# taz.de -- Streit beim Berliner Bundesliga-Klub: Hertha oder härter? | |
> Die Ultras von Hertha BSC liegen mit ihrem Klub im Clinch. Es geht um | |
> mehr als eine Schlacht mit der Dortmunder Polizei. | |
Bild: Ist denn schon wieder Silvester? Hertha-Hools in Dortmund am 27. Oktober … | |
Berlin taz | Am Donnerstagmorgen sitzt Pál Dárdai in | |
sponsorennamenbestückter Joggingjacke auf der Pressekonferenz und scherzt | |
über Felipe Lima. Diese angebliche Neuverpflichtung, und dann war irgendwie | |
doch alles eine Falschmeldung. Dárdai muss die Konferenz allein bestreiten; | |
Manager Michael Preetz lässt sich mit einem Paralleltermin entschuldigen. | |
Und der Ungar zwinkert und lächelt, während um ihn herum ein Flächenbrand | |
tobt. | |
Nach der 0:3-Heimniederlage gegen Leipzig unter eisigem Schweigen der | |
Ultras, nach dem Banner- und Fahnenverbot „bis auf Weiteres“ durch den | |
Verein wurde gerade bekannt, dass die Fanhilfe Hertha BSC Anzeige gegen | |
Michael Preetz erstattet; wegen übler Nachrede und Beleidigung. Außerdem | |
erstattet sie Strafanzeige gegen die [1][für den Polizeieinsatz von | |
Dortmund Verantwortlichen]. Und die zukunftsuchende Hertha ächzt und stöhnt | |
zwischen Weltklub und Wedding. | |
Pál Dárdai will den Fankonflikt abhaken, jetzt ehrlich. „Umso schneller die | |
Sache gelöst ist, umso besser. Wir sind alle Herthaner. Ich hoffe, dass es | |
von beiden Seiten eine schnelle Einigung gibt.“ Und dann sagt er noch: | |
„Herthaner gegen Herthaner, das verstehe ich nicht.“ | |
Für Dárdai muss die Situation etwas Zynisches haben: Zum ersten Mal seit | |
dreieinhalb Jahren lässt er den so lange geforderten [2][attraktiven | |
Fußball spielen], und jetzt interessiert es niemanden. Dass sich der | |
Stimmungsboykott aufs Spiel des jungen Hertha-Teams auswirkt, ist zumindest | |
denkbar. „Bestimmt diskutiert die Kabine über den Streit“, sagt Dárdai | |
vage. Noch nimmt er die Vorlage nicht auf, die Schuld an schlechten | |
Ergebnisse den Fans zuzuschieben. | |
Auslöser, nicht aber der Ursprung allen Übels ist der ausufernde | |
Polizeieinsatz bei Herthas 2:2 gegen den Tabellenführer aus Dortmund. | |
Nachdem Hertha-Fans mehrfach Pyrotechnik zündeten, marschierte die Polizei | |
ohne Absprache mit Fanvertretern zum Block und entfernte ein auf dem Boden | |
liegendes Banner; vorgeblich, weil sich die zündelnden Fans vorher dahinter | |
versteckt hatten. Die Situation eskalierte. | |
Videoaufnahmen zeigen ein zuerst einigermaßen skurriles Kämpfchen, bei dem | |
beide Seiten minutenlang an einem Stück Stoff zerren. Die Dortmunder | |
Polizei war sich bewusst, dass der „Entzug des Banners, das ein Heiligtum | |
der Hertha-Fans ist, zu Problemen und massiven Reaktionen der Berliner | |
führt.“ Teile der Berliner Ultras griffen die Polizei mit Plastikstangen | |
und Bengalos an; die wesentlich höhere Anzahl von Verletzten fand sich aber | |
aufseiten der Berliner Fans. Später zertrümmerten Herthaner noch die | |
Dortmunder Sanitärräume. | |
Ralf Busch, Leiter des Fanprojekts Berlin, sah den Einsatz mit Sorge. | |
„Üblich ist immer gewesen, dass die Polizei die viel gelobte | |
Videoüberwachung nutzt und versucht, Täter im Nachgang zu ermitteln“, sagt | |
er. „Wir hatten ganz lange keinen so massiven Polizeieinsatz in einem | |
Fanblock mehr. Wenn dies kein Einzelfall bleiben, sondern eine neue | |
Polizeistrategie werden sollte, so wird diese definitiv zu einer Eskalation | |
führen und die Fronten zwischen Fans und Polizei weiter verhärten.“ | |
