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# taz.de -- Der Hausbesuch: Abhängig von Büchern
> Beim „stern“ war Barbara Beuys eine der ersten Frauen in der Redaktion,
> doch ihre größere Berufung hat sie als Autorin gefunden.
Bild: Schreibtisch in Kühlschranknähe: Hier arbeitet Barbara Beuys an ihren B…
Menschen können sich ändern, manche tun es nie. Barbara Beuys ist eine, die
Personen in ihrer Zeit verortet. Zu Besuch bei der Schriftstellerin und
Historikerin in Köln.
Draußen: Eine ruhige Neubausiedlung. Luftballons hängen zwischen den
Häusern, weil Nachbar:innen einen Flohmarkt veranstalten. Von fern sind
Kirchenglocken zu hören.
Drinnen: Seit sieben Jahren lebt Barbara Beuys hier. Gleich hinter der Tür
steht ein Regal mit Büchern. An einer Wand hängt ein Band mit der
Aufschrift [1][„weg mit §218 StGB“]. Beuys bittet in die Wohnküche, wo
Kekse auf dem Tisch stehen. An den Wänden hängen viele Bilder, an der Decke
ein bunter Kronleuchter. Links befindet sich eine Küchenzeile, davor steht
ein Schreibtisch. So kommt Beuys beim Schreiben gleich an den Kühlschrank.
Arbeit: Während sie fotografiert wird, sagt Barbara Beuys, dass sie solche
Situationen aus der Vergangenheit als Journalistin zu Genüge kenne. Doch
die Historikerin, die sie auch ist, lenkt sogleich ein. „Andere Zeiten“
seien die 1970er und 1980er Jahre gewesen. Damals habe sie leichter große
Reportagen im Ausland machen können, mehr Möglichkeiten gehabt. Dafür gebe
es heute mehr Frauen im Journalismus. Als Beuys in den 1970er Jahren beim
Stern in Hamburg war, arbeiteten dort „drei Frauen und siebzig Männer“.
Vieles, erzählt sie, sei ins „Rutschen“ gekommen, nachdem mehr Frauen
begannen, als Journalistinnen zu arbeiten. Die Gesellschaft habe sich durch
die Frauenbewegung verändert. „Der Stern hat das mit vorangetrieben.“ Beuys
verweist auf die Titelgeschichte des Magazins von 1971 – „Wir haben
abgetrieben“ – in der Frauen über ihre Schwangerschaftsabbrüche sprachen.
Leben: Beuys wurde 1943 [2][in Wernigerode geboren], mitten im Krieg. Ihr
Vater war nach dem Krieg interniert, sie erinnert sich, wie sie mit ihrem
Großvater 1947 zum Bahnhof fuhr, um ihn nach seiner Entlassung abzuholen.
„Ich hatte das Gefühl, das ist ein fremder Mann. Das war das erste Mal,
dass ich ihn gesehen habe“, sagt sie über den Vater. Die Beziehung war
schwierig. „Ich habe mich sehr früh für Geschichte interessiert und auch
die NS-Zeit. Und er wollte darüber nicht reden.“ Der Vater war Kriminalrat
im Reichssicherheitshauptamt in Berlin, der „organisatorischen Zentrale für
den Völkermord“, sagt Barbara Beuys. „Natürlich wusste er Bescheid.“
Verwandtschaft: Gefragt nach Joseph Beuys antwortet sie: „Den kenne ich
gut.“ Er war ein Cousin ihres Vaters. Allerdings wird sie ungern mit ihm in
Zusammenhang gebracht. Manchmal sei es so: „Wenn ich vorgestellt werde,
dann taucht erst mal der Name Joseph Beuys auf, als ob ich sozusagen ein
Anhängsel bin von dessen Berühmtheit.“ Dabei habe er mit ihrer Arbeit
nichts zu tun. Sie erzählt dennoch von ihm, von seiner Wohnung. „Der Flügel
war der Wickeltisch, das hat mich damals sehr beeindruckt.“ Anders seine
politischen Einstellungen. „In der Kunstwissenschaft wird leider gar nicht
wahrgenommen, [3][dass er seine völkisch-rassische Verbindung] zum
Nationalsozialismus nicht abgelegt hat.“
Nationalsozialismus: Die Nazizeit beschäftigt Barbara Beuys in ihren
Büchern bis heute. Das hänge damit zusammen, dass sie „ein Kind der
Tätergeneration“ sei. In ihrem neuesten Buch „Die Heldin von Auschwitz“,
erschienen 2023, schreibt Beuys über den Widerstand [4][von Mala
Zimetbaum]. Darüber, wie sie anderen im Konzentrationslager half, sich
Aufsehern widersetzte und es sogar schaffte, aus dem KZ zu fliehen.
Dreizehn Tage waren Zimetbaum und ihr Geliebter in Freiheit, bevor die
Flucht scheiterte und die Nazis die beiden barbarisch ermordeten. Beuys
erzählt, sie habe 2020 während der Coronapandemie
Verschwörungstheoretiker:innen im Fernsehen gesehen, die sich einen
Judenstern angeheftet hatten. „Ich dachte, es darf nicht wahr sein.“
Daraufhin wollte sie einen Beitrag leisten, die NS-Zeit „plastisch
darzustellen“, eben anhand der Geschichte einer Frau: Mala Zimetbaum.
