“. „Eine Solidargemeinschaft braucht Grenzen und einen | |
| Nationalstaat, der dieses Solidarsystem begrenzt und verwaltet“, sagte er | |
| kurz vor Weihnachten bei einem Online-Bürgerdialog in Erfurt. | |
| Mit einem ähnlichen Kurs, der auch Anklänge an den Nationalsozialismus | |
| nicht scheut, hat der Front National es in Frankreich zu einer Volkspartei | |
| gebracht. In Deutschland war genau das jahrzehntelang ein Tabu. Doch dieses | |
| Tabu zerbröselt. | |
| In den sozialen Netzwerken hat sich Höcke auf die Sozialdemokraten | |
| eingeschossen. „Unter Schröder verlor die #SPD ihre Seele, unter #Merkel | |
| ihre Würde und unter #Schulz wird sie ihre letzten Wähler verlieren“, | |
| twitterte er nach den Sondierungen zur Großen Koalition. Kurz zuvor hieß | |
| es: „Der Niedergang der #SPD ist eine Folge des fortwährenden Verrats an | |
| der eigenen Wählerschaft.“ Es ist dieses Bild, das Höcke immer wieder | |
| beschwört. | |
| ## Bislang hat die Partei kein stimmiges Konzept | |
| Ähnlich agiert Jürgen Pohl, 54, „Alarm!“-Chef und ehemaliger Büroleiter | |
| Höckes. Der Thüringer sitzt seit September im Bundestag. Im Wahlkampf hat | |
| der kleine runde Mann für sich selbst als „Volksanwalt“ geworben. Im | |
| Bundestag ist Pohl nun stellvertretender Vorsitzender des AfD-internen | |
| Arbeitskreises „Arbeit und Soziales“. Die Fraktion schickt ihn auch in den | |
| gleichnamigen Ausschuss des Bundestags. Wie Höcke macht sich Pohl für die | |
| „armutsfeste Staatsbürgerrente“ stark und eine Anhebung des gesetzlichen | |
| Mindestlohns. Bei einer ersten Rede im Bundestag zielte auch er auf die | |
| Sozialdemokratie: „Die soziale Sicherheit und Gerechtigkeit ist in | |
| Deutschland verlorengegangen.“ Das liege auch daran, dass die Linke | |
| zunehmend als arbeitnehmerfeindlich zu beurteilen sei. | |
| Nachdem CDU und SPD ihre Sondierungen abgeschlossen hatten, ließ Pohl | |
| verlauten, wer den Soli senke, müsse „im Gegenzug ein massives | |
| steuerfinanziertes Investitionsprogramm für Arbeitsplätze im Osten | |
| auflegen“. Abgesprochen war das wohl nicht. Wenige Minuten zuvor hatten die | |
| Fraktionschefs eine gegenteilige Mitteilung verschickt: „Eine erste | |
| Maßnahme zur Entlastung der Bürger wäre die überfällige Abschaffung des | |
| schon lange zweckentfremdeten Solidarzuschlags. Aber nicht einmal darauf | |
| hat man sich verständigt.“ Bleibt im Kern wohl die Frage, wie viel Staat | |
| die AfD will. | |
| Bislang hat die Partei kein stimmiges Konzept zur Steuer-, Wirtschafts- und | |
| Sozialpolitik. Im Grundsatzprogramm sprechen sich die Rechtspopulisten für | |
| den Mindestlohn aus, aber gegen die Einführung einer Erbschafts- oder die | |
| Wiederbelebung der Vermögensteuer. Weil das Thema in Partei und | |
| Wählerschaft umstritten ist, wurde es bislang bewusst umschifft. „Bei für | |
| die AfD bislang für Wahlerfolge nicht erforderlichen Themen (das gilt | |
| insbesondere für die Wirtschafts- und Sozialpolitik) muss sehr sorgfältig | |
| darauf geachtet werden, dass sich die Anhängerschaft nicht | |
| auseinanderdividiert“, hieß es schon vor gut einem Jahr in einem | |
| Strategiepapier zur Bundestagswahl. | |
| Das gilt auch für die Führungsriege der Partei. Die einen, Höcke und auch | |
| der mächtige alte Mann der AfD, der Partei- und Fraktionsvorsitzende | |
| Alexander Gauland, wollen sozialpopulistisch agieren, der | |
| Koparteivorsitzende Jörg Meuthen, Fraktionschefin Alice Weidel und auch | |
| ihre Vize Beatrix von Storch die Partei eher neoliberal aufstellen. So sehr | |
| Höcke mit dem Front National zu liebäugeln scheint, so kritisch beäugt von | |
| Storch diesen wegen seiner vermeintlich linken Sozialpolitik. Und was Höcke | |
| heute als „Staatsbürgerrente“ fordert, hat Meuthen vor nicht allzu langer | |
| Zeit als „Rentensozialismus“ scharf kritisiert. | |
| ## Der erste Schritt: ein Rentenkongress | |
| Ginge es nach den drei Ostländern Thüringen, Brandenburg und | |
| Sachsen-Anhalt, wo der radikal rechte Flügel um Höcke das Sagen hat, hätte | |
| der Bundesparteitag im Dezember seine Spitze verpflichtet, für die | |
| Erarbeitung einer „klaren sozialpolitischen Programmatik“ im Laufe des | |
| Jahres 2018 zu sorgen. Besonders intensiv sollten Rente und | |
| Krankenversicherung debattiert werden. Mit Verweis auf die anstehenden | |
| Vorstandswahlen befasste sich der Parteitag mit dem Antrag nicht. Doch auch | |
| der zuständige Bundesfachausschuss 11 der Partei will jetzt konkret werden. | |
| Der erste Schritt: ein Rentenkongress, organisiert gemeinsam mit dem | |
| zuständigen Arbeitskreis der Bundestagsfraktion – er soll noch im Frühjahr | |
| stattfinden. | |
| Vorsitzender sowohl des Bundesfachausschusses als auch des | |
| fraktionsinternen Arbeitskreises ist Uwe Witt, 58, aus Nordrhein-Westfalen. | |
| Er leitet auch die Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer, kurz AVA, die | |
| innerhalb der AfD das gemäßigtere Gegenstück zu Pohls „Alarm!“ ist. Pohl | |
| und Witt gehören zu zwei unterschiedlichen Strömungen in der Partei: | |
| Während Pohl und „Alarm!“ Höckes radikal rechtem „Flügel“ zuzurechne… | |
| ist Witt Sprecher der „Alternativen Mitte“, die in der Partei ein | |
| Gegengewicht zu eben diesem Flügel bilden will. | |
| Witt lehnt eine Erhöhung des Mindestlohns ab, private Vorsorge hält er für | |
| unverzichtbar, Leiharbeit müsse gleich bezahlt werden, dann sei die Sache | |
| vom Tisch. Zu viel Staat will Witt vermeiden. „Wir wollen auf keinen Fall | |
| eine neue DDR“, sagt er. Und betont, dass die politische Programmatik der | |
| Partei in den Landes- und schließlich im Bundesfachausschuss erarbeitet | |
| werde – im Bundesfachausschuss 11 sei niemand aus Thüringen dabei. | |
| Und doch weiß auch Witt, dass gegen Höcke und seinen Flügel ein | |
| Parteitagsbeschluss schwer durchzusetzen ist, das hat der letzte | |
| Bundesparteitag eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Und so könnte die | |
| sozialpolitische Programmatik die AfD vor eine neue Zerreißprobe stellen. | |
| 30 Jan 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article171092617/Das-sind-die-Front… | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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