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# taz.de -- Fußball-Bundesliga in Berlin: Derby der Ultras
> Die Bundesliga startet mit der Berliner Stadtmeisterschaft; der 1. FC
> Union empfängt Hertha BSC. Es ist ein Duell zwischen Mannschaften und
> Fanszenen.
Bild: Laut für Hertha in der Ostkurve: die Harlekins
Seit spätestens der Jahrtausendwende sind Ultras die führende Fankultur in
deutschen Stadien. Organisiert in festen Gruppen, bei jedem Spiel, auch
auswärts immer dabei, mit Dauergesängen, Choreos und Pyrotechnik – und dem
Anspruch, ihre Vereine mitzugestalten. Sie verstehen sich als Wächter des
Volkssports Fußball, auch als Outlaws gegen Polizei und immer höhere
Sicherheitsstandards. Und sie richten sich gegen die von Vereinen und
Verbänden auf die Spitze getriebene Kommerzialisierung.
Das Spiel findet für die extremsten der Fans nicht nur auf dem Rasen,
sondern vorwiegend auf den Rängen statt. Hier gilt es die gegnerische Szene
zu besiegen, lauter, kreativer und mitunter schlagkräftiger zu sein. Das
Derby ist seit Unions Bundesligaaufstieg 2019 für beide Fanszenen das
Highlight der Saison.
In den vergangenen drei Spielzeiten inklusive einer Partie im DFB-Pokal
gewann Union auf dem Platz vier, Hertha zwei Spiele. Nach der besonders
bitteren 1:4 Heimpleite Mitte April zwangen Hertha-Ultras einige Spieler
die Trikots auszuziehen, weil sie es nicht wert seien, das Hertha-Logo zu
tragen.
Wenn am Samstagnachmittag das nächste Duell in Köpenick steigt, gilt Union
sportlich als klarer Favorit. Auf den Rängen aber ist diese Rolle nicht so
eindeutig verteilt.
## Ultragruppen
Schon seit 1998 prägen die Harlekins Berlin das Fangeschehen bei Hertha
BSC. Laut Selbstdarstellung begreift man sich als „Motor der Kurve“, als
Garant, „mit unbändigem Willen, den Verein zum Sieg zu tragen“. Die zweite
große Ultragruppe nennt sich Hauptstadtmafia. Die Harlekins verzichten aus
Kritik an der Vermarktungsstrategie des Vereins auf offizielle Fanartikel.
Seit Juni aber ist mit Kay Bernstein ihr ehemaliger Vorsänger – derjenige,
der mit dem Rücken zum Spielfeld die Gesänge dirigiert – Präsident des
Vereins. Die führende Gruppe von Union ist das Wuhlesyndikat, das im Mai
sein 20-jähriges Bestehen feierte. Mit Teen Spirit Köpenick gibt es seit
2006 eine eigene Jugendgruppierung, bei der sich junge Fans erst beweisen
müssen. Die dritte wichtige Gruppe sind die 2004 gegründeten Hammerhearts.
Zusammengenommen gehören den Gruppen, genauso bei Hertha, nur ein paar
Hundert Fans an, doch die Hierarchien sind klar: Sie bestimmen, was in der
Kurve läuft und was nicht. Anders als bei vielen Vereinen stehen Ultras und
Vereinsführung bei Union nicht auf Kriegsfuß; bei Heimspielen gebe es keine
großen Probleme, heißt es vom Wuhlesyndikat.
## Kurven
Die lautesten der Unioner stehen auf Hintertortribüne der Alten Försterei,
der Waldseite, die Platz für 5.000 Fans bietet. Einzigartig ist: Nicht nur
hier, sondern auch auf der Gegengeraden und hinter dem anderen Tor sind
ausschließlich Stehplätze zu finden (Dauerkarte 221 Euro).
Während die Unioner Ultras regelmäßig fast mit dem ganzen Stadion singen,
müssen die Hertha-Fans aus der deutlich größeren Ostkurve (Dauerkarte für
Mitglieder 149 Euro) in ein oft schlecht gefülltes Rund ansingen. Am
Samstag im Gästeblock können etwa 2.500 von ihnen dabei sein.
## Rivalität
Von der Freundschaftsbeziehung beider Vereine zu Mauerzeiten ist heute auf
Ultra-Ebene nichts mehr übrig. Beide Szenen kämpfen um die Vorherrschaft;
davon zeugen dicke Aufkleberschichten, auf denen abwechselnd Sticker beider
Vereine kleben. Vor allem die Hertha-Ultras setzen darauf, ihren Verein als
Gesamtberliner Klub in Szene zu setzen und Union die Rolle als Kiezclub
zuzuschreiben.
