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# taz.de -- Vergangenheit von Hertha BSC Berlin: Die NS-Zeit vor Augen
> Hertha-Fans recherchieren die Geschichte des ermordeten Mitglieds Eljasz
> Kaszke. Der Klub steht vor der Frage: Wie viel Positionierung gegen
> Rechts darf es sein?
Bild: Ganz in Nazi-Hand: Zuschauer im Hertha-Stadion „Plumpe“ in Gesundbrun…
Als Eljasz Kaszke zum ersten Mal in die „Plumpe“ kommt, ist sie gerade
frisch erbaut. 1923 und 1924 wurde das legendäre Hertha-Stadion am
Gesundbrunnen errichtet; Kaszke, der 1927 dem Verein beitritt, erlebt hier
dessen goldene Zeiten: Sechs Mal nacheinander Endspiel um die Deutsche
Meisterschaft, Kapitän Hanne Sobek führt das Team 1930 und 1931 zum Titel.
Doch am 26. September 1938 wird Eljasz Kaszke, in Warschau als russischer
Staatsbürger geboren, aus dem Verein ausgeschlossen – weil er Jude ist.
Zwei Jahre später stirbt er im KZ Sachsenhausen.
80 Jahre lang ist Kaszke vergessen. Dann geben ihm Hertha-Fans seine
Geschichte wieder. Es ist brechend voll, als vergangene Woche das Projekt
„Spurensuche“ in der Neuen Synagoge Berlin vorgestellt wurde. Mehr als 220
Menschen sind gekommen, Zuhörer weit über die Vereinsgrenzen hinaus: Es
sind Fans, die viele Ideale teilen, die es genießen, mal nicht mit
Rassisten diskutieren zu müssen, mal gemeinsam Luft zu holen. In diesen
Zeiten ist das auch eine Selbstversicherung.
## Dringliche Reden
Und so geraten die Reden dringlicher als bei früheren Veranstaltungen
dieser Art. Die NS-Zeit hat ihre abstrakte Ferne verloren. „Fußball,
Gesellschaft und Politik sind nicht zu trennen“, ruft Robert Daniels vom
Projekt „Spurensuche“ ins Publikum. „Rassismus und Hass sind zu bekämpfe…
Er bekommt langen Applaus.
„Viele Projekte bleiben leer, wenn sie nur an Geschichte erinnern, aber
keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus betreiben“,
kritisiert auch Vereinshistorikerin Juliane Röleke. „Man braucht
Nachhaltigkeit und den Mut zur Selbstreflexion.“
Wie viel davon Hertha bietet, darüber lässt sich streiten. Öffentlich blieb
vor allem der inszenierte Kniefall im vergangenen Jahr hängen, der vage für
ein „buntes Berlin“ stehen sollte, aber eher eine bizarre PR-Kampagne war.
Zwei Bundesliga-Klubs – Bremen und Frankfurt – haben sich bisher offiziell
gegen die AfD ausgesprochen. Hertha nicht. Bislang blieb der Verein, wie so
viele, bei bekömmlichen Plattitüden.
Andererseits hat der Bundesligist in den letzten Jahren seine
Aufmerksamkeit auf den Nationalsozialismus sehr verstärkt. 2009 erschien
„Hertha unterm Hakenkreuz“ von Daniel Koerfer über den Klub in der NS-Zeit,
in Auftrag gegeben von Hertha BSC. „Für uns in der Vereinsführung war
Hertha in der NS-Zeit damals eine Blackbox“, sagt Aufsichtsratschef und
Ex-Präsident Bernd Schiphorst auf der Veranstaltung. „Das ist ein Unding
für einen Verein, der so tief in der Bevölkerung verankert ist.“
## Ein Jahr lang recherchiert
Ein Großteil der Forschung ist indes den Fans zu verdanken. Im
Vorgängerprojekt von „Spurensuche“ recherchierten etwa 15 Anhänger mehr a…
ein Jahr lang das Leben des ehemaligen jüdischen Vereinsarztes Hermann
Horwitz, dessen Existenz erst durch das Buch wieder bekannt geworden war.
