# taz.de -- Hertha BSC in neuem Glanz: Plötzlich Prinzessin | |
> Die alte Dame Hertha spielt diese Saison attraktiv, kreativ, mit einer | |
> begeisternden Riege junger Talente. Wie kam das bloß? | |
Bild: Jubel nach dem Sieg gegen die Bayern Ende September | |
Hertha BSC steht aktuell in der Tabelle vor dem FC Bayern. Klar, es gab | |
Zeiten, in denen das mehr Strahlkraft hatte als heute, wo die Bayern | |
Sechster sind. Auch das Wort Bayern-Besieger hat etwas an Wert eingebüßt, | |
seit das fast jeder Hansel schafft. | |
Und trotzdem war der 2:0-Sieg gegen den Rekordmeister der Höhepunkt eines | |
Herbstes, wie ihn der Hauptstadtklub lange nicht erlebt hat. Lustvoll, | |
jung, offensiv, spielfreudig trat Hertha auf, mutig. Zum Verlieben. Die | |
alte Dame ist eine Prinzessin geworden, und die halbe Bundesrepublik | |
schwärmt von ihr. Natürlich etwas zu viel, wie oft bei solchen Geschichten. | |
Denn Hertha ist immer noch ein Klub des oberen Mittelfelds, und am Ende | |
wird es wieder um die Euro League gehen, nicht um die Champions League. Die | |
Konkurrenz aus München, Leverkusen, Schalke kampiert nicht ewig in den | |
Tabellentiefen, und oberhalb der Euro League scheinen die Berliner mit dem | |
derzeitigen Budget und Kader eine Wachstumsgrenze zu haben. | |
Aber sie haben dafür eine selten gewürdigte Qualität, die sich jetzt | |
auszahlt: Geduld. | |
## Risikoarm, defensiv | |
Nur drei Jahre ist es her, dass Hertha BSC Abstiegskandidatin war, und Pal | |
Dardai ein Übergangstrainer, die Älteren erinnern sich. Dardai hat aus dem | |
Team einen Europapokalteilnehmer geformt, mit jenem risikoarmen, oft nur | |
noch schwer erträglich defensiven Hertha-Fußball, der bald einen Großteil | |
der Bundesliga ansteckte. | |
In der Kritik stand dieses Spiel oft, aber nie der Trainer selber. | |
Vielleicht, weil man wusste, dass Dardai schon an Herthas | |
Leistungsobergrenze agierte. Vielleicht auch, weil man ihm vertraute. | |
Mittlerweile ist der Ungar nach Christian Streich, dem Trainer des SC | |
Freiburg, Herthas nächster Gegner am Sonntag, dienstältester Trainer der | |
Liga, und er hat sich im Lauf dieses Jahres wieder neu erfunden. | |
Hertha-Ergebnisse lauten heute 4:2 oder 1:3, und das an einem Punkt, wo man | |
schon glaubte, der Verein habe Betonfußball in seine DNA übertragen. Pal | |
Dardai bekam immer Zeit. Das war mutig. | |
In dieser Saison ist vieles auch im rechten Augenblick passiert. Der ewig | |
verletzte Ondrej Duda erreicht just dieses Jahr endlich das Potenzial, das | |
er versprach. Der legendäre 98er-Jahrgang aus der eigenen Jugend und die | |
Folgejahrgänge reiften tatsächlich. Deren Aushängeschild ist der 19-jährige | |
Arne Maier, U21-Nationalspieler, Herthas Juwel im Mittelfeld. Unter den | |
fünf besten Torschützen der Liga sind derzeit zwei Herthaner, Ondrej Duda | |
und Vedad Ibisevic. Neuzugang Javairo Dilrosun gehört mit seinen drei | |
Vorlagen und zwei Treffern in sechs Spielen zu den besten Scorern der Liga. | |
Alles könnte also sehr schön sein. Wenn das Hertha-Innenleben nicht so | |
verspannt wäre. | |
## Fan-Freundlichkeit | |
Kurz vor dem kommenden Heimspiel gegen Freiburg trainierten die Profis beim | |
BSV Eintracht Mahlsdorf. Es ist ein Teil der neuen, wieder aufgenommenen | |
Kieztour, die Nähe zur Basis ausstrahlen soll, Fan-Freundlichkeit. | |
Ebenfalls im Oktober gab es ein Graffito am Haus des Marketingchefs Paul | |
Keuter: „@Paul: Ist Hertha hier zu Hause??? …“ Es ist eine Anspielung auf | |
