# taz.de -- Ermittlungen wegen Beihilfe zum Mord: Fünf KZ-Wachmänner beschuld… | |
> Die Männer sind heute 92 bis 96 Jahre alt. Ihr Dienst soll es möglich | |
> gemacht haben, dass in Buchenwald systematisch gemordet wurde. | |
Bild: Gedenken in Buchenwald | |
BERLIN taz | Der Fußboden in dem ehemaligen Pferdestall des | |
Lagerkommandanten war rot gestrichen. Damit Blutspuren nicht auffallen. Die | |
arglosen Opfer wurden in das als ärztlichen Behandlungsraum getarnte Zimmer | |
geführt und aufgefordert, sich auszuziehen. Dann musste sie oder er sich | |
vor eine Wand mit einer Messlatte stellen, so als sollte die Größe | |
festgestellt werden. In der Messlatte befand sich ein Schlitz. Durch diesen | |
erfolgte der tödliche Genickschuss durch ein Loch in der Wand aus einem | |
Nachbarraum. | |
Für diese getarnte Ermordung hatte die SS den Namen Genickschussanlage | |
erfunden. Ein solches Mordinstrument befand sich ab 1941 im | |
Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Viele der in dem Zimmer mit dem | |
roten Fußboden ermordeten sowjetische Kriegsgefangenen waren zuvor gar | |
nicht registriert worden. Die KZ-Gedenkstätte geht davon aus, dass allein | |
dort mehr als 8.000 Menschen ermordet wurden. | |
Mord verjährt nicht. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat jetzt Ermittlungen | |
gegen fünf ehemalige SS-Wachmänner des Konzentrationslagers Buchenwald | |
aufgenommen. Die Vorwürfe lauten auf Beihilfe zum Mord. Das bestätigte eine | |
Sprecherin der Behörde gegenüber der taz. | |
Die Beschuldigten sind zwischen Juni 1921 und November 1925 geboren, also | |
heute 92 bis 96 Jahre alt. Sie leben in Thüringen, Berlin, | |
Baden-Württemberg, Bayern und dem Rheinland. Bisher wurden sie noch nicht | |
vernommen worden. | |
Es ist unwahrscheinlich, dass die Beschuldigten an der Genickschussanlage | |
eingesetzt wurden. Doch ihr Dienst als Wachmann, so der Vorwurf, soll es | |
möglich gemacht haben, dass in Buchenwald systematisch gemordet wurde. | |
Ausgelöst wurden die Verfahren gegen die fünf Greise durch Recherchen der | |
Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im | |
baden-württembergischen Ludwigsburg. Deren Leiter Jens Rommel sagte der | |
taz, die Beschuldigten seien in der „Spätphase“ von Buchenwald dort | |
eingesetzt worden, also 1944/45. | |
Buchenwald bei Weimar war eines der größten Konzentrationslager auf | |
deutschem Boden. Von 1937 bis zum April 1945 waren dort etwa 266.000 | |
Menschen inhaftiert. 56.000 von ihnen wurden ermordet. | |
Zusammen mit den fünf Erfurter Verfahren hat die Zentrale Stelle in den | |
letzten Monaten insgesamt 14 Ermittlungen an die zuständigen | |
Staatsanwaltschaften abgegeben. Die neuen Fälle sind das Ergebnis von | |
Abgleichungen zwischen Listen ehemaliger SS-Bediensteter in | |
Konzentrationslagern und Nachforschungen darüber, ob Beteiligte noch am | |
Leben sind. Eine neue Rechtsauffassung ermöglicht seit 2016 Verurteilungen | |
von KZ-Personal wegen Beihilfe zum Mord auch dann, wenn kein individueller | |
Mord nachgewiesen werden kann. | |
## Todesschuss oder Giftspritze | |
Bedingung dafür ist, dass die Beschuldigten zu einer Zeit in den KZs | |
eingesetzt waren, als dort systematisch Menschen ermordet wurden, sei es | |
durch Erschießung, Giftinjektion, Vergasung oder durch die grauenhaften | |
Lebensumstände. Das trifft etwa in Auschwitz auf die gesamte | |
Lagergeschichte zu, bei anderen KZs dagegen nur auf die letzten Jahre vor | |
der Befreiung. Deshalb sind akribische Recherchen notwendig, auch darüber, | |
welches Wissen einem Beschuldigten bei seinem damaligen Einsatz unterstellt | |
werden kann. Dazu zählt etwa, ob man von den Wachttürmen aus Morde und | |
Mordvorbereitungen beobachten konnte. | |
Die weiteren Fälle betreffen ehemaliges SS-Personal der KZs Auschwitz, | |
Ravensbrück und Mauthausen. Schon länger andauernde Ermittlungen sind gegen | |
Frauen und Männer anhängig, die im KZ Stutthof Dienst taten. Gegen drei | |
Personen, die in Majdanek und Stutthof Dienst taten, ist Anklage erhoben | |
worden. Gerichte in Münster und Frankfurt am Main entscheiden demnächst | |
über drei Prozesseröffnungen. | |
Oberstaatsanwalt Jens Rommel sagte der taz, seine Behörde betreibe derzeit | |
Vorermittlungen gegen SS-Personal aus den Konzentrationslagern | |
Neuengamme, Bergen-Belsen, Mittelbau, Buchenwald, Sachsenhausen, | |
Ravensbrück, Flossenbürg, Groß-Rosen und Mauthausen. Auch erwägt die | |
Zentrale Stelle laut Rommel die Ausweitung der Recherchen auf weitere | |
Massenverbrechen, etwa der Einsatzgruppen in der Sowjetunion oder bei | |
Getto-„Räumungen“ im besetzten Polen. | |
Die Arbeit der Ermittler werde allerdings „von Jahr zu Jahr schwieriger“, | |
sagte Rommel. „Das Risiko, dass ein Beschuldigter stirbt“, erhöhe sich | |
angesichts von deren Alter erheblich. Viele noch lebende Verdächtige seien | |
zu gebrechlich für einen Prozess und deshalb verhandlungsunfähig. | |
Rommel verwies in diesem Zusammenhang auf die Recherchen seiner Behörde zum | |
KZ Auschwitz. Im Oktober 2013 habe man insgesamt 30 Fälle an die | |
Staatsanwaltschaften abgegeben. Drei der Beschuldigten starben kurz darauf. | |
22 waren verhandlungsunfähig. Fünf wurden schließlich angeklagt. Von diesen | |
starb einer kurz vor Prozessauftakt, eine Frau erwies sich als zu | |
gebrechlich für ein Verfahren, und einem Beschuldigten wurde in Lauf des | |
Prozesses Verhandlungsunfähigkeit attestiert. Es blieb bei lediglich zwei | |
Verurteilungen wegen Beihilfe zum Mord. Einer der Verurteilten, Oskar | |
Gröning, soll demnächst seine vierjährige Haftstrafe antreten, der andere, | |
Reinhold Hanning, ist im letzten Jahr verstorben. | |
Bleibt es bei diesem Verhältnis von Ermittlungen zu Urteilen, dann ist in | |
nächster Zeit mit der Eröffnung von nur ein bis zwei Hauptverfahren zu | |
rechnen. | |
31 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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