# taz.de -- Ausstellungen über Rechtsextremismus: Der lange Atem der Neonazis | |
> Eine Ausstellung in München belichtet die Geschichte des Antisemitismus, | |
> rechter Anschläge und Vereine in der BRD von 1945 bis Pegida. | |
Bild: Protest für die Verurteilung von SS-Verbrechern, organisiert vom VVN in … | |
Die ersten politisch motivierten Sprengstoffanschläge nach dem Zweiten | |
Weltkrieg wurden in Deutschland nicht unter dem Banner einer linken | |
Weltrevolution oder im Namen Allahs verübt – sondern von Leuten, deren Ziel | |
es war, die Entnazifizierung zu stoppen. Einer der Anschläge traf im Januar | |
1947 die Nürnberger Spruchkammer. Im Februar folgte ein Anschlag auf das | |
Büro des Spruchkammervorsitzenden Camille Sachs. Wie viele Akteure der | |
westdeutschen Wiederaufbauzeit nach 1945 ist Sachs heute fast vergessen. Er | |
stammte aus einem jüdischen Elternhaus; wie viele, die in den Kammern tätig | |
waren, war er nach 1933 selbst diskriminiert und verfolgt worden. | |
Dass Entnazifizierer wie Sachs wenige Monate nach der vermeintlich | |
„bedingungslosen“ Kapitulation erneut in Angst leben mussten, war keine | |
Seltenheit. Überall in Bayern wurden Spruchkammern angegriffen. Im Visier | |
der militanten Rechten standen aber auch SPD- und KPD-Büros, alliierte | |
Militärbehörden und Betreuungsstellen für NS-Verfolgte. Viele der Täter | |
hatten zuvor NS-Organisationen angehört. Es waren zumeist junge „Altnazis“, | |
die nun als „Neonazis“ agierten, weil sie die eigene Niederlage und die | |
neuen, durchaus noch instabilen Machtverhältnisse nicht akzeptieren | |
wollten. | |
Seit 2015 gibt es am Münchner Königsplatz ein NS-Dokumentationszentrum, | |
dessen Dauerausstellung über die Stadt zur Zeit des Nationalsozialismus | |
informiert. Bis 3. April 2018 läuft zusätzlich dazu eine Sonderausstellung, | |
die sich mit „Rechtsextremismus in Deutschland (gemeint ist bis 1990 | |
Westdeutschland) nach 1945“ beschäftigt unter dem Obertitel: „Nie wieder. | |
Schon wieder. Immer noch.“ | |
Im Kern handelt es sich bei der Ausstellung um eine Chronologie, eine | |
Zeitleiste, die von der „Verordnung der alliierten Militärregierung in | |
Deutschland zur Auflösung der NSDAP und zum Verbot nationalsozialistischer | |
Betätigung“ von 1945 bis zu Pegida-Demos vor ein paar Monaten reicht. Die | |
Zeitleiste, an der man entlangläuft, ist zweigeteilt: Der untere Rand ist | |
für die eigentlichen rechten Aktivitäten reserviert. | |
Antisemitismus immer noch an der Tagesordnung | |
Er beginnt mit einer satirischen Collage zur Wirtschaftlichen | |
Aufbau-Vereinigung (WAV), die 1945 in München gegründet wurde. In einer | |
Zeit, da offen rechtsextreme Parteien von den Besatzern verboten waren, | |
fungierte die vermeintlich nur an Wirtschaftsfragen orientierte WAV als | |
Sammelbecken. Siebzig Jahre später und ein paar Meter weiter heißen die | |
Parteien „Der Dritte Weg“, „Die Rechte“ und „Alternative für Deutsch… | |
Antisemitische Schmierereien, Friedhofsschändungen und Drohbriefe („Wir | |
kommen wieder“, „6 Millionen Schmarotzer wurden vertilgt“) scheinen seit | |
1945 durchweg an der Tagesordnung gewesen zu sein. Man fragt sich | |
unweigerlich, wie hoch die Dunkelziffer der von Rechten zwischen 1945 und | |
1990 ermordeten Menschen liegt, wenn die Amadeu Antonio Stiftung, deren | |
Zahlen in die Ausstellung übernommen wurden, allein seit der | |
Wiedervereinigung 192 Tote gezählt hat. Das Bundeskriminalamt kam von 1990 | |
bis 2015 auf immerhin 75 Todesfälle. Wie viele Tote, Verletzte und | |
Eingeschüchterte gab es, als niemand zählte? | |
Der obere Rand der Zeitleiste bildet den gesellschaftlichen Umgang mit der | |