dessen Neigung zum Nachrichtendienst Twitter, und ein erneuter Ausschlag | |
eines schon beinahe ewigen Streits zwischen Teilen der Fans und der | |
Vereinsführung. Beide Seiten haben sich derart hilflos ineinander verkeilt, | |
dass eine Lösung weit weg rückt. | |
Es geht ums große Ganze: Hertha, die sich an die Hipsterszene anbiedert, | |
die vermeintlich mehr twittert, als sich um die Belange ihrer Fans zu | |
kümmern; um die schrillen Werbeaktionen, die weitere Suche nach Investoren, | |
die offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber Fan-Gefühlen. | |
Markenchef Keuter redet mit der Capital statt mit Fan-Magazinen – das ist | |
seine Szene. Er will Fußballvereine digital erneuern und Hertha retten: | |
Mehr Follower zu mehr Geld machen, mit der neuen E-Sport-Akademie einen | |
Markt erobern, eine prägnantere Marke schaffen. Und Teile der Ultras wollen | |
Hertha vor Keuter retten. | |
## Klare Positionierung | |
Seit Kurzem ist bekannt, dass der Verein seine Anteile von US-Investor KKR | |
zurückkaufen und rund 40 Millionen Euro durch Anleihen neuer Investoren | |
einnehmen will. Sich noch mehr dem Finanzmarkt öffnen. Gleichzeitig bemüht | |
sich Hertha neuerdings, das soziale Profil zu schärfen. Auf eine Umfrage | |
der taz unter Bundesligaklubs, ob es unvereinbar sei, ihren Verein und die | |
AfD gut zu finden, antwortete Hertha als einer von wenigen Vereinen | |
uneingeschränkt mit Ja. | |
Manager Michael Preetz, bis dato nicht gerade als Idealist in Erscheinung | |
getreten, sagte kürzlich im ZDF-Sportstudio zum Rechtsruck: „Wir haben die | |
verdammte Verpflichtung, aufzustehen.“ Schwer zu sagen, wie viel davon | |
Marketingkalkül ist. | |
Vielleicht ist es im Grunde sogar ein sehr mutiges Unterfangen, wenn auch | |
mit reichlich finanziellem Interesse: Hertha wegholen zu wollen aus dem | |
Charlottenburger Mief, zu einem progressiven, digitalen, multikulturellen | |
Klub zu machen. „Wenn ich mir was ausmalen darf, dann hätte ich gerne, dass | |
Hertha der Verein für alle Subkulturen Berlins ist“, sagte Paul Keuter der | |
Zeit. „Ich hätte gerne die alten Berliner, und ich hätte gerne die | |
Zugezogenen, und ich hätte gern einen ganzen Block voller Schöneberger | |
Dragqueens.“ Aber auch eines, das von Selbstüberschätzung zeugt. Hertha ist | |
ein Verein, kein Silicon-Valley-Unternehmen, dem man neue Kundschaft | |
verordnen kann. Mitglieder, denen vermittelt wird, wie furchtbar egal sie | |
einem sind, können furchtbar irrational werden. | |
Am besten zeigt sich das Problem bei der Sache mit der Hymne. Zu | |
Saisonbeginn entschied Hertha, die Einlaufhymne zu ändern: Statt „Nur nach | |
Hause“ von Frank Zander wurde „Dickes B“ von Seeed gespielt. Hip und | |
richtig Berlin und so, nicht so altbacken schnulzig. Die Proteste waren so | |
groß, dass der Verein die Entscheidung zurücknehmen musste. | |
Die Mitglieder vorher zu fragen, hatte niemand für nötig gehalten. Keuter | |
glaubt, nicht die Zeit zu haben, die Menschen mitzunehmen: „Bei dem Tempo, | |
mit dem der digitale Wandel voran schreitet, können wir uns das nicht | |
leisten. Ob es den Fans nun gefällt oder nicht“, sagte er der Capital. | |
Solche Aussagen könnten ein größeres Problem für Hertha werden als die | |
digitale Transformation. Immerhin, am Sonntag können sich alle Seiten für | |
eine Weile entspannen. Denn wahrscheinlich wird der Fußball schön. | |
19 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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