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# taz.de -- Zum Bundesligaauftakt Hertha BSC: Es darf wieder knallen
> Die Gruppe „Kaliber 030“ bei Hertha pflegt Hool-Kontakte und ist ein
> Machtfaktor in der Ostkurve. Was die neuen Hooligans für die Fanszene
> bedeuten.
Bild: Hertha-Fans beim DFB-Pokalspiel in Braunschweig am 20. August
Hooligan. Das Wort roch lange nach Neunzigern, nach Männern mit dicken
Bäuchen und Bierfahne, ungelenken Prügeleien mit Eisenstangen,
Neonazi-Ästhetik, greller Medienekstase und am Ende nach Aussterben. Es
ist Hertha nicht fremd: In den achtziger und neunziger Jahren gab es die
Gruppen „Zyklon B“ und „Wannseefront“, sie hatten Branchenrenommee.
Heute ist Zyklon B aufgelöst und die Wannseefront alt geworden, auch, wenn
die Netzwerke weiter existieren. Der Hooligan schien hinter
Sicherheitskonzepten und progressiven Fans zu verschwinden, auch bei
Hertha. Bis er wiederkam.
Wenn Hertha BSC am 25. August zu Hause gegen Nürnberg in die neue Saison
startet, wird die Zaunfahne der Gruppe „Kaliber 030“ wahrscheinlich wieder
mittig platziert in der Ostkurve hängen. 30 bis 40 Mitglieder soll Kaliber
030 haben, etwa 70, rechnet man das Umfeld dazu.
Die Berliner Polizei schätzt den Großteil der Mitglieder als gewaltsuchend
ein. Nach Recherchen des Rechtsextremismusexperten Robert Claus suchen sie
aktiv Schlägereien mit anderen Gruppen, pflegen gute Kontakte zu Hools vom
BFC Dynamo und den Hells Angels und greifen auch Unbeteiligte an. Der
Polizei fielen einige Mitglieder in den vergangenen Jahren etwa durch
Hausfriedensbruch und Körperverletzung auf.
## „Der Dienststelle bekannt“
„Die Gruppierung Kaliber 030 ist der hiesigen Dienststelle seit 2013
bekannt“, schreibt die Berliner Polizei auf taz-Anfrage. „Sie bildete sich
aus Teilen der sogenannten Ultra-Szene, mit der sie immer noch eng
verknüpft ist.“ Auch Hertha BSC berichtet, die Gruppe habe sich „unter
anderem von anderen Gruppen abgespalten“. Die Mitglieder kommen also nicht
vorwiegend von außen, sondern von innen. Weil ihnen die eher kreativ
unterstützenden, teils sozial engagierten Ultras zu lahm sind, und auch,
weil die Ultras selbst aufrüsten.
Fan-Gewalt war nie weg und immer fast exklusiv männlich. Teile der
„Harlekins“, der dominierenden Ultra-Gruppe bei Hertha, lieferten sich etwa
vergangene Saison eine sehr organisiert anmutende Schlägerei mit
Frankfurtern. Die aktuelle Radikalisierung der Gesellschaft begünstigt das.
Politik geht auch an der Kurve nicht vorbei.
Der Name Kaliber 030 spielt auf die Berliner Telefon-Vorwahl an; in anderen
Städten bildeten sich Gruppen mit ähnlichen Namen, sie heißen etwa „Riot
0231“ in Dortmund oder „Revolte 0221“ in Köln.
Der Forscher Gunter Pilz umriss schon früher mit dem umstrittenen Begriff
Hooltras eine neue Klientel, die sich selbst als Ultras bezeichnen, aber
wie Hooligans agieren. Sind sie das jetzt? Oder machen drei Schwalben noch
keine neue Bewegung?
## Mitgliederwerbung in Kampfsporthallen
Nach Recherchen des Fanforschers Robert Claus begann „Kaliber 030“ früh, in
Westberliner Kampfsporthallen Mitglieder zu rekrutieren. In seinem
aktuellen Buch „Hooligans“ beschreibt er auch am Beispiel von „Kaliber 03…
eine neue Generation: erprobt im Kampfsport, trainierter und
professioneller als früher. „Der eher rechte, gewalttätige Teil der
Fanszene in Deutschland wächst derzeit“, so Claus.
