# taz.de -- Fußball im Konzentrationslager: Angstgegner Polen | |
> Fußball gehörte im NS-Regime zum Alltag – auch in den KZs wurde gekickt. | |
> Im KZ Theresienstadt gab es eine Liga. Und in Auschwitz spielten Teams | |
> wie "Krankenbau" und "Block 15". | |
Bild: Grün auf dem Gelände des ehemaligen KZ Auschwitz. | |
BERLIN taz | Die Frage, wie sehr auch der Fußball in das NS-Regime | |
verstrickt war, ist seit einigen Jahren ein angesagtes Thema bei | |
Historikern und Journalisten. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte gar ein | |
Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. | |
Heraus kam das dicke Buch "Fußball unterm Hakenkreuz" von Nils Havemann. | |
Doch ein Aspekt des fußballerischen Lebens in der Nazidiktatur fehlt dort | |
völlig: der Alltag im Konzentrationslager. Dabei wurde in fast allen KZs | |
Fußball gespielt. | |
Seit 1942 gab es dort organisierten Fußball, gespielt auf extra dafür | |
angelegten Sportplätzen, mit teilweise eigenen Regeln. Nur in | |
Vernichtungslagern und reinen Frauen-KZs gab es keine Sportangebote. | |
## "Liga Terezin" | |
In Theresienstadt wurde sogar in einer eigenen Liga gespielt, sie nannte | |
sich "Liga Terezin". Hier spielten Teams mit Namen wie "Kleiderkammer", | |
"Ghettowache", "Köche" oder "Hagibor Theresienstadt". Der Propagandafilm | |
"Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" (1944) zeigt Originalbilder: Im | |
Innenhof einer früheren Kaserne sieht man das Spiel zweier Mannschaften, | |
die Fans sitzen am Spielfeldrand und in Fenstern und Gängen. Einen derart | |
großen Spielbetrieb wie in Theresienstadt, bestehend aus Liga, Division A | |
und Division B, hatte es in keinem anderen NS-Lager gegeben. Nur in diesem | |
KZ, das die SS als "Musterghetto" bezeichnete und wo von einer | |
"Selbstverwaltung" gesprochen wurde, hatte es ab 1943 eine von Häftlingen | |
gebildete "Fachgruppe Fußball" gegeben, die sich auch um ein eigenes | |
Regelwerk Gedanken machte. Ergebnis der Diskussionen: Gespielt wurde meist | |
sieben gegen sieben und zweimal 35 Minuten. Sogar eine Sportzeitung namens | |
Rim-Rim-Rim gab es, freilich nur mit einer Auflage von sechs Exemplaren, | |
wie die israelische Historikerin Dahlia Kargel herausfand. Der Titel gab | |
einen Anfeuerungsruf wieder, und das Blatt wurde von fußballbegeisterten | |
Waisenjungen zwischen dreizehn und vierzehn Jahren auf einer | |
Schreibmaschine erstellt. | |
Die Nazis duldeten ab 1942 Sport, vor allem Fußball, in KZs nicht nur, sie | |
förderten ihn regelrecht. Das Regime benötigte die Arbeitskraft der in die | |
KZ verschleppten Menschen. "Die KZs wurden als Wirtschaftsunternehmen | |
verstanden, und die Rüstungsindustrie brauchte sie", sagt Veronika | |
Springmann. Die Berliner Historikerin promoviert zum Thema "Sport und KZ". | |
1942 wurde auf Anweisung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, ein | |
"Prämiensystem" für Häftlinge geschaffen: ein System aus "Gunst und | |
Strafe", wie Springmann es nennt. | |
## "Reichsdeutsche" Häftlinge gegen Polen, Russen | |
"Die Spiele wurden oft als Länderspiele ausgetragen: reichsdeutsche | |
Häftlinge gegen Polen, gegen Russen, gegen Luxemburger et cetera", | |
berichtet Springmann. Im KZ Mauthausen beispielsweise waren viele Spanier | |
gefangen. Hier, wie auch im KZ Dachau, wurden regelrechte Turniere | |
