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# taz.de -- Holocaust-Gedenken im Bundestag: Eine der Letzten spricht
> Während der Gedenkstunde des Bundestags spricht Anita Lasker-Wallfisch
> und beklagt Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit und Rassismus.
Bild: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit der Holocaust-Überlebenden …
Berlin taz | Als Anita Lasker-Wallfisch in ihrer Heimatstadt Breslau vor
Gericht stand, hoffte sie auf eine möglichst lange Haftstrafe. Die junge
Frau, Tochter eines Rechtsanwalts und einer Geigerin, hatte versucht, mit
einem gefälschtem Pass aus Deutschland zu fliehen. Der Plan flog aber auf,
noch am Bahnhof nahm die Gestapo sie fest. Im Juni 1943 bekam die junge
Jüdin ihren Prozess wegen Urkundenfälschung, der tatsächlich gut ausging:
Die Richter verurteilten sie zu anderthalb Jahren im Zuchthaus.
„Das war ein Riesenglück, nicht sofort nach Auschwitz verfrachtet zu
werden“, sagte die heute 92-Jährige am Mittwoch während der
Holocaust-Gedenkstunde des Bundestags in Berlin. Die Zeit in der Haft sei
zwar hart gewesen. „Aber im Allgemeinen wird man im Gefängnis wenigstens
nicht ermordet.“
Als eine der „rapide verschwindenden Augenzeugen der damaligen Katastrophe“
stellte sich die Rednerin im Plenarsaal den Abgeordneten vor. In schnellen
Sätzen und mit bestimmten Worten berichtete sie von ihren Erlebnissen: Im
Dezember 1943 kam sie aus dem Gefängnis doch noch vorzeitig nach Auschwitz,
entging aber der Ermordung, weil sie als Cellistin dem Häftlingsorchester
zugewiesen wurde. Den Völkermord an den europäischen Juden musste sie vor
Ort beobachten. Als eine von wenigen Häftlingen überlebte sie Auschwitz.
Nach dem Krieg zog sie nach Großbritannien und wurde dort eine erfolgreiche
Musikerin.
Im Bundestag schilderte sie aber nicht nur ihr Schicksal, sondern warnte
auch vor einer gefährlichen Entwicklung. Im bayerischen Traunstein habe sie
kürzlich als Augenzeugin vor einer Schülergruppe gesprochen. Zur
Vorbereitung habe sie sich davor im Hotelrestaurant mit einem weiteren
Podiumsteilnehmer getroffen. Ein anderer Hotelgast sei nach einer Weile
wütend an ihren Tisch gestürmt und habe sich beschwert, dass wir „hier
schon wieder diese schöne Atmosphäre mit diesen Auschwitz-Geschichten
verderben“. Vor fünf Jahren habe sich Lasker-Wallfisch solch eine
Situation noch nicht vorstellen können. Ihr knapper Appell an die
Zuhörer: „Also aufpassen!“
Neben dem „wieder aufblühenden Antisemitismus“ beklagte die Rednerin auch
andere Formen der Menschenfeindlichkeit und des Rassismus. Ausdrücklich
lobte sie dagegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung im Sommer
2015: Für die Juden hätten sich während des Holocaust die Grenzen
„hermetisch geschlossen und nicht wie hier geöffnet dank dieser unglaublich
generösen, mutigen, menschlichen Geste, die hier gemacht wurde“. Nach
diesem Satz applaudieren alle Fraktionen im Plenum, außer der einen, die in
diesem Jahr zum ersten Mal an einer Holocaustgedenkstunde teilnehmen
musste.
Vor Lasker-Wallfisch hatte schon Wolfgang Schäuble, der erstmals als
Bundestagspräsident eine Gedenkstunde eröffnete, vor wachsendem Hass
gewarnt. Die Verrohung nehme zu, vor allem im Internet, aber nicht nur
dort. „Jeden Tag werden Menschen bei uns angegriffen, weil sie anders
aussehen.“ Es sei beunruhigend, wenn Angriffe auf Flüchtlinge gebilligt
würden; aber auch, dass Juden heute in Deutschland Anfeindungen erlebten
und auf Straßen jüdische Flaggen verbrannt würden. „Das ist inakzeptabel.
Jede Form von Antisemitismus ist unerträglich, erst recht in unserem Land“,
sagte Schäuble. „Das gilt für alle, die hier leben, auch für die, für die
die deutsche Vergangenheit nicht die eigene ist.“
31 Jan 2018
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Bundestag
Auschwitz
Holocaust-Gedenktag
Holocaust-Gedenktag
Ausstellung
Antisemitismus
Lesestück Recherche und Reportage
Wolfgang Gedeon
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