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# taz.de -- Frauenfußball in Berlin: Mädels, ran an den Ball!
> Dem Frauen- und Mädchenfußball wurde ein großer Boom prophezeit. Aber die
> Entwicklung an der Basis stockt. Es fehlen die Vorbilder.
Bild: Mädchen- und Frauenfußball wird leider als wenig lohnend empfunden.
Christine Lehmann will optimistisch bleiben. Sie benutzt also nicht das
Wort Stagnation. Seit 2011 ist sie Referentin für Frauen- und
Mädchenfußball beim Berliner Fußball-Verband (BFV). Sie sagt: „Wir tun
einiges, um das Niveau zu halten. Wenn man es positiv formuliert: Wir haben
ein konstantes Niveau.“
Etwa 10 bis 12 Prozent der Aktiven im Berliner Fußball sind Frauen und
Mädchen. Seit Jahren ist der Anteil ähnlich. Dass er nicht sinkt, kostet
viel Mühe. „Die Situation des Mädchenfußballs in Berlin könnte besser
sein“, sagt Lehmann. „Ich würde mir natürlich einen sprunghaften Anstieg
wünschen, aber wir müssen realistisch bleiben.“
Ein großer Boom, das schien lange eine logische Prophezeiung. Die Spitze im
Frauenfußball professionalisiert sich, und das Verbot kennt die heutige
Generation nur noch von Oma. Doch die Basis kämpft. 417 Fußballvereine gibt
es im Berliner Fußball-Verband. 76 davon haben laut Zählung von Yvonne
Schumann, Präsidentin des FFC Berlin, aktuell eine Mädchen- oder
Frauenmannschaft.
Mehr als drei Viertel aller Berliner Fußballclubs bieten bis heute
überhaupt keinen Frauenfußball an. Ein Mangel mit Folgen. „Es gibt für
Mädchen zu selten Mannschaften in Wohnortnähe“, konstatiert Christine
Lehmann vom BFV. „Alle Vereine suchen Trainer, und wer vorher keinen
Kontakt zu Mädchenfußball hatte, wird es nicht unbedingt anbieten.“
Öffentlichen Druck bekommen die Vereine nicht.
Es sind Einzelne, die kämpfen. Personen wie Lehmann im Verband oder wie
Yvonne Schumann im Verein. Schumann ist Präsidentin beim FFC Berlin, einem
von sieben reinen Frauenfußballvereinen der Stadt. Gegründet 2004, hat der
FFC mittlerweile acht Frauen- und Mädchenmannschaften. Ein Verein, wo
Mädchenteams nicht Anhängsel sind, sondern Fokus. „In Vereinen, in denen es
Männerfußball gibt, ist es oft als Mädchenteam schwieriger, an Sponsoren zu
kommen“, sagt Schumann. „Wenn sich der Trainer des Teams nicht alleine
kümmert, dann bekommen die Frauen und Juniorinnen nichts.“
Frauenfußball wird als wenig lohnend empfunden. Weil er viel Idealismus und
Einsatz erfordert; Ressourcen, die die Kleinen nicht haben und in der
monetären und konservativen Logik auch nicht freimachen. Immer wieder
erzählen Engagierte von alten Herren im Verein, die sich gegen
Frauenfußball wehren, von Diskriminierung im Club und Neiddebatten um
Gelder für Frauenteams.
Auch mit dem Verband ist es schwierig. „Die ehrenamtlichen Strukturen
schwimmen oft im eigenen Sud“, sagt Giovanna Krüger, Leiterin der Frauen-
und Mädchenabteilung bei Türkiyemspor. „Der Verband sieht Frauenfußball
eher als soziales Projekt. Initiative entsteht meist von einzelnen
Kämpferinnen.“
Ihr Verein Türkiyemspor ist ein Beispiel, wie Engagement auch im Männerclub
funktionieren kann. Acht Teams stellt der Verein mittlerweile im
Frauenfußball und ist damit einer der Vorreiter der Stadt. Dafür ist viel
Hingabe nötig: Mädchen kommen von selbst oft spät zum Fußball und sind
schnell wieder weg.
Dass Frauenfußball einfach liefe, sobald man ihn nur erlaubt, ist
schmerzhaft widerlegt. „Wer mit Mädchenfußball anfängt, hat es schwer, was
aufzubauen“, so Schumann. „Bei den Jungs ist Fußball teilweise ein
Selbstläufer“, sagt Lehmann. „Bei den Mädchen müssen wir viel dafür
arbeiten.“ Bei den Kleinen anfangen, eine Jugendpyramide schaffen, mit
Schulen kooperieren, Trainerinnen ausbilden. Kurz: Ein großes Konzept
haben. Wer so etwas bietet, hat auch eine große Nachfrage. Bieten aber muss
man.
