# taz.de -- Linksparteichefin über Mietenpolitik: „Enteignungen sind legitim… | |
> Lassen Eigentümer ihre Häuser leerstehen, will die Linke sie enteignen. | |
> Und Parteichefin Katina Schubert ist guter Hoffnung, dass die SPD da | |
> mitzieht. | |
Bild: Schon 2013 waren die Slogans die gleichen; verbessert hat sich die Lage f… | |
taz: Frau Schubert, wir sitzen hier in der Rudi-Dutschke-Straße. Lassen Sie | |
uns über Enteignungen reden! | |
Katina Schubert: Gerne. | |
Der Leitantrag für den Landesparteitag am Samstag fordert Enteignungen bei | |
spekulativem Leerstand von Häusern. Ist das ein reales Problem in Berlin? | |
Ja. Wenn ich durch die Stadt gehe, fallen mir immer wieder Häuser oder | |
Gebäudeteile auf, die leerstehen. Und da frage ich mich: Warum eigentlich? | |
Das Problem ist: In den Bezirken fehlt das Personal, um diese Fälle zu | |
überprüfen. Aber in Fällen, in denen Gebäude bewusst leer stehen gelassen | |
werden oder leer gezogen werden, um damit große Gewinne zu machen, ist es | |
gerechtfertigt, wenn die öffentliche Hand sagt: Bis hierhin, und nicht | |
weiter! | |
Wie soll das konkret funktionieren? | |
Es wird festgestellt, wer der Eigentümer ist; er muss nachweisen, dass das | |
Haus entsprechend genutzt wird. Verweigert er sich, wird geprüft, inwieweit | |
er enteignet werden kann. Da gibt es Möglichkeiten, es handelt sich ja | |
nicht um ein ungewöhnliches Verfahren: Wenn der Bund Autobahnen bauen will, | |
ist er ganz fix mit dem Enteignen von Grundstücken. | |
Das heißt: der Eigentümer wird gezwungen, zu verkaufen? | |
Genau. Natürlich nicht entschädigungslos, das wäre rechtswidrig. Wir, also | |
Rot-Rot-Grün, haben im Zweckentfremdungsverbotsgesetz – bei dem es auch um | |
das Verbot von Ferienwohnungen geht – schon etwas ähnliches vorgesehen: Da | |
gibt es eine Treuhänderregelung. Wenn Spekulationsleerstand offenkundig | |
ist, werden beispielsweise Wohnungen wieder vermietet; die Mieteinnahmen | |
gehen über einen Treuhänder an den Eigentümer. | |
Macht die SPD da mit? | |
Beim Zweckentfremdungsverbotsgesetz hat sie ja schon mitgemacht. | |
Und bei der Bekämpfung des spekulativen Leerstands? | |
Das wird man sehen. Aber natürlich hat auch die SPD damit zu kämpfen, dass | |
sie sich als Mieterpartei bezeichnet, aber ihre Klientel nicht mehr | |
angemessen vertreten kann. Insofern bin ich gar nicht so pessimistisch, | |
dass man mit der SPD auch über diese Frage reden kann. | |
Aber der Begriff Enteignung hat zumindest sprachlich eine neue Radikalität, | |
die viele Menschen in der Stadt abschrecken dürfte. | |
Nein, ich würde nicht sagen, dass es eine sprachliche Radikalität ist. | |
Letztendlich gibt es ein großes gesellschaftliches Interesse an bezahlbarem | |
Wohnraum. Insofern sind auch Enteignungen legitim, wo Wohnraum | |
zweckentfremdet oder spekulativ leer steht. Es geht nicht um Enteignungen | |
von Eigenheimen oder Datschenbesitzer*innen. | |
Es gäbe ja noch andere Politikfelder, wo Enteignungen berechtigt wären. Ist | |
ihre Forderung also nur der erste Schritt? | |
Das folgt jetzt erst mal einem dringenden Bedürfnis. Ansonsten reden wir | |
eher von Rekommunalisierung im Bereich der öffentlichen Infrastruktur. Um | |
die Energienetze von Strom und Gas, die S-Bahn. | |
Da steht innerhalb von Rot-Rot-Grün die Frage an, ob das Land einen eigenen | |
Fuhrpark aufbauen soll. | |
Wir als Linke wollen das, um damit Abstimmungsschwierigkeiten zu vermeiden. | |
Wir brauchen die S-Bahn als Rückgrat des Berliner Nahverkehrs. Und ein | |
eigener Fuhrpark kann auch Spekulationsabsichten reduzieren: Sobald sich | |
die Waggons in landeseigenem Besitz befinden, steht eben nicht der Profit | |
im Vordergrund, sondern das Land kann damit entsprechend den Bedürfnissen | |
der Fahrgäste arbeiten. In der Koalition ist das aber noch nicht | |
entschieden. | |
Dass die S-Bahn, die der staatseigenen Deutschen Bahn gehört, einfach | |
gekauft werden kann – das haben Sie abgeschrieben? | |
Die Deutsche Bahn arbeitet ja sehr Rendite orientiert; im Moment hat sie | |
keine Absicht, die S-Bahn zu verkaufen. | |
