# taz.de -- Bernd Riexinger über rechte Sozialpolitik: „Ein widerlicher Vers… | |
> Arbeiter und Flüchtlinge haben dieselben Interessen, sagt | |
> Linken-Parteichef Bernd Riexinger. Wie passt das zum parteiinternen | |
> Streit über Zuwanderung? | |
Bild: „So was geht ja nicht spurlos an einem vorbei“ – Bernd Riexinger | |
taz: Herr Riexinger, haben Sie in letzter Zeit mal wieder einen Krimi | |
gelesen? | |
Bernd Riexinger: Ich lese ja gerne Krimis. Am besten finde ich gerade die | |
Krimis von Christian von Ditfurth mit diesem Kommissar in Berlin, der | |
verliebt ist in seine Stellvertreterin. | |
Erkennen Sie sich wieder? | |
Nein. Aber das sind richtig gute Politkrimis. | |
Sie haben mal gesagt, Sie lesen immer dann Krimis, wenn es richtig stressig | |
wird. | |
Stimmt. | |
Zurzeit ist es also richtig stressig? | |
Ich habe überwiegend in der Weihnachtszeit, als ich völlig kaputt war, | |
Krimis gelesen. Es gab einfach keine Pause. Wahlkämpfe sind nun einmal | |
stressig. Und nach der Wahl ging es weiter. | |
Sie meinen die Auseinandersetzung, die zwischen den Fraktionschefs Sahra | |
Wagenknecht und Dietmar Bartsch auf der einen Seite und Ihnen und Katja | |
Kipping auf der anderen Seite tobte? | |
Ja, genau. So was geht ja nicht spurlos an einem vorbei. | |
Ist der Konflikt gelöst? | |
Hinter dem Ganzen stecken inhaltliche Differenzen. Da brauchen wir Klarheit | |
in der Sache. Sicher werden wir auch auf dem Parteitag darüber diskutieren. | |
Welche Differenzen denn? | |
Die erste Frage ist die Flüchtlingspolitik. Da bin ich persönlich der | |
Meinung, dass wir unsere Haltung – offene Grenzen für Menschen in Not – | |
nicht aufweichen dürfen. Und darin steckt natürlich auch die zweite Frage: | |
Wie bekämpfen wir den Rechtsruck? Ich denke, wir müssen klar dagegenhalten, | |
wenn rassistische oder nationalistische Gedanken verbreitet werden, und | |
auch im positiven Sinne Aufklärung leisten, indem wir mit den Leuten reden: | |
an den Stammtischen, in den Betrieben, in den Stadtteilen. Die dritte Frage | |
ist die Milieufrage. Die Linke hat in jungen, urbanen Milieus, in den | |
Großstädten gewonnen und bei Erwerbslosen und Arbeitern verloren. Bei uns | |
gibt es eine Debatte, ob wir quasi so eine Ersatz-Grünen-Partei werden und | |
die Arbeiterklasse verloren haben. Und ich halte diese Debatte für falsch. | |
Warum denn das? | |
Weil es keine Entweder-oder-Frage ist. Die neuen Mitglieder, die zu uns | |
kommen, haben ganz unterschiedliche Jobs – viele von ihnen sind in sozialen | |
Berufen wie der Pflege unterwegs, andere sind Koch oder Verkäuferin. | |
Letztens hat mir unser Mitarbeiter, der die Mitglieder betreut, erzählt, | |
dass wir neuerdings richtig viele Informatikerinnen und Informatiker bei | |
uns in der Partei haben. Zugleich machen wir aber auch Politik für | |
Menschen, die erwerbslos sind, die in sozialen Brennpunkten leben oder die | |
als Arbeiter malochen. Es geht darum, wie wir die Milieus verbinden, indem | |
wir ihre gemeinsamen Interessen vertreten, beispielsweise leidet eine | |
Studentin genauso unter den hohen Mieten wie jemand ohne Job. | |
Aber die Linke hat, wie Sie ja selbst sagen, bei Arbeitern, prekär | |
Beschäftigten und Arbeitslosen Stimmen verloren. Was machen Sie falsch? | |
Vor Jahren, als die Linke gegründet wurde und stark im Erwerbslosen- und im | |
Arbeitermilieu war, gab es keine andere Partei, mit der du protestieren | |
konntest. Momentan gilt für manche die AfD als Protestpartei. Aber wir | |
haben damit nicht die Lohnabhängigen verloren. Zum Beispiel wählen 14 | |