Daran sei neben einem allgemeinen Rechtsruck auch die stärkere
Gewaltaffinität der Ultras schuld. „Teile der Ultra-Szene sind sehr stark
im Kampfsport aktiv, da ist der Weg nicht weit, statt
Verteidigungstechniken auch mal den Angriff auszuprobieren.“
Es gibt in der Szene aber auch einen Generationsumbruch: Alte Ultragruppen
wie die Harlekins haben lange keine neuen Mitglieder aufgenommen. So
bildeten sich neue Strukturen. „Die Harlekins mussten den Aufstieg von
Kaliber 030 letztlich akzeptieren.“
Die Hertha-Szene hat das kräftig durchgeschüttelt. „Innerhalb der Fanszene
wird dieser Gruppe schon mit gehörigem Respekt begegnet“, berichtet der
Verein: „Sie treten im Stadion als Gruppe auf, beteiligen sich aber nicht
wirklich an den Aktionen der anderen Ultra-Gruppierungen.“
## Keine „restriktiven Maßnahmen“
Hertha gibt an, derzeit keine restriktiven Maßnahmen gegen Kaliber 030
durchzuführen, da sie im Stadion bisher „nicht auffällig geworden“ seien.
Vorfälle außerhalb aber gab es durchaus: Hertha nennt einen Fall von
sexueller Belästigung gegenüber einer Mitarbeiterin des Fanprojektes des
Landessportbunds; Robert Claus berichtet, Berliner Fans hätten ihm von
rassistischen Beschimpfungen im Fanprojekt erzählt. Wer da als Verein allzu
lange zuschaut, läuft Gefahr, die Kontrolle zu verlieren.
Nach Claus’ Recherchen pflegt Kaliber 030 die neuen, alten
Hooligan-Netzwerke zwischen Anhängern von Hertha, BFC Dynamo und dem 1. FC
Magdeburg weiter. Die Gruppe steht außerdem dem Klamottenlabel Dreierhopp
nahe.
Auf dessen Webseite finden sich teils unauffällige Shirts, teils solche mit
einer Straßenszene und dem Titel „Lens 1998“ – eine Anspielung auf die
Hooligan-Attacke 1998 in Lens, als Deutsche den französischen Polizisten
Daniel Nivel ins Koma prügelten. Damals dabei übrigens Christopher R., ein
bekannter Schläger des BFC Dynamo, der 2015 wegen bandenmäßigen
Drogenhandels wieder in den Knast kam. Und 2015 mit ihm angeklagt: ein
Mitglied von Kaliber 030.
Ob die Gruppe rechtsextreme Tendenzen hat, ist uneindeutig. 2015 fiel sie
mit einem antisemitischen Graffito am Institut für Religionsforschung auf,
bei einem Ackermatch in Bröndby trug jemand auf einem Foto ein Hakenkreuz.
Die Berliner Polizei schreibt dennoch: „Anhaltspunkte, dass die Gruppe als
rechtsextrem zu klassifizieren sein könnte, liegen derzeit nicht vor.“ Auch
Claus sagt: „Organisierte Neonazis finden sich eher nicht in der Gruppe.“
Bei Hertha BSC sind antirassistische Fangruppen ein zartes Pflänzchen, die
Neuen machen es nicht leichter. Kaliber 030 bekam in den Anfangstagen vom
Rest der Kurve offenbar eine deutliche Ansage, die Mitte der Ostkurve blieb
ihnen zunächst verwehrt.
Seit etwa 2016 aber hängt ihre Zaunfahne laut Claus regelmäßig an
prominenter Position. „Das zeigt, dass sie sich etabliert haben.“ Nicht
zwingend musste das so kommen: Die Dortmunder Gruppe Riot 0231 hat sich im
Juli 2017 nach großer öffentlicher Aufmerksamkeit, wohl, um einem Verbot
zuvor zu kommen, aufgelöst. Zumindest offiziell.
24 Aug 2018
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
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