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# taz.de -- Fußball und Boxen in Auschwitz: „SS-Leute kamen zum Zuschauen“
> Die Historikerin Veronika Springmann hat über Sport im KZ intensiv
> geforscht: Es gab ihn als Vergünstigung und als Bestrafung.
Bild: Sport als Gunst und als Gewalt: Ehemalige Gefangene in Auschwitz nach der…
taz: Frau Springmann, gab es auch in Auschwitz Sport?
Veronika Springmann: Ja, sowohl in Auschwitz I, dem Stammlager, in
Auschwitz-Birkenau, dem Vernichtungslager, als auch in Monowitz sowie den
zahlreichen Außenlagern.
Welchen Sport?
In meiner Arbeit unterscheide ich zwischen Sport, den Häftlinge als Gunst
erlebten, und Sport als Gewalt. Beides gab es in Auschwitz.
Was kann man darunter verstehen?
Zu Sport als Gewalt wird auch manchmal Strafsport gesagt. Das sind
sportliche Praxen wie Laufen, Hüpfen, Hampelmann. Diese Übungen mussten
Häftlinge bis zur Erschöpfung und oft auch bis zum körperlichen
Zusammenbruch ausführen.
Also bis zur Erschöpfung und zur Demütigung?
Ja, dieser Sport war alltägliche Praxis in jedem KZ. Diese Form des Sports
entstammt der militärischen Ausbildung und war damit auch etwas, das die
Wachleute, die Häftlinge so demütigten, selbst erlebt hatten. Er gehört ja
auch zur Konstruktion von Männlichkeit. Es half den SS-Wachleuten, für sich
selbst eine Vergemeinschaftung herzustellen, indem die Distanz zu den
Häftlingen sichtbarer gemacht wurde.
Und was konnte im KZ-System Sport als Gunst bedeuten?
Fußball etwa wurde in beinah allen KZs von Häftlingen selbst organisiert.
Das wurde meist von der SS toleriert, oft sind auch SS-Leute als Zuschauer
zu den Spielen gekommen.
Wie lässt sich erklären, dass es diesen Freiraum gab?
Ab 1942 gab es einen Funktionswandel im System der Konzentrationslager, da
nun Häftlinge für die Rüstungsproduktion als Arbeitskräfte eingesetzt
wurden. Eingeführt in diesem Zusammenhang wurde der arbeitsfreie Sonntag,
um so die Arbeitskraft der Häftlinge wirklich rigoros ausschöpfen zu
können. Es setzte sich also die Erkenntnis durch, dass es so etwas wie
Regeneration bedarf, um die Menschen weiter effektiv auszubeuten.
Wer hat denn dort Fußball gespielt?
Sport, vor allem Fußball, galt als Vergünstigung für Häftlinge, die gut
gearbeitet hatten oder die als Funktionshäftlinge in den Lagern eingesetzt
wurden, beispielsweise um Arbeitskommandos zu bewachen oder innerhalb der
Lagerverwaltung zu arbeiten. Diese Häftlinge erhielten oft bessere
Lebensmittelrationen.
Hatten es gute Fußballer, etwa Ex-Profis, leichter?
Das glauben viele, aber das stimmt nicht. Einer der berühmtesten Fußballer,
der in Auschwitz war, Julius Hirsch, hat vermutlich dort nicht Fußball
gespielt. Oder wie es ein ehemaliger Häftlinge in einem Interview betonte:
„Das Gros der Masse konnte nicht Fußball spielen; selbst wenn sie konnten,
rein technisch, waren sie körperlich nicht dazu in der Lage, physisch.“
Wenn wir vom Sport im KZ reden, sprechen wir dann immer nur über
Männersport?
Es gibt ganz wenige Quellen zum Frauensport. Als Praxis der Gewalt gab es
das ganz sicher auch in Frauen-KZs – weniger in Ravensbrück, aber sicher im
Frauenlager in Auschwitz. Zu Sport als Gunst kann ich hier nichts sagen.
Das kann daran liegen, dass Frauensport damals in der gesamten Gesellschaft
nicht so verbreitet und populär war. Es kann auch daran liegen, dass für
Frauen in ihrer Erinnerung Sport nicht so wichtig ist wie für Männer.
Welche Rolle spielte das Boxen in Auschwitz?
Wenn man die Unterscheidung von Gewalt und Gunst nimmt, changiert es
dazwischen. Es gab wohl auch den ein oder anderen Boxkampf, der von
Häftlingen selbst organisiert wurde, hinter den Baracken, aber meist waren
es Kämpfe, die von SS-Leuten veranstaltet wurden, die dafür Häftlinge
gegeneinander antreten ließen.
Es waren sehr berühmte Kämpfer dabei.
Ja. Mit Victor „Young“ Perez, einem aus Tunesien stammenden Franzosen, war
sogar ein Weltmeister in Auschwitz. 1931/32 hatte er den WM-Gürtel im
Fliegengewicht besessen. Berühmt war auch Antoni Czortek, ein polnischer
Teilnehmer an den Olympischen Spielen 1936. Er fiel durch seine gute
Technik auf.
Was lässt sich über ihn sagen?
Er war Federgewichtler, und es heißt, dass er oft gegen Schwergewichtler
antreten musste, die er mit seiner überlegenen Technik besiegte. Das war
für Häftlinge, die den Kampf sahen eine David-gegen-Goliath-Situation.
Wurden beide Boxer in Auschwitz ermordet?
Victor „Young“ Perez wurde vermutlich im Januar 1945 auf dem Todesmarsch
erschossen, kurz vor der Befreiung. Antoni Czortek wurde im Frühjahr 1945
in Mauthausen befreit. Er starb 2004 im Alter von 89 Jahren.
Wenn man in Auschwitz die Gaskammeranlagen besichtigt und dann hört, dass
hier ja auch Fußball gespielt wurde – droht dann nicht eine Relativierung
des Grauens?
Eine sehr schwierige Frage. Zur Beantwortung hilft vielleicht, sich zu
vergegenwärtigen, warum das Thema „Sport im KZ“ auch in den Erinnerungen
ehemaliger Häftlinge so spät thematisiert wurde: Es hatte ja, etwa beim
Fußballspiel, etwas mit Begünstigung zu tun: mehr und besseres Essen, mehr
Freizeit, weniger harte Arbeit. Und gerade diese Parallelwelten, diese
enormen Unterschiede zwischen den Lebensbedingungen für die Häftlinge in
den Konzentrationslagern, waren nur schwer zu vermitteln und nicht umsonst
ein zentrales Thema in der Literatur, wenn Sie beispielsweise an Primo Levi
denken.
Wer darüber gesprochen hätte, wäre ja eventuell Gefahr gelaufen, das Grauen
als doch nicht so schlimm zu schildern. Es gibt die Erzählung „Menschen,
die gingen“ des polnischen Schriftstellers Tadeusz Borowski, der auch in
Auschwitz inhaftiert war. Darin schildert er die Parallelität von Gewalt
und Gunst am Beispiel eines Fußballspiels in Auschwitz: Eine Gruppe
ungarischer Jüdinnen ist mit dem Zug gekommen und wird zur Selektionsrampe
geführt.
In Sichtweite findet ein Fußballspiel statt, der Ball fliegt nach einer
Ecke ins Aus. „Als ich ihn aufhob, erstarrte ich: Die Rampe war leer. Ich
ging mit dem Ball zurück und gab ihn zur Ecke. Zwischen zwei Eckbällen
hatte man hinter meinem Rücken 3.000 Menschen vergast.“
27 Jan 2020
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Auschwitz
Fußball
Boxen
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Eishockey
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Fußball
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