Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zum 100. Geburtstag von Mala Zimetbaum: Die Heldin von Auschwitz
> Mala Zimetbaum rettete viele Häftlinge im KZ, verliebte sich und floh
> schließlich – erfolglos. Sie starb als Heldin, ihren Namen kennen aber
> nur wenige.
Bild: „Ich sterbe als Heldin“: Als sie gehängt werden sollte, ohrfeigte Ma…
Antwerpen taz | Sie werde als Heldin sterben, er aber werde verrecken wie
ein Hund – das soll Gefangene Nummer 19880 dem SS-Mann, der sie bewachte,
ins Gesicht geschrien haben. Ob sie es genau so gesagt hat, ist nicht
verbrieft. Sie, die nur „Mala die Belgierin“ genannt wurde, sollte an
diesem Tag, dem 15. September 1944, öffentlich im Frauenlager von
Auschwitz-Birkenau hingerichtet werden.
Heimlich allerdings schnitt sich Mala Zimetbaum, auf der Lagerstraße
wartend, mit einer Rasierklinge die Pulsadern auf. Wer sie ihr zugesteckt
hatte, ist nicht bekannt. Als der SS-Bewacher es merkte und sie hindern
wollte, schlug sie blutend auf ihn ein. Die Symbolik der Szene ist sehr
stark, denn nun klebte im Gesicht des Nazis, wie auch an seinen Händen,
Blut. Andere Internierte des Frauenlagers standen dabei, deshalb ist diese
Szene vielfach bezeugt.
Heldin, das ist etwas Großes, etwas, das in die Geschichte eingeht, um
Nachgeborenen Orientierung zu bieten. Möglich, dass Mala Zimetbaum sich
doch irrte: Ja, sie ist als Heldin gestorben, aber gekannt wird ihr Name
heute kaum. Keine Straße, kein Platz, keine Schule ist in Deutschland nach
ihr benannt. Ihres 100. Geburtstags am 26. Januar, einen Tag vor dem
Gedenktag für die Opfer des Holocaust, wurde nicht gedacht. Dabei hat sie
das Menschsein und die Liebe verteidigt, in Auschwitz, in der Hölle also.
„Ich hab sie gekennt“, sagt Leo Schumer. „Gekennt“, wie im Jiddischen. …
ruft es mehr, als er es sagt, ein paar Tage vor Mala Zimetbaums Geburtstag
ins Telefon. Und später auf seinem Sofa in der sonnendurchfluteten Wohnung
in einem kleinen Ort bei Antwerpen, sagt er es wieder, sagt es, und wenn er
an sie denkt, verändert sich sein Gesicht, sein Lachen wird weich: „Ich war
verliebt in das Fräulein. Sie war so schön. Und so blond.“ Seine Liebe zu
der jungen Frau war die eines Fünf-, Sechsjährigen, der er damals 1941/42,
war. „Ich sehe sie immer noch genau vor mir.“
Mala Zimetbaum kam dreiundzwanzigjährig oft ins Haus der Schumers, um dort
zu essen. Warum? Leo Schumer erklärt es so: Als mit der deutschen Besetzung
Belgiens ab Mai 1940 und der darauf folgenden wirtschaftlichen Ausbeutung
durch die Nazis für viele, auch für die Familie Zimetbaum, die
Existenzgrundlage zusammenbrach, luden wohlhabende Antwerpener Juden – und
Schumers Eltern waren es – Ärmere zu sich nach Hause zum Essen ein. Sein
Vater hatte eine Diamantenschleiferei, Antwerpen ist Diamantenstadt.
Kennengelernt hatten die Schumers die Zimetbaums, weil sein Großvater in
der kleinen Synagoge betete, die Mala Zimetbaums Vater im jüdischen Viertel
unterhielt, das damals östlich der Bahntrasse zum Zentralbahnhof lag.
## Geblieben, der Eltern wegen
Mala Zimetbaum ist im Januar 1918 in Brzesko im polnischen Galizien
geboren, das jüngste von fünf Kindern, eines starb früh. 1928, als sie zehn
war, siedelte sich ihr Vater mit seiner Familie in Antwerpen an. Warum er
in Mainz, wo die Zimetbaums von 1913 bis 1917 wohnten, nicht bleiben
konnte, ist nicht bekannt. Nur dass in der Familie, als sie zurück in Polen
ist, vor allem deutsch gesprochen wurde und sie „die Deutschen“ genannt
wurden. Das hat die vier Jahre ältere Schwester von Mala, die den Holocaust
überlebte, so berichtet.