„Es ist immer noch ersichtlich, dass die Jungs weiter sind“, sagt Schumann.
„Da dreht sich oft alles im Kopf um Fußball. Viele Mädchen bei uns gucken
sehr selten Fußball. Wenn sie Idole haben, dann sind sie häufig aus dem
Männerfußball.“
„Es fehlt an Vorbildern“, sagt auch Giovanna Krüger von Türkiyemspor. Das
liegt an der Situation im Spitzensport. Eine vollberufliche Karriere als
Fußballerin ist in Deutschland bis heute kaum denkbar. Fußball bleibt ein
Hobby, kein Berufstraum. Und die wenigen, die eine große Laufbahn
anstreben, werden regelmäßig zu den Jungs geschickt, damit sie besser
gefördert werden.
Auch der BFV sieht das gern. Mädchenteams aber verlieren damit ihre
Leistungsträgerinnen. Es ist eine Glaubensfrage: Die Einzelnen besser
fördern oder die Breite stabilisieren? In einigen ländlichen Gebieten ist
die Folge von alledem Erosion in Ligen, Spielabsagen, Auflösung von
Mannschaften.
In Berlin ist die Lage besser, es gibt immerhin von der E- bis zur
B-Jugend, von acht Jahren bis zum Alter von etwa 16, einen festen
Spielbetrieb. „Das ist in Deutschland nicht selbstverständlich“, so
Lehmann. Wegen besserer öffentlicher Verkehrsmittel, einer vielleicht
progressiveren Kultur, mehr Vereinen auf kleinem Raum.
Allmählich tut sich auch in den Gremien was. Der BFV engagiert sich zaghaft
mehr für den Mädchenfußball. Mit dem Projekt „Alle kicken mit“, das seit
2012 Mädchenfußball-AGs an Schulen aufbaut, sollen Nachwuchsspielerinnen an
Vereine vermittelt werden. Laut Projektleiter Martin Meyer gab es 2017
stadtweit 55 AGs mit 617 Teilnehmerinnen; eine Verdopplung zum Vorjahr.
Künftig sollen jährlich zwei bis drei Mädchen pro AG im Verein landen. Seit
2017 bietet der BFV vier kostenlose Feriencamps im Jahr für Mädchen an,
auch das eine Verdopplung des Angebots. Meyer sagt: „Wir merken, dass es
eine grundsätzliche Entwicklung im Sport gibt, die insbesondere auf die
Mädchen ausstrahlt. Viele Kinder haben einen sehr vollen Tag, sowohl durch
die Schule bis zum Nachmittag als auch sonstige Verpflichtungen.“ Die
Mädchen in den AGs würden sich durchaus einen Verein wünschen, es fehle
aber die Zeit.
Wo fängt man also an, in der Spitze oder Breite? „Der Spitzenfußball müsste
künstlich substituiert werden“, glaubt Krüger von Türkiyemspor, „damit er
attraktiver wird.“ Im Verband sucht man offiziell dringend mehr Vereine,
die Mädchenteams anbieten. Widerstände aber gibt es auch da. Noch 2015
verließ Tanja Walther-Ahrens, erste Frau im Präsidium des BFV, den Verband,
weil sie das Gefühl hatte, nur als Feigenblatt benutzt zu werden.
Einen Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball hat der BFV erst seit 2017.
Und Rückständigkeit gilt auch für den bekanntesten und erfolgreichsten
Männerverein der Stadt: Hertha BSC, bis heute ohne Frauenabteilung. Der
Stadt fehlt damit das so dringend benötigte Spitzenteam.
„Für Profivereine, die keine Mädchen- und Frauenabteilungen haben, habe ich
kein Verständnis“, kritisiert Christine Lehmann vom BFV. „Ich denke, dass
diese Vereine eine Gesamtverantwortung für alle Bereiche des Fußballs
haben.“ Hertha plant nach eigenen Angaben weiter keinen Frauenfußball. Wie
das mit dem selbst erklärten Slogan gegen Diskriminierung und für Vielfalt
zusammen passt, weiß vermutlich nicht mal der Verein. Man nehme die Maxime,
Vielfalt zu leben, „sehr ernst“, teilt der Club auf Anfrage mit. Dafür
eröffnet Hertha dieses Jahr eine E-Sport-Akademie. Hauptsache, man weiß, wo
die Prioritäten liegen.
16 May 2018
## AUTOREN
Alina Schwermer
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