## Gezielte Eskalation | |
Ob es sich tatsächlich um einen Strategiewechsel handelt, ist unklar. | |
[3][NRW-Innenminister Herbert Reul] kündigte an, man werde den Gebrauch von | |
Pyrotechnik auch künftig „konsequent verfolgen.“ Der hessische | |
Innenminister Peter Beuth, ebenfalls CDU-Mann, forderte am Mittwoch | |
medienwirksam, Pyrotechnik unter das Sprengstoffgesetz zu fassen. „Wer im | |
Stadion zündelt, geht in den Knast.“ Gezielte Eskalation. | |
„Mit Sicherheitsmaßnahmen und Verboten wird man Pyrotechnik nicht aus den | |
Stadien kriegen“, sagt Ralf Busch. Das Berliner Fanprojekt plädiert dafür, | |
über eine Legalisierung zumindest wieder zu diskutieren. „Wenn Pyrotechnik | |
legal wäre, müsste man sie nicht mehr heimlich zünden. Das würde die | |
Risiken enorm reduzieren. Die jetzige Situation ist für alle Seiten | |
unbefriedigend.“ | |
Die Wahrscheinlichkeit erneuter Legalisierungsgespräche geht allerdings | |
gegen null. Die Polizei hat bei den nach außen populären Einsätzen gegen | |
„Krawallmacher, Chaoten, Brutalos und Kriminelle“ öffentlich durchaus etwas | |
zu gewinnen. Wenn auch wenig faktischen Fortschritt; Ultrakultur und | |
Pyrotechnik sind kaum voneinander zu trennen. Und die Ultras aus den | |
Stadien verweisen wird niemand wollen. Hertha irrlichtert derweil unter dem | |
enormen Druck beider Fraktionen zwischen allerhand abenteuerlichen | |
Maßnahmen. | |
Michael Preetz hat schnell seine Unterstützung für den Polizeieinsatz | |
deutlich gemacht. „Wir sind diejenigen, die die Verantwortung dafür tragen, | |
dass alle Zuschauer ein sicheres Stadionerlebnis haben“, sagte er. Im | |
Nachgang hat Hertha bis auf Weiteres Fahnen, Banner und andere | |
Fan-Utensilien im Stadion verboten; trotz des Versprechens, | |
Kollektivstrafen auszusetzen. Das daraus resultierende Schweigen der Fans | |
kann sich Hertha aber eigentlich gar nicht leisten. Verein und aktive Fans | |
sind einander in tiefer Abhängigkeit verbunden. Stimmungsboykott ist da | |
eine wirksame Waffe. | |
## Wem gehört Hertha? | |
Schon seit Januar 2017 haben die Ultras von den „Harlekins“ und der | |
„Hauptstadtmafia“ den Dialog mit Hertha BSC offiziell eingestellt. Um | |
Kommerz geht es vorgeblich, aber so ganz richtig ist das nicht. Eher um | |
Tradition versus Moderne, lokal versus global, Basis versus Eliten – | |
zumindest gefühlt. | |
Die Liste der Streitpunkte seit 2016 ist lang und unübersichtlich: | |
Ausweichtrikots in Pink statt in traditionellem Blau-Weiß, mittelwitzige | |
englische Werbeslogans statt Nähe zum Kiez, zuletzt die von Hertha | |
erfolglos verordnete neue Einlaufhymne. „Dickes B“ von Seeed statt „Nur | |
nach Hause“ von Frank Zander. Kapitalismuskritik? Nicht wirklich: Die einen | |
wollen Frank Zander und blau-weiße Trikots verkaufen, die anderen pinke | |
Shirts und „Dickes B“. Wem aber gehört Hertha? | |
Hertha, die RTL2-Diva unter den Berliner Vereinen, wo viel schmutzige | |
Wäsche bundesweit gewaschen wird, war nie sonderlich gut darin, Liebe zu | |
zeigen. Paul Keuter, Digitalisierungschef und von den Ultras in einer | |
Verschwörungstheorie zum Alleinschuldigen an überhaupt allem erkoren, | |
erklärt immer wieder, Hertha habe keine Zeit, sich mit den Fans über die | |
Zukunft auseinanderzusetzen. Pech, gerade keine Zeit für Demokratie. Der | |
Protest der Ultras ist ein gar nicht so stummer Schrei nach Liebe, | |
gerichtet an einen Verein, der sich um seine Zukunft sorgt; wenig Protest | |