Als die Familie nach Antwerpen zieht, ist der Vater bereits blind.
Finanziell über die Runden kommen sie nur, weil die Mutter und die älteren
Geschwister zum Familieneinkommen beitragen. In Antwerpen lebten vor dem
Zweiten Weltkrieg etwa 60.000 Juden und Jüdinnen, viele von ihnen
arbeiteten im Diamantengewerbe, so auch Geschwister von Mala und deren
Ehepartner. Mala, eine hervorragende Schülerin, die aufgrund der
angespannten Finanzlage nicht auf eine höhere Schule kann, wird Näherin.
Nebenbei macht sie Bildungskurse, interessiert sich, wie viele Teenager
damals, für die zionistische Bewegung, verliebt sich, verlobt sich (er wird
1944 in Auschwitz ermordet).
Sie wechselt später, aufgrund der Sprachen, die sie beherrscht, in die
Verwaltung der American Diamond Company. Das Leben könnte normal sein, wäre
da nicht die zunehmende Bedrohung durch die Nazis. Anders als viele, die
sich in Belgien noch sicher fühlen, spürt Mala Zimetbaum sie, knüpft
Kontakte zur örtlichen Widerstandsgruppe, hilft den Brüdern ihres Verlobten
in die Schweiz zu emigrieren. Als sich die American Diamond Company auf
Geheiß der Nazis auflösen muss und man ihr vorschlägt, wie die
Firmeninhaber in die USA auszureisen, bleibt sie wegen ihrer Eltern.
## Reiseführer durch die Vergangenheit
Leo Schumer ist jetzt der Reiseführer durch diese Vergangenheit, er zeigt
den ehemaligen Sitz der Gestapo in Antwerpen und das Denkmal für die
Holocaustopfer unweit davon. Die Straße liegt westlich der Bahnlinie zum
imposanten, dem Pantheon nachgebauten Zentralbahnhof und nun mitten im
neuen jüdischen Viertel. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die
Juden und Jüdinnen auf der anderen Seite des Bahndamms angesiedelt. In
Antwerpen ist die jüdische Gemeinde immer lebendig geblieben, jetzt gehören
etwa 25.000 Menschen dazu. Da viele von ihnen orthodox sind, sind sie im
Stadtbild sehr sichtbar.
Auf die östliche Seite der Bahnstrecke, da, wo das jüdische Quartier früher
war, fährt Schumer nicht gern. „Dorten erinnert mich alles an meine
verlorene Familie“ – zehn Menschen sind umgebracht worden. „Dorten“ sagt
er, wieder färbt das Jiddische sein Deutsch.
Trotzdem, er macht es, fährt unter der Eisenbahnbrücke durch auf die andere
Seite. Auf der Straße Plantin en Moretuslei zeigt er auf ein Haus, „da bin
ich geboren“. Es ist mit Stuck verziert und mit Balkonen. Kurz darauf biegt
er links in die Kroonstraat, und zeigt auf ein Haus, „da wohnte meine
Tante“ (ermordet mit Mann und Kindern in Auschwitz), er deutet nach vorne,
„da wohnten meine Großeltern“ (ermordet in Auschwitz) und dann verliert er
die Orientierung bei der Suche nach der Marinisstraat.
Der Fotograf, der mit im Auto sitzt und vor nicht allzu langer Zeit in der
Gegend gewohnt hat, zeigt ihm den Weg. Unterwegs deutet Schumer auf ein
weiteres Haus, das einmal Rundbogenfenster gehabt haben muss, die jetzt
weiß überstrichen sind. „Dort hatte Mala Zimetbaums Vater seine Synagoge“
(auch er, seine Frau, die drei Enkel, die bei ihnen wohnten, wurden in
Auschwitz ermordet).
Endlich biegt Schumer in die Marinisstraat, parkt vor dem Haus Nummer 7,
Knöterich rankt sich die Balkonbrüstungen hoch bis zum Dach. „Da wohnte
Mala Zimetbaum“, sagt er. Eine Bronzetafel an der Fassade erinnert an sie.