Prozent der Frauen, die gewerkschaftlich organisiert sind, die Linke. Das | |
ist neu. | |
[1][Die AfD wendet sich] gezielt an die deutschen Arbeiter_innen. Die Linke | |
will Arbeitnehmerinteressen verteidigen und offene Grenzen und | |
Freizügigkeit. Das passt doch gar nicht zusammen? | |
Doch. Im Kern haben Deutsche und Migranten die gleichen Interessen wie | |
Lohnabhängige. Nehmen Sie die Fabrik: Ein Daimler-Arbeiter in der Logistik, | |
der vor 2001 eingestellt wurde, hat 4.400 Euro brutto verdient, der | |
Leiharbeiter hatte dann 3.200 Euro und der Werkverträgler von heute, der | |
hat noch 1.700 Euro. Das heißt, durch die Prekarisierung der Arbeit haben | |
wir einen Lohnverfall von fast zwei Dritteln. Und jetzt gibt es zwei | |
Möglichkeiten: Entweder der Kernarbeiter, der tariflich noch gut bezahlt | |
wird, grenzt sich von dem Werkverträgler ab. Oder er sieht, dass sie | |
eigentlich gleiche Interessen haben. Und sie kämpfen zusammen für bessere | |
Arbeitsbedingungen, für höhere Löhne und gegen die Aufspaltung der | |
Beschäftigten in prekäre und Kernbeschäftigte. Und das ist eine Aufgabe der | |
Linken, die gemeinsamen Interessen in den Vordergrund zu stellen, sie auch | |
politisch zu formulieren und der Spaltung und Fragmentierung praktisch | |
entgegenzuarbeiten. Der gleiche Mechanismus greift auch bei Flüchtlingen, | |
da betreibt man die Abgrenzung nach außen. | |
Der Björn-Höcke-Flügel der AfD setzt jetzt stark auf Sozialpopulismus, | |
wettert gegen Neoliberalismus und fordert mehr Solidarität. Wird die AfD | |
[2][die härteste Konkurrentin der Linkspartei]? | |
Höcke und Co. betreiben nationalistische Hetze. Das ist ein widerlicher | |
Versuch, die Leute gegeneinander auszuspielen. Dem kann man nur offensiv | |
begegnen, indem man das deutlich macht. Nehmen Sie die Verkäuferinnen bei | |
H&M. 60 Prozent der Beschäftigten haben einen Migrationshintergrund. Es ist | |
lächerlich, hier in Deutsche und Nichtdeutsche zu unterteilen. | |
Sie sagen, das sei lächerlich. Aber sehen Sie deshalb die Aktivitäten der | |
AfD mit Gelassenheit? | |
Nein, gelassen bin ich nicht. Nationalismus ist gefährlich und | |
menschenverachtend. Wir zeigen klare Kante gegen rechte Hetze. Die AfD | |
macht einen Konflikt auf zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und | |
ohne Migrationshintergrund, zwischen Nationalstaat und internationaler | |
Politik. Und das ist genau der verkehrte Konflikt. Wir müssen deutlich | |
machen: Das stärkt nicht die Position der Beschäftigten, sondern schwächt | |
sie. Denn das Hauptaugenmerk wird nicht auf die Verursacher des Problems | |
gelenkt, darauf, dass das Kapital ganz großes Interesse an Prekarisierung, | |
an Spaltung, an geringen Löhnen hat. | |
Diesen Konflikt gibt es doch auch in Ihrer eigenen Partei. Sahra | |
Wagenknecht meint, wirtschaftlich motivierte Einwanderung sei falsch, die | |
Linke müsse die Interessen der Leute hier vor Ort vertreten, also nationale | |
Interessen. | |
Die Interessen der Beschäftigten werden nicht geschützt, indem wir die | |
Zuwanderung beschränken. Das ist im Übrigen gar nicht machbar. In einer | |
Welt, wie wir sie heute haben, können Sie keine Mauern um das eigene | |
Wohnzimmer bauen. Die Flüchtlinge von heute sind die Arbeiter von morgen. | |
Das Kapital hat großes Interesse, Billiglöhner in prekären Jobs | |
auszunutzen. Die werden in der Küche arbeiten, bei Amazon im Lager, in | |
Schlachthöfen oder Putzkolonnen. Es geht darum, sie zu organisieren. Die | |
Gewerkschaften haben das mit der ersten Generation der sogenannten | |