Die SPD ist sogar offen für ein landeseigenes Eisenbahnunternehmen. | |
Ja, da sind wir auch offen. Na klar. Wenn es da eine realistische | |
Perspektive gibt, dass wir die S-Bahn in Landeshand bekommen mit | |
Brandenburg zusammen, dann wäre das natürlich eine Zukunftsoption. | |
Über welchen Zeitraum reden wir hier? | |
Puh, ich fürchte über einen längeren. | |
Was sind denn die realistischen Optionen, die Energienetze wieder in | |
öffentliche Hand zu bekommen? | |
Das liegt alles bei Gericht, wegen der Ausschreibungen. | |
Derzeit können Sie also nichts konkret tun? | |
Im Moment ist das schwierig. Die Gerichte müssen jetzt klären, inwiefern | |
das Land darauf einen Zugriff bekommt. Da muss die Politik jetzt abwarten. | |
Wie lange wird das dauern? | |
Es gibt leider keinen Zeithorizont, das macht es uns als Politik auch so | |
schwer. Und das ist ein Problem. | |
Im Leitantrag des Parteitags steht auch eine „Privatisierungsbremse“, damit | |
etwa nicht noch eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft verkauft werden | |
kann wie mal die GSW. | |
Dass der Verkauf der GSW ein Fehler war, steht völlig außer Frage. Die | |
Privatisierungsbremse ist schon zwischen SPD, Linken und Grünen verabredet. | |
Wir haben aber keine Zweidrittelmehrheit im Parlament für die nötige | |
Verfassungsänderung. Wir werden jetzt einen Gesetzentwurf ausarbeiten und | |
dann den normalen politischen Weg durchs Parlament beschreiten. Das heißt, | |
dass jetzt der Druck auf die CDU aufgemacht werden muss. Ohne sie gibt es | |
keine Zweidrittelmehrheit. | |
Und wenn die Union nicht zustimmt? | |
Dann ist es Zeit zu prüfen, ob wir genug Unterstützung haben in der Stadt, | |
um die Bremse durch ein Volksbegehren umzusetzen. | |
Für ein verfassungsänderndes Volksbegehren gelten besonders hohe Hürden: | |
Statt wie sonst müssen zum Beispiel 500.000 statt nur rund 175.000 Menschen | |
unterschreiben. | |
Trotzdem müssen wir das prüfen. Ich halte eine solche Privatisierungsbremse | |
nach den schlechten Erfahrungen aus den 90ern und 00er-Jahren für zwingend. | |
Die Gruppen, die bei der Mietendemo mitmachen, würden die Forderung nach | |
einer Privatisierungsbremse sicher unterstützen. Ist der Protest am Samstag | |
auch schon so eine Art Gradmesser für die Unterstützung in der | |
Gesellschaft? | |
Die Organisatoren sind sehr darauf bedacht, ihren Protest unabhängig von | |
den Parteien durchzuführen. Das ist auch richtig: Es muss einen Raum geben | |
für die außerparlamentarische Arbeit. Wir als Linke verstehen uns zwar als | |
eine Art Transmissionsriemen, aber wir haben kein Recht, das zu | |
instrumentalisieren. | |
Für ein Volksbegehren für die Privatisierungsbremse müssten Sie aber genau | |
das machen. | |
Nein, wir können das unterstützen, müssen es aber nicht | |
instrumentalisieren. | |
Rot-Rot-Grün müsste doch das Volksbegehren selbst initiieren. | |
Jetzt geht es erst mal um die Mietendemo am Samstag; da halten wir uns als | |
Partei zurück. Was die Privatisierungsbremse angeht: Wenn die CDU sich | |
verweigert sind wir in der Situation, dass wir auf alle Initiativen, die | |
dafür in Frage kommen – Mietinitiativen, Gewerkschaften, Kirchen, etc, | |
zugehen werden und fragen: Was haltet ihr davon? Dann muss die | |
Zivilgesellschaft aktiv werden. | |
Auf ihre Initiative. | |
Ja nu. Aber erst gehen wir den parlamentarischen Weg. | |
Die Mietendemo am Samstag: Ist das Gegen- oder Rückenwind für die Linke? | |
Ich betrachte das als Rückenwind. Die Demonstration ist eine super Sache. | |
Wir unterstützen das Anliegen und viele Mitglieder unserer Partei werden da | |
sein. Aus dem Aufruf geht klar hervor, dass diese Demo in Opposition zum | |
herrschenden Mietrecht steht. Um den Mietenanstieg zu begrenzen muss vor | |
allem im Bundesrecht viel verändert werden. | |
Im Februar war ihre Partei erstmals Nummer eins in einer Meinungsumfrage. | |
Hat die Linke in Berlin den Anspruch, Volkspartei zu sein? | |
Ich weiß nicht, ob dieser Begriff überhaupt noch stimmig ist. In Berlin | |
liegen vier Partei fast gleichauf bei 20 Prozent. Ich denke aber wohl, dass | |