Bei der Recherche wiederum stießen sie auf Eljasz Kaszke.
Auch zu Kaszkes Namen haben sie hingebungsvoll Details ausgegraben. Dass er
Kaufmann war wie sein Vater. Dass er die Bindung zur Geburtsstadt Warschau
verlor und sich in Deutschland einbürgern lassen wollte. Dass ihm das als
Jude verweigert wurde. Dass er eine Dänin heiratete und mit ihr im Wedding
nahe an der „Plumpe“ wohnte. Dass seine Frau nach Dänemark fliehen konnte
und überlebte. Dass sie keine Kinder hatten, die heute erzählen könnten.
Und doch war ein Erzähler am Donnerstag zu Gast: der jüdische
Holocaust-Überlebende Walter Frankenstein, ein Hertha-Fan. Zufällig teilt
er ein Stück Biografie mit Eljasz Kaszke: Auch Frankenstein, heute 94 Jahre
alt, wurde auf dem Gebiet des heutigen Polen, damals Westpreußen, geboren,
und kam als Kind nach Berlin. Er sah bei den Olympischen Spielen 1936 Jesse
Owens live im Stadion; er ging zu Hertha in die „Plumpe“.
Frankenstein erinnert sich lebhaft an die Atmosphäre vor Ort: „Man hat uns
nicht angepöbelt, ich sah nicht besonders jüdisch aus. Wir waren im Stadion
keine Judenjungen, wir waren Hertha-Fans.“ Er liebte den offensiven
Fußball, den das Team spielt, und die respektvolle Stimmung unter Fans und
Gegnern. Bis 1941 ging Frankenstein zu Hertha, trotz des bestehenden
Stadionverbots für Juden. Dann verzichtete er wegen der steigenden Gefahr.
Und hörte Hertha illegal im Radio.
## Im Untergrund überlebt
Walter Frankenstein hat den Holocaust auf abenteuerlichen Wegen im
Untergrund überlebt. „Die Aufarbeitung der NS-Zeit macht mich doppelt
stolz, dass ich Fan von diesem Klub bin“, sagt der 94-Jährige nun. Kürzlich
wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. In der Neuen Synagoge macht der wache,
zu Späßen aufgelegte Senior sichtlich Eindruck beim Publikum. Und hält ein
Plädoyer dafür, dass der Fußball um seine Anhänger kämpfen soll: „Sie
sollen nicht den Phrasen der Verführer verfallen.“
Was heißt all das für die Hertha-Gegenwart? Der Fußball wird es kaum
schaffen, Verlorene zurückzuholen. Aber er gibt an diesem Abend jenen, die
gegen Rassismus sind, das Gefühl, nicht allein zu sein. Er bietet
Vernetzungs- und Aktionsmöglichkeiten. Bei einer der nächsten
Mitgliederversammlungen, fordern die Fans von „Spurensuche“, soll der
Vereinsausschluss von Horwitz und Kaszke symbolisch rückgängig gemacht
werden. Die Chancen dafür stehen gut.
Und glaubt man Bernd Schiphorst soll es noch ein ganzes Stück weiter gehen.
„Wir werden uns noch mehr öffnen“, verspricht der Aufsichtsratschef und
kündigt Unterstützung für Kiez- und Flüchtlingsprojekte sowie
gesellschaftliche Diskussionen an. „Wir werden uns gegen Rassismus und Hass
positionieren.“ Ob Hertha dabei tatsächlich den Mut zu einem Statement
gegen die AfD hat, ob man Wut oder gar Abwanderung AfD-begeisterter
Anhänger riskieren würde, bleibt abzuwarten. Aber in diesem Herbst, wo
Hertha – ja wirklich, Hertha – mitreißenden Offensivfußball spielt, eine
junge, begeisternde Mannschaft hat und selbst die Fans staunen, weiß man ja
nie, was als nächstes kommt.
26 Sep 2018
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Fußball-Bundesliga
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Geschichtsaufarbeitung
Hertha BSC Berlin
Fußball
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Holocaust
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