Gastarbeiter ganz gut hinbekommen. Sie haben sie organisiert, sind | |
Ausländerfeindlichkeit entgegengetreten. Das waren zum Teil kämpferische | |
Truppen, die wilden Streiks Anfang der 70er Jahre haben hauptsächlich | |
Migranten geprägt. | |
Sie waren diese Woche beim Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds | |
eingeladen. Der DGB hat ja vehement dafür geworben, dass die SPD in die | |
Große Koalition geht. Haben Sie verstanden, warum? | |
Das habe ich, ehrlich gesagt, nicht verstanden. All das, worüber wir jetzt | |
geredet haben, über prekäre Arbeit, Leiharbeit, Werkverträge, sachgrundlose | |
Befristungen – da ist vonseiten der Groko keine Verbesserung in Sicht. Im | |
Gegenteil, es gibt Öffnungsklauseln zur Arbeitszeit, was die Tarifbindung | |
eher weiter zerfleddert. Man kann höchstens sagen, die Große Koalition ist | |
ein bisschen besser als Jamaika. | |
Anstatt also die SPD in die Groko zu treiben, hätten die Gewerkschaften | |
eher sagen müssen: Stopp, macht das nicht? | |
Ich finde, die Gewerkschaften müssen deutlich machen, dass ihnen das zu | |
wenig ist. Und wenn es zu einer großen Koalition kommt, müssen sie in der | |
Lage sein, auch auf die Große Koalition Druck auszuüben und nicht quasi | |
hinterherzuscharwenzeln und sich viel zu stark an die SPD zu binden. | |
Ihre Kovorsitzende Katja Kipping hat ja jetzt die Parole „Projekt 15 | |
Prozent“ für die Linke ausgegeben. Die SPD ist auch auf dem Weg dahin. | |
Sieht so die Annäherung beider Parteien aus? | |
Knapp die Hälfte aller SPD-Wähler will keine Groko. Die spannende Frage | |
ist: Was machen die? Gehen sie nach links, gehen sie in den | |
Nichtwählerbereich oder gehen sie gar nach rechts. Ich kann aber sagen: | |
Seht mal her, die Linke ist die bessere Wahl. | |
Aber steckt die Linke nicht in einem Dilemma? Einerseits wollen Sie davon | |
profitieren, wenn die SPD noch schwächer wird, aber andererseits gibt es | |
mit einer derart geschwächten SPD für längere Zeit keine Option mehr auf | |
ein rot-rot-grünes Bündnis. | |
Die Groko löst ja die Probleme nicht. Wir machen Angebote an die Anhänger | |
der SPD, mit uns gemeinsam Druck zu machen für mehr soziale Gerechtigkeit, | |
für mehr Personal in Bildung und Pflege, für bezahlbare Wohnungen zum | |
Beispiel. | |
Es gibt ja noch eine andere Möglichkeit. Sahra Wagenknecht will [3][eine | |
neue linke Volkspartei] gründen, mit Teilen von SPD und Grünen. | |
Ich halte den Ansatz für falsch. Ich sehe nicht, wo da abtrünnige | |
SPD-Flügel oder Grüne wären, die nur drauf warten, dass Sahra Wagenknecht | |
sie einsammelt. Es geht darum, die Linke weiter zu stärken. Wenn wir über | |
neue Formationen diskutieren, ist das eher hinderlich. | |
Wie sehr braucht die Linke Sahra Wagenknecht? | |
Es bringt jetzt nichts, wenn wir immer über Sahra Wagenknecht diskutieren. | |
Es ist die Entscheidung von Sahra Wagenknecht, was sie da machen will. | |
Außerdem hat sie bisher nicht auf den Tisch gelegt, was sie eigentlich | |
will. Die Mehrheit unserer Mitglieder will keine neue Partei gründen, schon | |
gar nicht wichtige Kerne unseres linken Profils aufgeben. Sie wollen, dass | |
die Partei Die Linke stärker wird. | |
Sahra Wagenknecht kommt ja nicht mehr in den Parteivorstand. Da werde sie | |
immer kritisiert. | |
Die Fraktion ist ja kein separater Klub. Alle Mitglieder haben ihre Mandate | |
der Partei zu verdanken. Ich halte es für selbstverständlich, dass das | |
Spitzenpersonal im Parteivorstand auftaucht. | |
1 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
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