veranstaltet. In Dachau wurde um einen Holzpokal gespielt; auf seinem Fuß | |
steht: "Sieger im Fußball, Dachau 1944". | |
Im Lagerkomplex Auschwitz, der Vernichtungs- und Arbeitslager zugleich war, | |
spielten meist "Arbeitskommandos" der Häftlinge gegeneinander. Der | |
Historiker Wolf Oschlies fand aber auch Begegnungen wie "Krankenbau" gegen | |
"Block 15", "alte Nummern" gegen "Zugänge". Oschlies erklärt: "Dass Kapos | |
und Gefangene in einer Mannschaft spielten, war keine Seltenheit." Kapos | |
waren die bei den meisten Häftlingen verhassten Funktionshäftlinge, die als | |
verlängerter Arm der SS agierten. | |
Odd Nansen, Sohn des norwegischen Friedensnobelpreisträgers Fridtjof Nansen | |
und Häftling im KZ Sachsenhausen, schrieb in sein Tagebuch: "Für viele | |
bedeutet es eine Rettung, dass sie Fußballspieler sind. Sie werden mit | |
Seidenhandschuhen angefasst, bekommen schöne Arbeitsstellen und viel Essen, | |
während andere zu Muselmännern (abgemagerte, dem Tod geweihte Häftlinge; d. | |
Red.) werden und untergehen." Ähnliches erlebte auch Ignaz Feldmann. Vorm | |
Anschluss an NS-Deutschland war der Österreicher Fußballprofi gewesen. Im | |
Lager Westerbork erkannte ihn ein SS-Mann. Der hatte bei Austria Wien | |
gespielt, Feldmann bei der erfolgreicheren jüdischen Konkurrenz Hakoah | |
Wien. So wurde Feldmann ein Protegé der SS. | |
## In Buchenwald habe ihm "Fußball zum ersten Mal geholfen" | |
Der Österreicher Fritz König, Sohn eines jüdischen Arbeiters, kickte in den | |
Dreißiger Jahren in der Jugend des SC Red Star Wien. Als König in | |
Buchenwald interniert wurde, "da hat mir der Fußball das erste Mal | |
geholfen", erinnert sich König in einem Interview. Er erhielt einen | |
halbwegs angenehmen Job in der Wäscherei, um sich für den Fußball zu | |
schonen. | |
Wie wenige KZ-Häftlinge das Privileg Fußball erhielten, wird an einer Zahl | |
aus dem KZ Neuengamme bei Hamburg deutlich: Von 14.000 Häftlingen durften | |
gerade mal 60 Fußball spielen. In Buchenwald mit seinen zu Kriegsende über | |
80.000 Häftlingen hat es nur zwölf Mannschaften gegeben. Andreas Sarasopa, | |
der Auschwitz überlebt hat, berichtet, "nur die privilegierten | |
Funktionshäftlinge" hätten spielen dürfen. "Die Jüngeren oder | |
Schwächlicheren haben ja nach der Ankunft das Lager schon wieder auf dem | |
üblichen Weg, über den Schornstein, verlassen." | |
Mord und Vergnügen existierten auf engstem Raum nebeneinander. Odd Nansen | |
notierte in sein Sachsenhausen-Tagebuch: "Während der Fußballkampf am | |
schlimmsten tobte, kamen zwei Gefangene, die eine Leiche auf einer Bahre | |
trugen. Sie setzten die Leiche hin, zündeten ihre Stummel an und begannen, | |
dem Kampf zu folgen. Als der spannende Augenblick vorbei war, gingen sie | |
zur Leiche zurück und setzten den Transport zum Leichenhaus fort." | |
## Häftlinge und SS-Leute gemeinsam | |
Es waren Häftlinge und SS-Leute gleichermaßen, die sich die Spiele | |
anschauten. Zuschauerzahlen sind nicht bekannt, sagt Veronika Springmann, | |
"aber wenn man die Berichte liest, hat man den Eindruck, als müssten es | |
viele gewesen sein". In Theresienstadt, wo ja in einem früheren Kasernenhof | |
gespielt wurde, waren es fast immer 3.500 Menschen; die erste Balkongalerie | |
war der SS vorbehalten. | |
"Die deutschen Häftlinge wurden quasi als Vertreter Deutschlands | |