wir als Berliner Linke die ganze Stadt im Blick haben. Auch mit unserer | |
Mietenpolitik, denn 85 Prozent sind Mieterinnen und Mieter. Unsere | |
Anhängerschaft sind zum einen die urbanen, hippen, jungen Innenstädter, zum | |
anderen die Prekären. Zum Teil ist das auch deckungsgleich, viele Menschen | |
im Ostteil der Stadt, Erwerbslose und abhängig Beschäftigte, Migrant*innen, | |
Queere, Feminist*innen… | |
Hat sich die SPD in Berlin denn daran gewöhnt, dass die Linke zukünftig | |
stärker sein könnte? | |
Nein. | |
Kann das zum Problem werden? | |
Im letzten Senat, dem schwarz-roten, ist nichts zusammengelaufen. Die waren | |
so tief in ihren Gräben verankert, dagegen ist Rot-Rot-Grün ein Hort der | |
Harmonie und der konstruktiven Zusammenarbeit. Wir beschäftigen uns derzeit | |
jedenfalls nicht mit der Frage, ob wir bei der nächsten Wahl stärkste | |
Partei werden und wer dann Regierender Bürgermeister wird. | |
Als die Linke 2002 bis 2011 erstmals mit regierte, haben viele die Partei | |
so gesehen, dass sie bloß Senatspolitik abnickte. Und jetzt, in der | |
rot-rot-grünen Koalition? | |
Meine Erfahrung an der Basis ist, dass die meisten mit der politischen | |
Entwicklung überwiegend zufrieden sind, auch mit unserer Performance in der | |
Koalition. Aber es gibt Diskussionen und das ist gut so. Die Schulbaufrage | |
wird in der Partei intensiv diskutiert. Vor dem Hintergrund der Erfahrung | |
der rot-roten Regierungszeit gibt es immer die Angst Fehler zu machen und | |
Strukturentscheidungen zu treffen, die dann nicht mehr rückgängig zu machen | |
sind. Wir sind eine lernende Partei. | |
Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Partei? Öffentlich sind Sie deutlich | |
weniger wahrnehmbar als etwa ihr Vorgänger Klaus Lederer. | |
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Senatorinnen und der Senator ganz | |
anders wahrgenommen werden als die Parteivorsitzende. Die Außenwirkung | |
läuft vor allem über sie und die Fraktionschefs. Meine Aufgabe sehe ich vor | |
allem darin, den Parteiprozess und die programmatische- stadtpolitische | |
Entwicklung voranzutreiben und in der Auseinandersetzung mit unseren | |
Senatsvertretern die Position der Partei einzubringen. | |
Sie waren stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, zwischenzeitlich | |
mal ganz raus aus der Politik und jetzt auf Landesebene ganz oben. | |
Achterbahnfahrt, Comeback-Frau? – wie beurteilen Sie ihren Werdegang? | |
Ich bin jetzt da, wo ich am meisten bewirken, meine Kenntnisse und | |
Erfahrungen am besten einbringen kann. Die Auseinandersetzung in der | |
Bundespartei ist eine ganz andere und geht viel mehr nach innen. Hier geht | |
es tatsächlich darum, Politik zu gestalten. | |
Sie stehen für ein rot-rot-grünes Modell, am besten auch auf Bundesebene. | |
Ihre Brandenburger Amtskollegin Diana Golze hat jüngst ein Bündnis mit der | |
CDU nicht ausgeschlossen. Was sagen Sie dazu? | |
Sie hat erstmals nur gesagt, dass Demokraten miteinander reden können | |
müssen. Das würde ich nicht hochbauschen. Möglicherweise sind die | |
Brandenburger Verhältnisse irgendwann so, dass die demokratischen Parteien | |
miteinander reden müssen, um zu verhindern, dass die AfD an die Regierung | |
kommt. Für die Linke insgesamt ist eine Zusammenarbeit mit der CDU kein | |
Modell, schon gar nicht für die Bundesebene. Und in Berlin ist so etwas | |
schlicht nicht vorstellbar. | |
Die Kritik an der fehlenden Aufklärung der rechtsterroristischen | |
Anschlagsserie in Neukölln ist auch in ihrer Partei groß. Was erwarten Sie | |
diesbezüglich von der neuen Polizeipräsidentin? | |
Ich hoffe, dass sie die Aufklärungsintensität steigern kann und dafür auch | |
mehr Kapazitäten bereitstellt. Nach den Erfahrungen mit dem NSU ist das | |
nicht zu unterschätzen. Dass die Polizei weiter im Dunkeln stochert, ist | |
ein Problem – es ist nicht hinnehmbar, dass eine Bande brandschatzend durch | |
Neukölln zieht. | |
13 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Erik Peter | |
Bert Schulz | |
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