„Für Mala Zimetbaum, Symbol der Solidarität, die am 22. August 1944 starb�…
übersetzt der Fotograf. Das Datum irritiert. Es gibt mehrere Todestage von
Zimetbaum. Der 15. September ist der wahrscheinlichste. „Am Anfang“,
Schumer meint den Anfang nach dem Ende des Holocaust, „hat jeder was
anderes gesagt.“
Das Haus ist schmal, drei Fenster in der Breite, vier Stockwerke hoch.
Plötzlich öffnet ein Mann die Haustür, tritt auf die Straße, Antwerpener
ist er, freundlich, aufgeschlossen. 1942 sei er geboren. Er wohnt jetzt im
dritten Stock, wo die Zimetbaums einst lebten. Ja, er kenne die Geschichte
und wisse, dass Mala in drei Tagen einhundert Jahre alt würde.
Seine Frau kommt kurz danach ebenfalls die Treppe herunter. Es stellt sich
heraus: eine Deutsche. Aus Berlin. Ihr gehört das Haus jetzt. Sie hat einen
weißblühenden Rosenstrauch unter die Gedenktafel gepflanzt und gebietet
scharf, dass kein Foto in der Zeitung gedruckt werden dürfe, auf der er
nicht blüht. Tags darauf entschuldigt sie sich per E-Mail für ihren Ton.
## Pogrom in Antwerpen
Mit der Okkupation durch die Deutschen werden auch in Belgien
Einschränkungen für die jüdische Bevölkerung angeordnet. Allerdings waren
die Bewohner in Belgien nicht nach Religion registriert. Es wurde
nachgeholt. Mala Zimetbaum wurde im Dezember 1940 im amtlichen
Judenregister eingetragen. Als Staatenlose.
Im April 1941 kommt es in Antwerpen zu einem Pogrom. Deutsche und flämische
Nazis brennen zwei Synagogen nieder, plündern jüdische Geschäfte. Ab 1942
wurde auch den Zimetbaums immer klarer: Es wird gefährlich. Malas Bruder
wird zur Zwangsarbeit verpflichtet, flieht, taucht mit einer der Schwestern
unter. Mala überredet ihre Eltern, sich ebenfalls zu verstecken, sucht
einen Unterschlupf für sie, findet einen in Brüssel.
In Belgien ist die Bevölkerung in großem Maße bereit, Juden zu helfen. Es
kommt jedoch nicht mehr zum Umzug. Mala Zimetbaum wird, kurz bevor die
Familie untertauchen kann, am 22. Juli 1942 bei einer Razzia am
Zentralbahnhof verhaftet. Man bringt sie in die Kaserne Dossin in Mechelen,
30 Kilometer südlich von Antwerpen. Dort wurden Juden und Jüdinnen
interniert, bevor die Deportationen nach Auschwitz begannen.
Die Kaserne, ein von vier Seiten umbauter Appellplatz, ist heute
großenteils in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Der Platz im Innenhof, von wo
aus die jüdischen Männer, Frauen und Kinder deportiert wurden, ist nun ein
in die Erde eingelassenes Parkhaus, dessen Dach der etwas erhöhte Park der
Wohnanlage ist. Parken, das bedeutet: bleiben.
Das Museum, das neben der Kaserne errichtet wurde, wo über die Geschichte
des Holocaust in Belgien informiert wird, sieht dagegen wie ein hohes,
kastiges Silo ohne Fenster aus. Die Architektur ist absichtlich so gewählt.
Es gab kein Entrinnen. Auch Fotos von Mala Zimetbaum – und Postkarten, die
sie von Auschwitz schrieb, sind dort ausgestellt.