gegen das System, sondern ein sehnsüchtiges: Will you still love me | |
tomorrow? Werte, Wertschätzung, Nähe. Aber Nähe kann man unterschiedlich | |
empfinden. | |
## Bloß nicht noch mehr Unruhe | |
Der Himmel ist neblig, das Wetter ungemütlich, die Hertha-Kicker trainieren | |
in blauen, nicht pinken Leibchen in der Nähe des Olympiastadions. | |
Vielleicht zehn Kiebitze stehen am Zaun. Hier ist kein Ultra-Land. Und vor | |
lauter Fokussierung auf ein paar Tausend in der Ostkurve fühlen sie sich | |
ein wenig übersehen. „Diese Fans haben mittlerweile im Fußball fast zu viel | |
Macht“, sagt ein älterer Herr, der den Ultras nichts abgewinnen kann. Ein | |
anderer, Familienvater, sagt: „Diese Ultra-Arschkrampen gehen mir auf den | |
Sack. Ich finde die Preetz-Linie super.“ Verständnis für Pyrotechnik oder | |
den Stimmungsboykott ist hier rar. | |
Es liegt eine eigene, große Welt zwischen den Welten. Auch der Vater kann | |
der Kommerzialisierung nichts abgewinnen; Fifa, Uefa, die Bundesliga, das | |
sei doch „eine Farce“. Aber die Ultras empfindet er als aggressive | |
Wichtigtuer: „Eine Minderheit spielt beleidigte Leberwurst. Ich glaube | |
nicht, dass sie tatsächlich die Meinung der Fans repräsentieren.“ Ihm | |
selbst wäre „Dickes B“ als Hymne genauso lieb gewesen wie Zander; die neuen | |
Marketingsprüche, ironisch gebrochen, das sei doch mutig. „Mir gefällt es, | |
dass der Verein sich wandeln will. Ich hatte immer das Gefühl, früher war | |
das so ein Westberliner Mief. Jetzt sehe ich die Bemühung, sich | |
aufzufrischen.“ | |
Auch die Basis ist gespalten. Und kann es sich ein Bundesligist überhaupt | |
leisten, seine Fans über Zukunftsstrategien abstimmen zu lassen? Wenn nun | |
wirklich eine Mehrheit gegen Twitter und die neue E-Sports-Akademie ist, | |
lässt man es dann einfach bleiben? Vielleicht hätte es damals eher | |
geholfen, die Menschen mitzunehmen, ernst zu nehmen, öfter anzuhören. Jetzt | |
ist viel Schaden angerichtet. Donnerstagabend fand ein erster runder Tisch | |
mit Fanvertretern statt; er machte vor allem deshalb Schlagzeilen, weil ein | |
Vorgespräch zwischen Ultras und Verein am Montag platzte. Sie fühlten sich | |
vom Klub erpresst. Auch bei Hertha scheinen sie keine schnelle Lösung zu | |
erwarten. Im Nachgang des runden Tischs gab es eine kurze Pressemitteilung: | |
„Über das weitere Vorgehen wurde Vertraulichkeit vereinbart.“ Bloß nicht | |
noch mehr Unruhe. | |
Wie kommt die Ruhe wieder? Hinter dem Tor beim Vormittagstraining steht der | |
19-jährige Christopher, Dauerkartenbesitzer. Beim Leipzig-Spiel gehörte er | |
zu den wenigen, die gegen den Boykott sangen. „Wir hatten den besten | |
Saisonstart, den wir hätten haben können“, klagt er. „Jetzt schadet man d… | |
Mannschaft mehr als dem Verein.“ Den Keuter-Hass findet er falsch, die | |
Kollektivstrafen aber auch. „Ich glaube, dass man sich einigen kann. Ohne | |
Fans ist der Fußball nichts.“ Das jedenfalls stimmt auf mehr Arten, als es | |
Hertha lieb sein dürfte. | |
The Show must go on. Und wer laut genug ist, der darf auch mitreden; eine | |
Demokratie des Stärkeren. Christopher will eigentlich nur, dass Hertha | |
gewinnt. „Ich finde, die Streitereien im Verein sorgen für Unruhe im | |
Spiel“, sagt er. „Man sollte die Mannschaft anfeuern und den Streit in den | |
Hintergrund stellen.“ Pál Dárdai drückt den Like-Button. | |
10 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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