# taz.de -- Sportler in KZ ermordet: Modernisierer des Fußballs | |
> Der jüdische Ungar Árpád Weisz ist bis heute der jüngste Meistercoach der | |
> italienischen Serie A. Vor 75 Jahren wurde er in Auschwitz ermordet. | |
Bild: Árpád Weisz (Oberste Reihe, ganz rechts). Vor 75 Jahren wurde er in Aus… | |
Árpád Weisz wuchs in Solt auf, einer an der Donau gelegenen Kleinstadt in | |
Zentralungarn. Seine Spielerkarriere begann Weisz beim Budapester | |
Eisenbahnerklub Törekvés SE, wo er auf links außen spielte. 1923 wechselte | |
er zum tschechischen und national-jüdischen Klub Makkabi Brünn. Dessen | |
Mannschaft bestand fast ausschließlich aus Ungarn, darunter die | |
ungarisch-jüdischen Nationalspieler Gyula Feldmann, Alexander Neufeld, Ernő | |
Schwarz, Resző Nikolsburger, Jószef Eisenhoffer und Árpád Weisz. | |
Makkabi Brünn war eine der ersten waschechten Profitruppen auf dem | |
Kontinent und eine der besten noch dazu. Das Team unternahm ausgedehnte | |
Tourneen durch Europa, auf denen man so renommierte Gastgeber wie Rapid | |
Wien, Juventus Turin und Sparta Prag schlug. 1924 gehörte Weisz zum | |
ungarischen Olympiakader, blieb aber bei den Sommerspielen in Paris ohne | |
Einsatz. | |
Im selben Jahr wurde er von Calcio Padova entdeckt und zog nach Italien. | |
Weisz war bei Weitem nicht der einzige ungarische Italien-Legionär. Spieler | |
aus der Budapester Schule waren extrem begehrt. Bis 1926, als Ausländer | |
keine Spielerlaubnis mehr erhielten, kickten über 70 Ungarn in Italien. | |
Eine Reihe von ihnen waren Juden. Nicht nur Geld lockte die Spieler nach | |
Italien, sondern auch der Antisemitismus in der Heimat. | |
Nach dem Ende der ungarischen Räterepublik (1. August 1919) hatten die | |
Antisemiten zum Kampf gegen die „Judäo-Bolschewisten“ aufgerufen. Etwa | |
[1][3.000 Juden wurden Opfer] des „weißen Terrors“. Mit der Machtübernahme | |
durch Admiral Miklós Horthy wurde der Antisemitismus offizielle Politik. | |
## Einer der begehrtesten Trainer Europas | |
1925 nahm Inter Mailand Weisz unter Vertrag. Aber der Linksaußen musste | |
seine Karriere bald verletzungsbedingt beenden. Im Sommer 1926 wurde | |
Weisz Trainer von Inter. Auch in dieser Branche ist er nur einer von vielen | |
Landsleuten. Im Zeitraum 1920 bis 1938 arbeiteten in Italien etwa 60 | |
ungarische Trainer, darunter auch Weisz’ Glaubensgenossen Gyula Feldmann | |
(u. a. AC Florenz, US Palermo, Inter) und Ernő Erbstein (u. a. AS Bari, CS | |
Cagliari, AC Turin). | |
Weisz hatte drei Amtszeiten bei Inter: 1926–28, 1929–31 und 1932–34. Nach | |
den ersten beiden Jahren, in denen Inter nur im Mittelfeld der Liga | |
dümpelte, ging er nach Argentinien und Uruguay, um den Fußball dieser | |
beiden Länder zu studieren, die 1928 das olympische Finale und 1930 das | |
erste WM-Finale bestreiten. Zurück in Mailand gewann Weisz 1930 mit Inter | |
die Scudetto. Mit 34 Jahren ist der ungarische Jude noch heute der jüngste | |
Meistertrainer in der Geschichte der Serie A. | |
1934 übernahm Weisz von seinem Landsmann Lajos Kovács den FC Bologna. 1936 | |
und 1937 wurde Weisz auch mit Bologna Meister. Ebenfalls 1937 besiegte sein | |
Team während der Weltausstellung in Paris den FC Chelsea mit 4:1. Weisz ist | |
nun einer der bekanntesten und begehrtesten Trainer Europas. In Italien | |
hatte er das vom englischen Kollegen Herbert Chapman entwickelte W-M-System | |
eingeführt. Außerdem besaß er ein exzellentes Auge für Talente. | |
## Vertreibung aus Italien | |
Für die damalige Zeit äußerst ungewöhnlich, holte er den erst 16-jährigen | |
Giuseppe Meazza in Inters Profiteam, der 1934 und 1938 mit Italien | |
Weltmeister wird. Zu Weisz’ größten Bewunderern gehört Vittorio Pozzo, der | |
Architekt und „General“ der Squadra Azzurra. Als Weisz 1930 ein Lehrbuch | |
mit dem Titel „Il Giuoco del Calcio“ veröffentlicht, schreibt Pozzo das | |
Vorwort. | |
Am 1. September 1938 beschließt Italiens Ministerrat die „Provvedimenti nei | |
confronti degli ebrei stranieri“ (Maßnahmen gegen die ausländischen Juden). | |
Nicht-italienischen Juden wird der Wohnsitz in Italien, Libyen und den | |
ägäischen Besitzungen verboten. Es bleiben ihnen nur sechs Monate, um diese | |
Territorien zu verlassen. Am 17. November folgt noch ein Rassendekret | |
(Provvedimenti per la difesa della razza Italiana), das an die Nürnberger | |
Gesetze angelehnt ist. Italien hat damit den Anschluss an die Rassenpolitik | |
des Dritten Reiches vollzogen. | |
Im Oktober 1938 muss Árpád Weisz sein Amt beim FC Bologna aufgeben. Im | |
Januar 1939 verlässt er Italien und zieht mit seiner Familie über Paris in | |
die Niederlande, wo er nun den FC Dordrecht trainiert. Den Job hat ihm | |
Karel Lotsy vermittelt, der in Weisz den notwendigen Modernisierer für den | |
niederländischen Fußball erblickt, aber später als Boss des KNVB mit den | |
Nazis kollaboriert und den Ausschluss der Juden betreibt. | |
Weisz Methoden sind für die Spieler völlig neu, von der physischen | |
Vorbereitung über das praktische Training bis hin zu den Teammeetings, die | |
er am Morgen vor den Spielen in einem Hotel abhält. Weisz formt aus einem | |
Abstiegskandidaten einen ernsthaften Herausforderer für die großen Teams im | |
Land. | |
Nach dem deutschen Einmarsch wird Arpád Weisz im September 1941 mit einem | |
Arbeitsverbot belegt. Weisz darf außerdem nicht die Spiele und das Training | |
des Klubs besuchen. Im August 1942 werden Weisz und seine Familie in ihrem | |
Haus am Bethlehemplein, dem zentralen Platz in Dordrecht, verhaftet und ins | |
Durchgangslager Westerbork verschleppt. | |
Wenige Wochen später folgt die Deportation [2][nach Auschwitz], wo Weisz am | |
31. Januar 1944 von der SS ermordet wird. Seine Frau Elena und die | |
gemeinsamen Kinder Roberto und Clara waren bereits am 5. Oktober 1942 in | |
Birkenau ermordet worden. In Dordrecht erinnern heute vier Stolpersteine | |
auf dem Bethlehemplein an die Familie Weisz. Das Klub-Museum des FC Bologna | |
widmet seinem großen Trainer eine eigene Ausstellung. | |
31 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dietrich Schulze-Marmeling | |
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