## Sie unterläuft die Befehle
In der Kaserne Dossin wird Mala Zimetbaum eine Arbeit bei der Registrierung
der eintreffenden Juden und Jüdinnen zugeteilt. Schon da nutzt sie alle
Möglichkeiten, um die Befehle zu unterlaufen. Sie findet Wege, Nachrichten
nach außen zu schmuggeln, auch Schmuck Internierter, der hätte abgegeben
werden müssen. Ein Bote bringt ihn zu ihrer Mutter, die ihn den Familien
zurückgibt. Mala Zimetbaum schafft es zudem, Kinder vor dem Abtransport ins
KZ zu bewahren, indem sie sie von den Deportationslisten streicht. Ihre
Flucht plant sie auch, sie will mit ihrem Verlobten in die unbesetzte Zone
in Frankreich. Kurz zuvor aber kommt sie selbst auf die Liste und wird am
15. September 1942 nach Auschwitz deportiert.
„Wenn du Jude warst, musstest du damals jeden Tag Glück haben“, sagt
Schumer in seinem Wohnzimmer. Er gehört zu denen, die aus allen brenzligen
Situationen gerettet wurden. Acht, neun Jahre alt war er, als er mit seiner
Schwester und seinen Eltern versuchte, über Frankreich in die Schweiz zu
gelangen. Über ein Jahr dauerte die Flucht, mitunter waren die Kinder von
den Eltern getrennt; immer war im entscheidenden Moment jedoch jemand da,
der ihnen half. In der Schweiz wohnten die Eltern seiner Mutter. Die
Großmutter war die Schwester Rosa Luxemburgs. In der Familie habe man sich
ein wenig unwohl gefühlt wegen ihr, erzählt er. Warum? „Weil sie
Kommunistin war.“
Mala Zimetbaums Glück war anders als Schumers. Sie kam nicht sofort ins
Gas, als sie zwei Tage nach der Abfahrt aus Belgien in Auschwitz ankam. Sie
wurde einem Arbeitskommando zugeteilt. Da sie viele Sprachen beherrschte,
bekam sie sogar eine bessere Arbeit als die meisten ihrer Mitinternierten.
Sie wurde Läuferin, lebende Post, Botin also im Lager. Dabei lernte sie
viele Leute, aber auch das Lager selbst und die Hierarchien gut kennen. Das
kommt ihrer eigentlichen Absicht und ihrem Selbstverständnis zugute,
nämlich: so vielen Menschen wie möglich helfen, Widerstand leisten, auf
Unmenschliches mit Menschlichem reagieren.
Widerstand im KZ ist unsichtbares Handeln. Überlebende haben vielfach
bestätigt, dass sie durch Mala Zimetbaum gerettet wurden. Sei es, dass sie
ihnen Essen organisierte oder anständige Kleidung. Dass sie Medikamente
auftrieb oder dafür sorgte, dass Schwache leichtere Arbeit zugeteilt
bekamen. Auch soll sie Informationen von außen über die Weltlage
weitergegeben haben. Sie hat versucht, über Verwandte von Insassen in
anderen Lagerblöcken etwas zu erfahren und Austausch hergestellt. Sie hat
Tote auf Selektionslisten gesetzt, um so noch Lebende zu retten.
Sie hat auch Sachen von Kameradinnen versteckt, etwa wenn eine
Entlausungsaktion anstand. Bei Entlausungen wurde die Kleidung in ein
Entlausungsbad geworfen, die die Insassinnen dann nass zurückbekamen. Zogen
sie sie nicht nass an, blieben sie nackt. Da Zimetbaum offenbar zudem gute
Innensichten ins Krankenrevier hatte, wusste sie oft, wann Selektionen
bevorstanden. Dann warnte sie Kranke, damit sie sich gesundmelden konnten,
denn Selektion bedeutete: ab ins Gas.
## Mala und Edeks Wahnsinnsliebe
Irgendwann im Jahr 1943 passiert etwas: Die Jüdin Mala Zimetbaum,
Häftlingsnummer 19880, und der fünf Jahre jüngere polnische Katholik Edward
Galinski, genannt Edek, Häftlingsnummer 531, verlieben sich ineinander. Er
kam schon 1940 als politischer Häftling ins KZ. Als Schlosser war er öfters
auch im Frauenlager tätig. Es muss eine Wahnsinnsliebe zwischen den beiden
gewesen sein, gepaart mit großer Leidenschaft. Sie berührten sich nicht und
dennoch schienen sie vereint, berichten überlebende Mithäftlinge. Sie
erzählen auch, dass sich die beiden im Röntgenraum der Krankenbaracke oft
trafen, dass der Tisch, auf dem der Lagerarzt Josef Mengele tagsüber seine
Versuche machte, abends das Liebeslager der beiden war.
Im Frühsommer planen Edek Galinski und Mala Zimetbaum ihre Flucht. Etwa 900
Menschen sind aus Auschwitz geflohen, wie viele wieder gefangen und in der
Regel sofort hingerichtet wurden, ist nicht klar, manche sagen: zwei
Drittel wurden wieder gefasst, andere gehen von mehr aus. Für die Flucht
organisierte sich Edek eine SS-Uniform, Mala wird den Anzug eines
KZ-Arbeiters überziehen und ein Waschbecken über dem Kopf tragen, das ihr
Gesicht verdeckt, so der Plan. Ein Passierschein wird wohl mit Hilfe einer
Freundin, die als Häftling in der Verwaltung arbeitete, besorgt. Der
falsche SS-Mann (Edek) bringt den falschen Arbeiter (Mala) angeblich zu
einem Auftrag außerhalb des KZs.