So schmückte im letzten Derby eine riesige Blockfahne den gesamten
Unterrang der Ostkurve im Olympiastadion mit Berliner Bauwerken vor der
Vereinsfahne und dem Spruch: „Von Spandau bis nach Hellersdorf, vom Wedding
bis Neukölln, von Zehlendorf bis JWD gibt’s nur“ – Hertha BSC. Union
dagegen feiert nach zuletzt drei Derbysiegen in Folge ausgiebig den Status
als „Stadtmeister“ und hat auch schon per Choreo im Mythologie-Style
verkündet: „Spree-Athen ist weiß und rot.“
## 3. Halbzeit
Vor allem das erste Bundesligaderby 2019 in der Alten Försterei bleib in
Erinnerung: Erst hatten sich 250 Unioner mit einem Einlasssturm
unkontrolliert Zutritt verschafft, später versuchten sie auch noch per
Platzsturm an die Hertha-Fans heranzukommen. Diese hatten schon beim
Abschlusstraining per Spruchband kundgetan: „Jagt sie über den Platz wie
wir sie durch den Wald.“
Im Stadion schossen die Herthaner dann mit Leuchtraketen in die
Heimblöcke. Beide Vereine mussten Strafen in sechstelliger Höhe zahlen.
Seitdem nutzen beide Seiten die Derbys vor allem dazu, ihre angesammelten
Pyrobestände abzufackeln; große Massenschlägereien bleiben die Ausnahme.
Zuletzt duellierten sich 30 Anhänger:innen beider Vereine im März auf
einem S-Bahnhof.
Klar ist, beide Szenen bestehen nicht nur aus Lämmern: Aus einer Kleinen
Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader von 2020 geht hervor, dass
die Polizei 79 Fans bei Hertha und 66 beim 1. FC Union als gewaltsuchend
einstuft. Diese Fans sind zumeist klassische Hooligans, bei der Polizei als
„Kategorie C“ bezeichnet. Ultras finden sich häufiger in der „Kategorie …
Als „gewaltsuchend“ gelten demnach 349 Fans bei Union und 448 bei Hertha.
Als Gruppen mit den meisten „Problemfans“ werden Wuhlesyndikat (66),
Hammerhearts (50) und die Harlekins (40) genannt.
## Politik
Weder Herthas noch Unions Fanszenen sind zumindest entlang einer
Links-rechts-Achse eindeutig politisch positioniert. Anders als
antirassistische Gruppen und Szenen wie bei TeBe oder Babelsberg hält man
sich mit Aussagen eher zurück und akzeptiert Fans unterschiedlicher
Gesinnung, solange sie ihre Vereinsliebe in den Vordergrund stellen.
Wirklich politisch sind beide in ihrem Engagement gegen das, was Ultras den
„modernen Fußball“ nennen. So etwa arbeitet sich Union seit Jahren am
Plastikverein RB Leipzig, Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp und am DFB ab. Als
dieser zuletzt im Pokal ein „Zeichen für den Klimaschutz“ setzen wollte,
hielten Union-Fans auf einem Banner dagegen: „Jedes Spiel von Dubai nach
Katar im Flieger. Aber eine Minute alles fürs Klima. Scheiß DFB.“
## Soziales Engagement
Ultragruppen sind soziale Gefüge, die mehr als ihre Selbstdarstellung im
Blick haben. Die Harlekins initiierten einst eine Typisierungsaktion für
ihr an Leukämie erkranktes Mitglied und sammeln immer wieder Geld, auch die
Union-Fans spendeten schon an die Deutsche Knochenmarkspenderdatei.
Im ersten Coronawinter nähten Unions Ultras Stoffmasken und errichteten
einen Gabenzaun für Bedürftige; Hertha-Fans unterstützten bedrohte
Fankneipen und engagieren sich seit Jahren in der Obdachloseninitiative
„Hertha wärmt“.
## Derby-Vorbereitung
Unions Ultras mobilisieren zum gemeinsamen Marsch zum Spiel. Bereits ab 10
Uhr können sich die Ungeduldigen am Schlossplatz Köpenick treffen, um 12
Uhr geht es gemeinsam in einer Art – sehr lautstarken – Demo zum Stadion.
Die Hertha-Szene hält sich bislang mit Ankündigungen zurück. Nach dem
DFB-Pokal-Aus in Braunschweig machte ihr Vorsänger der Mannschaft eine
Ansage. Keine bösen Worte, wie es aus der Mannschaft hieß, hingewiesen
worden sei nur auf die Bedeutung des Derbys.
5 Aug 2022
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Fußball-Bundesliga
Ultras
Profi-Fußball
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Wochenkommentar
Fußball
Hertha BSC Berlin
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