wahrgenommen", sagt Veronika Springmann. "Als eine polnische Mannschaft | |
gewann, war das, als ob Polen den Krieg gewonnen hätte." Wolf Oschlies fügt | |
hinzu, Polen sei in Auschwitz "so etwas wie der Angstgegner der anderen | |
nationalen Teams" gewesen. | |
## Spitzenfußballer aus Polen | |
Gerade aus Polen waren etliche Spitzenfußballer von den Nazis interniert | |
worden. Marian Einbacher, der 1921 am ersten Länderspiel einer polnischen | |
Mannschaft teilgenommen hatte, kam in Auschwitz um. Czeslaw Sowul etwa | |
hatte vor dem Krieg beim Erstligisten Garbarna Krakow gespielt. Auch | |
Spieler anderer polnischer, tschechischer und österreichischer Erstligisten | |
waren interniert. Jirka Tesar, der heute George Taussig heißt, war Torwart | |
der tschechischen Jugendnationalmannschaft; und Jan Burka, der in | |
Theresienstadt auch Zeichnen studierte, erhielt nach der Befreiung Angebote | |
europäischer Spitzenklubs. Ob ein NS-Opfer wie der deutsche Nationalspieler | |
Julius Hirsch, der vermutlich 1943 als 51-Jähriger in Auschwitz ermordet | |
wurde, dort auch Fußball gespielt hat, ist nicht bekannt. Dass aber in den | |
KZs, die die Deutschen in beinahe ganz Europa errichtet hatten, Fußball | |
gespielt wurde, war kein Geheimnis. Auf polnischem Gebiet waren sogar die | |
KZs die einzigen Orte, in denen legal Fußball gespielt werden durfte. Nach | |
dem Überfall der Wehrmacht 1939 war das Land zum Reichsprotektorat erklärt | |
worden, und die NS-Führung untersagte der polnischen Bevölkerung den | |
Fußball. Er wurde fortan von der Untergrundbewegung gespielt, die in großem | |
Stil Stadtmeisterschaften austrug, wie der Journalist Thomas Urban in einem | |
neuen Buch ("Schwarze Adler, weiße Adler", Verlag Die Werkstatt, 2011) | |
berichtet. | |
Der Hamburger Fotograf Henning Angerer, der nach Bilddokumenten | |
recherchierte, fand für das KZ Dachau heraus, dass zumindest in Münchner | |
Magazinen Bilder vom Lagerfußball veröffentlicht wurden. "Wohl um die | |
angebliche Harmlosigkeit zu zeigen", vermutet Angerer. Schon der Politologe | |
und Publizist Eugen Kogon, selbst Häftling in Buchenwald, hat in seinem | |
Standardwerk über das Lagersystem, "Der SS-Staat", darüber berichtet. Und | |
der ehemalige Dachau-Häftling Paul-Martin Neurath, der 1939 in die USA | |
emigrieren konnte, hatte schon 1943 in seiner in New York vorgelegten | |
Dissertation auch das Sportsystem in den Lagern analysiert. | |
Anfang der Siebziger Jahre widmeten sich polnische Historiker mittels | |
Zeitzeugeninterviews dem Thema. Gleichwohl haben sich bislang sowohl die | |
deutsche Geschichts-, als auch die Sportwissenschaft geweigert, dieses | |
Thema zur Kenntnis zu nehmen, so auch der DFB-Historiker Nils Havemann. | |
Erst eine junge Historikergeneration kümmert sich darum. "Bei den | |
Historikern zählte der Sport als nichts Wichtiges", erklärt Veronika | |
Springmann die Ignoranz. "Und bei den Sportwissenschaftlern ging man immer | |
davon aus, dass der Sport doch irgendwie das Gute ist." Etwas Gutes, das | |
nur von bösen Mächten missbraucht worden sei. Die Wahrheit aber lautet: | |
Fußball gehörte ganz normal zum Nazialltag unterm Hakenkreuz, auch im KZ. | |
17 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Auschwitz | |
Judenverfolgung | |
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