Am 24. Juni 1944 gelingt den beiden die Flucht. 13 Tage sind sie in
Freiheit. Mala Zimetbaum ist die erste Jüdin, die aus Auschwitz flieht. Am
6. Juli aber werden sie, die genauen Umstände sind unklar, von einer
Patrouille gefasst und wieder nach Auschwitz gebracht. Sie werden verhört,
sie werden gefoltert, die SS will Namen von Mitwissenden haben. Sie
verraten niemanden.
Und bekommen heimlich Unterstützung: Einigen Quellen zufolge soll eine
Wache es ihnen ermöglicht haben, sich nachts in einer Bunkerzelle zu
treffen, um sich abzusprechen. Zu umarmen. Abschied zu nehmen. Andere
Quellen sagen, dass nur dabei geholfen wurde, Nachrichten zwischen Edek und
Mala zu übermitteln. Noch heute sind in den Bunkern in Auschwitz, in denen
sie einsaßen, ihre Namen, die sie in die Wand ritzten, zu sehen. Edek
Galinski stirbt am 15. September 1944. Seine letzten Worte: „Lang lebe
Polen.“
Nach der missglückten Hinrichtung im Frauenlager, ziemlich sicher am
gleichen Tag, wird Mala Zimetbaum zusammengeschlagen, schwerst misshandelt
und auf einem Handkarren davongeschoben. Ob sie noch lebte, als sie ins
Krematorium geworfen wurde, oder doch schon tot war, ist nicht klar.
„Dieses Vieh kommt lebend in den Kamin“, soll Maria Mandl, die
Oberaufseherin des Frauenlagers von Auschwitz-Birkenau, gebrüllt haben.
## Warum kennen Deutsche Mala Zimetbaum nicht?
Leo Schumer sitzt im Versammlungsraum der jüdischen Organisation B’nai
B’rith in der Lamorinierestraat in Antwerpen, den sie Mala Zimetbaum
gewidmet haben. Ein Bild von ihr steht groß im mit Teppichen ausgelegten
Saal. Jedes Jahr beten sie an ihrem Todestag das Kaddisch, das jüdische
Totengebet. „Das ist wichtig für uns“, sagt Schumer. Und dann sagt er noch,
dass man nicht denken solle, es gab nach dem Krieg nur Traurigkeit.
„Niemand hat über das gesprochen, was war. Erst in den 80er Jahren begannen
die Leute zu erzählen.“ Traumatisierte, das bestätigt die Forschung, können
jahrzehntelang nicht über das sprechen, was sie erfahren haben. Sie
verdrängen, um sich im normalen Leben überhaupt zurechtfinden zu können.
Ganz allerdings kann das nicht stimmen, wenn es um Mala Zimetbaum geht.
Immerhin sammelten die Frauen, die überlebt hatten und ihr Überleben Mala
verdankten, bald nach ihrer Rückkehr aus Auschwitz Geld für ein Denkmal für
ihre Retterin. Vor einer Synagoge in Antwerpen wurde es aufgestellt. Der
Rabbi jedoch duldete es nicht, es wurde zerstört. Schumer sagt, er sei
dabei gewesen, als es geschah. Die orthodoxe Gemeinde konnte es damals
nicht akzeptieren, dass sie einen Christen liebte, meint er.
Und in Deutschland? Warum kennt man Mala Zimetbaum hier nicht? Weil sie
nicht nur Opfer sein wollte, sich den Nazis nicht unterwarf, die Würde des
Menschen verteidigte und liebte, wo Liebe nicht erlaubt war? „Ja“,
antwortet die italienische Journalistin Francesca Paci von La Stampa in
einer E-Mail.
Sie ist an jeden Ort gefahren, wo Zimetbaum und Galinski ihren Fuß
hingesetzt hatten, und hat vor zwei Jahren in Italien ein Buch über sie
veröffentlicht, für das sie keinen deutschsprachigen Verlag findet. „Mala
war ein einsamer Wolf. Edek auch. Sie kämpfte als Frau, nicht als Gruppe.
