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# taz.de -- Holocaust-Gedenktag: „Erinnern allein reicht nicht“
> Wer als Kind im Ghetto arbeitete, bekommt dafür heute keine Rente, sagt
> Kamil Majchrzak. Seine Initiative fordert deshalb eine Gesetzesänderung.
Bild: Am 27.1. wird der Opfer des Holocaust gedacht
taz: Herr Majchrzak, am Sonntag beteiligen Sie sich anlässlich des
Holocaust-Gedenktags an einer Gedenkveranstaltung für die unter der
Nazi-Herrschaft ermordeten Sinti und Roma. Was fordert Ihre Initiative
„Ghetto-Renten Gerechtigkeit Jetzt?“
Kamil Majchrzak: Wir haben die Initiative mit weiteren Nachkommen von
Holocaust-Überlebenden aufgrund der Ignoranz der deutschen Politik ins
Leben gerufen. Wir wollen den Forderungen und Kämpfen der Überlebenden
Nachdruck verleihen, die keine Rente für ihre Beschäftigung im Ghetto
erhalten. Das sind heute hochbetagte Menschen. Sie sind von Altersarmut
besonders betroffen, haben oft keine Angehörigen, die sie pflegen können.
Deswegen haben wir diese Kampagne mit Nachkommen aus Rumänien, Polen,
Deutschland und aus weiteren Ländern gegründet. Gemeinsam versuchen wir,
Öffentlichkeitsarbeit zu machen in enger Rücksprache mit dem Verband der
Jüdischen Glaubensgemeinden in Polen und der Vereinigung der Roma in Polen.
Was sind Ihre Ziele?
Uns geht es darum, alle Hindernisse, die nach fast 80 Jahren die Auszahlung
einer Ghettorente verhindern, zu beseitigen. Dafür muss es eine dringende
Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten für Beschäftigungen in
einem Ghetto (ZRBG) geben, das 2002 beschlossen wurde.
Welche Gruppen sind besonders von der Nichtauszahlung der Rente betroffen?
Vor allem Sinti und Roma in Osteuropa. Ein großes Problem ist, dass viele
der Ghettobeschäftigten damals noch unter 14 Jahre alt waren. Das deutsche
Rechtssystem geht davon aus, dass Kinder unter 14 Jahren unter gewöhnlichen
Umständen zur Schule gehen und nicht arbeiten. Das ist natürlich absurd,
wenn man an die denkt, die von den Nazis verfolgt wurden und nicht in die
Schule gehen konnten.
Gibt es noch weitere Probleme?
Ein anders Problem ist, dass viele Sinti und Roma auch nach 1945 nicht
sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Sie übten traditionelle
Berufe wie Hufschmied oder Kesselbauer aus und konnten keine
Sozialversicherungsbeiträge abführen. Deswegen bekommen sie in Polen keine
Altersrente, sondern nur eine sogenannte Sozialrente, die jedoch bei
Beantragung einer Ghettorente in der BRD nicht anerkannt wird.
Was genau meinen Sie damit?
In Deutschland prüft die Rentenversicherung, ob ein Antragsteller im Ghetto
gearbeitet hat und heute eine Altersrente bekommt, also das
Renteneintrittsalter erreicht hat. Wer die nicht bekommt, sondern nur eine
Sozialrente bezieht, erhält auch aus Deutschland keine Ghettorente.
Deswegen fordert unsere Initiative gemeinsam mit den anderen Verbänden,
dass das Gesetz zu den Ghettorenten korrigiert wird.
Sie fordern am Sonntag also eine Gesetzesänderung?
Uns geht es darum, dass verfolgungsbedingte Ersatzzeiten auch bei damaligen
Kindern unter 14 Jahren, die im Ghetto schufteten, anerkannt werden. Wir
hoffen, dass sich die Parteien fraktionsübergreifend dieses Problems
annehmen. Eigentlich ist es dafür fast zu spät, aber es gibt noch
Überlebende, deren soziale Lage dadurch enorm verbessert werden würde.
Daran erinnern wir am 27. Januar. Wir wollen auch zeigen, dass wir, die
Nachkommen, eine Verantwortung tragen: nicht nur die, sich zu erinnern,
sondern sich den Konsequenzen des Holocaust zu stellen.
Wie viele Betroffene gibt es?
Es müssen einige Hundert sein. Genau Zahlen sind schwierig zu ermitteln.
Aber selbst wenn es nur eine Person wäre, müssen die Probleme angegangen
werden.
25 Jan 2019
## AUTOREN
Cara Biester
## TAGS
Holocaust-Gedenktag
Getto-Renten
Erinnerungspolitik
Entschädigung
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Fußball
Holocaust-Gedenktag
Schwerpunkt Rassismus
Antisemitismus
Lesestück Recherche und Reportage
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