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# taz.de -- Gewaltbereite Fußballfans: Brandstifter in der Bannmeile
> Das Gros der deutschen Ultras ist friedlich, doch wie der Ausbruch der
> Gewalt in Berlin zeigt, findet an den Rändern der Szene eine zunehmende
> Radikalisierung statt.
Bild: Vergangenen Samstag im Berliner Olympiastadion: Hertha hat verloren, Hool…
Mitte der ersten Halbzeit wurde in der Südkurve der Münchner Arena ein
Transparent hochgehalten, wie man es in deutschen Fankurven oft liest:
"Gegen Bannmeilen für Kutten, Hools und Ultras", war darauf zu lesen. Der
Zeitpunkt für diese Forderung hätte besser sein können. Gerade einmal
eineinhalb Stunden zuvor hatten sich im Berliner Olympiastadion Szenen
abgespielt, die den Druck auf die Ultra-Szene bundesweit verschärfen
dürften. Mitten in einem WM-Stadion hatten Spieler, Funktionäre und Ordner
nach dem Schlusspfiff panisch in die Katakomben fliehen müssen, weil ein
mit Stangen bewaffneter Mob das Spielfeld stürmte. Dass die Forderung,
solche Szenen künftig mit allen Mitteln zu verhindern, seit
Samstagnachmittag deutschlandweit populärer ist als Günther Jauch, kann
eigentlich niemanden wundern. Zumal der Gewaltexzess aus der Hauptstadt nur
der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung ist, die Funktionäre und
Fanaktivisten zugleich erschreckt.
Es ist noch gar nicht so lange her, da grenzten sich die Ultras von
jeglicher Gewalt ab. Bis vor ein paar Jahren war das mehr als eine
Schutzbehauptung. Heute hat sich das grundlegend geändert. Das Gros der
deutschen Ultras ist nach wie vor friedlich. Doch die zunehmende Gewalt an
Spieltagen geht fast ausschließlich auf das Konto der Szene. Spätestens
Ende der 90er-Jahre hatten die Ultras in fast allen deutschen Stadien die
Regie in den Fankurven übernommen. Man entwarf eigene Fanartikel, bastelte
Choreografien für den Spieltag und dichtete eigene Lieder. Noch heute wirkt
die Szene so attraktiv, dass sich viele junge Fans nach einem ersten
Stadionbesuch den Ultras anschließen. Langjährige Dauerkartenbesitzer
hingegen wunderten sich schon damals, dass die meisten der angeblich
kompromisslosesten Fans des Vereins nicht viel über das Spielgeschehen
berichten können, weil sie beim Fußball der Fußball weniger interessiert
als das Geschehen in den Kurven. Die Ultra-Kultur unterscheidet sich
fundamental von althergebrachten Gepflogenheiten in der Kurve. Und das auch
positiv: Viele Ultra-Gruppierungen sprechen sich gegen
minderheitenfeindliche Slogans aus, an vielen Orten geht es ziviler zu als
noch vor einem Jahrzehnt.
Und dennoch: Die Zeiten, in denen Ultras vor allem positiv wahrgenommen
wurden, sind vorbei. Dass gegnerischen Anhängern die Schals gewaltsam
abgenommen werden, ist vielerorts zum Ritual geworden. Immer öfter werden
Züge überfallen, in denen Fans anderer Vereine zu den Spielen anreisen.
Ende November verabredeten sich Dortmunder und Schalker Ultras, um sich
beim A-Jugend-Derby zu prügeln - das Spiel wurde abgebrochen. Weitgehend
unbemerkt von der Öffentlichkeit schlugen sich Ende Januar in Nürnberg 50
Frankfurter Ultras mit ihren Kontrahenten - mitten in einem
Bundesligastadion. Erst nachdem sie aufeinandergeprallt waren, konnten
Ordner und Polizei die Lager trennen.
Die Wahrnehmung der Ultras ist eine andere. Für sie hat die Polizei die
Verrohung der Sitten herbeigeführt. Vereinzelte Gewaltexzesse durch
Spezialeinheiten - am Rande des Pokalspiels beim FC Bayern wurden
zahlreiche friedliche Fürther Anhänger verletzt - bestärken die Ultras in
ihrer Auffassung. Tatsächlich tendiert die Aufklärungsquote bei internen
Ermittlungen der Polizei gegen null, der Corpsgeist scheint dort genauso
stark ausgeprägt zu sein wie bei den Ultras.
Ende Februar überfielen Frankfurter Ultras das Karlsruher Fanprojekt - es
gab mehrere Verletzte. Die sozialarbeiterisch tätige
Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (BAG) warnte daraufhin ungewohnt
deutlich vor einer weiteren Eskalation: "Ganze Gruppen bzw. ganze
Ultra-Szenen sind dazu bereit, Grenzen zu überschreiten", heißt es. Die
BAG, die sich bislang auch als Ansprechpartner für die Ultras begriff, will
klären, ob auf der anderen Seite noch Dialogbereitschaft besteht.
Viele Vereinsvertreter halten diese Frage für beantwortet. Nachdem
Nürnberger Ultras beim Spiel in Bochum Magnesiumpulver entzündeten - durch
die bis zu 3.000 Grad heiße Substanz verletzten sich neun Ultras (drei
davon schwer) -, reagierte der Verein umgehend. Wer den FCN begleiten will,
bekommt die Tickets künftig nur noch gegen Vorlage des Personalausweises.
Ein Eingriff in den Datenschutz, unter dem künftig alle Nürnberg-Anhänger
leiden werden. Beim Sieg gegen Leverkusen hatten Nürnberger Fans gegenüber
der Ultra-Kurve ein Transparent angebracht. "Ihr seid nur Brandstifter,
keine Club-Fans."
15 Mar 2010
## AUTOREN
Christoph Ruf
## TAGS
Hertha BSC Berlin
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