Sie war Jüdin, aber nicht beim jüdischen Widerstand, sie arbeitete mit
kommunistischen Gefangenen zusammen, war aber keine Kommunistin, sie floh
aus Auschwitz, um der Welt davon zu berichten, aber sie floh auch aus
Liebe. Sie half allen, arbeitete für die Deutschen, war jedoch niemals eine
Kollaborateurin. Sie war schön, klug und dann hatte sie auch noch Sex.“
Lorenz Sichelschmidt, Sprachwissenschaftler aus Bielefeld, der 1995 ein
kleines Buch über Zimetbaum schrieb, das kaum Beachtung fand, sieht es
faktischer: Man erinnere sich nicht an sie, weil das, was sie hinterlassen
hat – Solidarität, Leidenschaft, Widerstand, Würde und Liebe –, nicht
materiell ist, nicht greifbar.
26 Jan 2018
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Holocaust-Gedenktag
Holocaust
Auschwitz
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Antwerpen
Juden
wochentaz
Brüssel
Juden in Frankreich
Doktor Mengele
Holocaust-Gedenktag
Redaktion
Holocaust
NS-Verbrechen
Schwerpunkt Rassismus
Polen
Auschwitz
Antisemitismus
Bundestag
## ARTIKEL ZUM THEMA
Der Hausbesuch: Abhängig von Büchern
Beim „stern“ war Barbara Beuys eine der ersten Frauen in der Redaktion,
doch ihre größere Berufung hat sie als Autorin gefunden.
Königreich für EinsteigerInnen: Das große Belgien-Abc
Warum werden Pommes in Belgien nicht diskriminiert? Wieso funktioniert das
Land auch ohne Regierung? Und ist es wirklich hässlich?
Film über Holocaust-Überlebende: Ausgangspunkt Birkenau
Zum Holocaust-Gedenktag zeigt 3sat die Regisseurin Marceline Loridan-Ivens
im Porträt. Der Film wurde bis kurz vor ihrem Tod gedreht.
Forschung über den Holocaust: Doktor Mengele mit iPad
Eine Hochstaplerin versuchte Historiker Bogdan Musial mit gefälschten
Dokumenten aus Auschwitz zu täuschen. „Mengeles Koffer“ erzählt nun davon.
Holocaust-Gedenktag: „Erinnern allein reicht nicht“
Wer als Kind im Ghetto arbeitete, bekommt dafür heute keine Rente, sagt
Kamil Majchrzak. Seine Initiative fordert deshalb eine Gesetzesänderung.
Meistgeklickt auf taz.de 2018: Rechtsextreme, Obdachloser, Suizid
Auf taz.de waren 2018 einige Texte besonders erfolgreich. Wir haben eine
Top 7 zusammengestellt und mit den Autor*innen gesprochen.
Abstimmung im polnischen Senat: Heikles Holocaust-Gesetz beschlossen
Drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe droht in Polen künftig, wenn jemand
dem Staat öffentlich eine Mitschuld an NS-Verbrechen zuschreibt.
Ermittlungen wegen Beihilfe zum Mord: Fünf KZ-Wachmänner beschuldigt
Die Männer sind heute 92 bis 96 Jahre alt. Ihr Dienst soll es möglich
gemacht haben, dass in Buchenwald systematisch gemordet wurde.
Holocaust-Gedenken im Bundestag: Eine der Letzten spricht
Während der Gedenkstunde des Bundestags spricht Anita Lasker-Wallfisch und
beklagt Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit und Rassismus.
Geschichtszensur-Gesetz in Polen: Erinnern mit Einschränkungen
Polen und Israel streiten über ein geplantes polnisches Gesetz, das „Polens
guten Ruf“ schützen soll. Es verbietet etwa, von „polnischen KZs“ zu
sprechen.
Michel Friedman über Menschenhass: „Sie sind genau so gemeint“
Wer sich gegen Antisemitismus nur einsetzt, weil er Juden helfen will, hat
nicht begriffen, was Menschenhass ist, sagt Michel Friedman.
Kommentar Holocaust-Gedenktag: Rituale allein reichen nicht
Antisemitismus nimmt zu, die Erinnerungskultur hat versagt. Solange der
Staat jüdische Kinder nicht schützt, sollte er Privatschulen für sie
bezahlen.
Kommentar Beschluss zu Antisemitismus: Rituale, die richtig sind
Kann der Beschluss überhaupt etwas am Antisemitismus ändern? Ja, wenn die
Abgeordneten jetzt nicht denken, damit sei es schon getan.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.