radikalen Rechten und unterschiedlichen Formen des Rassismus ab. Sie | |
beginnt mit den Protesten jüdischer Überlebender gegen den Abdruck eines | |
antisemitischen Leserbriefes durch die Süddeutsche Zeitung 1949 und einer | |
Demonstration der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) 1950. Am | |
Ende der Liste steht ein Hinweis auf einen Verein zur Unterstützung bei | |
Diskriminierung, Rassismus und rechter Gewalt sowie auf den Dresdner | |
Prozess gegen eine „Bürgerwehr“, die im sächsischen Freital Anschläge auf | |
Asylunterkünfte und Übergriffe auf UnterstützerInnen von Geflüchteten | |
verübte. | |
Die Ausstellung kommt ohne Effekthascherei aus. Sie ist didaktisch, ohne | |
belehrend zu sein. Vielleicht ist sie für Leute ohne ein professionelles | |
Interesse am Thema weniger leicht zugänglich. Sie führt schnörkellos, mit | |
gut ausgewählten Schrift-, Bild- und Ton-Dokumenten in eine Vorgeschichte | |
der Gegenwart ein, die zeigt, wie grundfalsch es ist, mit Blick auf die | |
radikale Rechte nur auf den Osten zu zeigen. | |
„Nie wieder!“ galt auch dem Militarismus | |
Eine Schwäche der Ausstellung ist, dass nicht genug gezeigt wird, wie | |
schwer es Bürgerinnen und Bürger lange Zeit hatten, die gegen | |
Rechtsradikalismus auf die Straße gingen. Die bereits erwähnte VVN etwa | |
wird im Dokumentationszentrum mehrfach als ganz normale | |
zivilgesellschaftliche Gruppe dargestellt. Das ist einerseits sehr | |
sympathisch, unterschlägt aber andererseits, dass die VVN als | |
„extremistisch“ galt und in vielen Bundesländern lange verboten war. Die | |
Begründung für die Repression waren die DDR-Kontakte der VVN, aber im | |
Grunde störte ihre Propaganda. | |
Ein weiteres Manko ist, dass die Ausstellung ein wenig der Eindruck | |
vermittelt, als habe sich das antifaschistische „Nie wieder!“ 1945 nur auf | |
den Rechtsradikalismus bezogen. Genau genommen ging es um einiges mehr, so | |
um Militarismus. Auch protestierte die VVN in den 1950er und 1960er Jahren | |
nicht nur gegen „neonazistische Tendenzen“, wie es in einer | |
Bildunterschrift heißt, sondern auch gegen die Wiederbewaffnung, das Verbot | |
der Kommunistischen Partei und vor allem auch dagegen, dass NS-belastete | |
Richter und Polizisten den Kampf gegen den Neonazismus erschwerten. | |
Die Dauerausstellung, die freilich mehr als dreimal so groß ist, verfolgt | |
hier einen differenzierteren Ansatz. Im 4. Stock, wo der Aufstieg der | |
NSDAP im München der Weimarer Republik erklärt wird, ist nicht nur von der | |
Hitler-Partei und den Kräften die Rede, die sich ihr entgegenstellten. Ganz | |
selbstverständlich in den Blick genommen werden auch die vielen | |
Verbindungen zwischen der NSDAP und dem Staatsapparat, dem Militär, der | |
Wirtschaft und der Publizistik. Ohne diese Verbindungen wären die Nazis | |
niemals in der Lage gewesen, zu einer Bedrohung für den Weltfrieden zu | |
werden. | |
Und in der Bundesrepublik? Einerseits ist es natürlich offensichtlich, dass | |
es hier der radikalen Rechten weit weniger gelang, Staat und Gesellschaft | |
in ihrem Sinne zu mobilisieren. Andererseits wäre es einen Versuch wert, | |
sich auch nach 1945 genauer anzuschauen, wie Staat und Gesellschaft mit der | |
radikalen Rechten interagierten. Vielleicht findet sich dann eine Erklärung | |
für deren relative Erfolglosigkeit. Der Gemeinplatz jedenfalls, wonach wir | |
diese vor allem dem „Wirtschaftswunder“ verdanken, verfängt nicht wirklich: | |
Wirtschaftlich ging es der BRD so gut wie nie, als die NPD 1964 ihren | |
Aufstieg begann. Ähnliches lässt sich über die AfD-Erfolge sagen. | |
7 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Dominik Rigoll | |
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