Wege: Seit ihrem 12. Lebensjahr ist Barbara Beuys an Geschichte
interessiert, in der Schule ging es damals um die Zeit der Stauferkönige.
„Mich hat das so fasziniert, dass ich dachte: Da will ich mehr wissen.“
Schon beim Abitur war ihr außerdem klar: „Ich will Journalistin werden.“
Zuerst studierte sie Geschichte, promovierte anschließend, denn „ein
Doktortitel kann als Frau nicht schaden“, dachte sie sich. Schließlich
volontierte Beuys beim Kölner Stadt-Anzeiger. Ihren Büchern, sagt die
Schriftstellerin heute, kam ihre „journalistische Laufbahn zugute“.
Hamburg: Anfang der 1970er Jahre zog Beuys nach Hamburg, wo sie dreißig
Jahre lebte, bevor sie 2001 zurück nach Köln ging. Sie war als Journalistin
viel im Ausland, etwa bei einer Papstwahl in Rom. Während der Zeit der RAF
sei ihr Chefredakteur auf sie zugekommen, habe gefragt, ob sie die
Hintergrundrecherche für Erich Kuby machen wolle, „damals ein großer Star�…
Für ihn war sie dann in New York. Über Hamburg sagt Beuys: „Nachdem ich in
Köln studiert habe, habe ich mich etwas als Rheinländerin im Exil gefühlt“,
manches habe sie befremdet. „Wenn jemand in Hamburg an der Haltestelle
sagt: ‚Sie haben aber ein schönes Kleid an‘, heißt es: ‚Belästigen Sie…
nicht.‘ “ In Köln würden sich daraus Gespräche entwickeln.
Zurückblicken: Ende der 1970er Jahre merkte Barbara Beuys, dass sie wieder
„in die Vergangenheit schauen wollte“. Ihr erstes Buch schrieb sie über den
Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Ihr zweites Buch,
„Familienleben in Deutschland“, war in den 1980er Jahren ein großer Erfolg.
„Damals war das Wort Familie überall“, sagt Beuys. Nach ihrer Zeit beim
Stern arbeitete sie als Redakteurin bei Merian und der Zeit. „Dann dachte
ich: Jetzt habe ich genug vom Journalismus und kann gut als freie Autorin
leben.“
Biografien: Heute ist sie wieder viel unterwegs, besonders begeistert von
Antwerpen, wo sie für die Biografie von Mala Zimetbaum recherchierte. Beuys
war auch in China, als sie an einer Biografie über die bekannteste
chinesische Dichterin Li Qingzhao arbeitete. Dafür machte sie sogar einen
Chinesischkurs. Mehrere Sprachen hat sie gelernt, um ihren
Protagonistinnen nahezukommen.
Archive: Neben den Reisen steht Beuys viel an Kopierern in Bibliotheken,
kopiert Unmengen Bücher, um für ihre eigenen zu recherchieren. „Ich bin in
großem Maße abhängig von Büchern“, sagt sie. Wochenlang hat sie etwa im
Institut für Zeitgeschichte in München gesessen, um für ihre Biografie über
Sophie Scholl zu recherchieren. „Da war der gesamte Quellenbestand zu
Sophie Scholl zusammengekommen und den hatte noch niemand angeguckt. Das
war 2005.“ Was Scholl angeht, will sie, wie so oft in ihren Büchern,
Historisches geraderücken, Fakten, die manchen nicht passen: „Sie war im
Bund Deutscher Mädel, sie war überzeugte Nationalsozialistin, und warum
soll man das nicht schreiben?“ Umso eindrucksvoller, sagt Barbara Beuys,
wird dadurch Scholls späterer Widerstand.
Sortieren: Auf Beuys’ Schreibtisch steht ein Hängeregister, in dem sie ihre
Rechercheergebnisse festhält. Es ist sortiert nach der Kindheit, der
Jugend, dem Erwachsenenalter ihrer Protagonistinnen. 23 Bücher hat sie
bisher verfasst. „Ich habe sehr bewusst über Frauen geschrieben, um sie in
die Öffentlichkeit zu bringen.“ Beuys widmet sich den geschichtlichen
Episoden und Lebenswegen, macht immer auch die Zeit verstehbar, in der die
Frauen gelebt haben. So auch in ihrer Biografie über die im späten 11.
Jahrhundert geborene Hildegard von Bingen, in der sie über die Religiosität
von Frauen in ihrer Zeit schreibt – und versucht, Hildegard von Bingen
jenseits aller Projektionen als die historische Frau abzubilden, die sie
war.
Religion: Religion beschäftigte Beuys auch im eigenen Leben. „Ich bin
aufgewachsen in einem rheinischen Katholizismus. Es war selbstverständlich,
in die Kirche zu gehen, jeden Freitag Fisch statt Fleisch zu essen.“ Beuys
hat sich damit auseinandergesetzt, welche Rolle Frauen in der katholischen
Kirche spielen, „nämlich keine“, und doch hat sie das Religiöse immer
wieder bewegt. So sehr, dass sie konvertierte und 2004 in eine evangelische
Gemeinde eintrat. Dort lernte sie ihre Partnerin kennen. „Sie war Pfarrerin
in der Gemeinde.“ Heute sagt Beuys: „Ich kann gut ohne Kirche leben.“ Aber
ungern ohne Liebe.
1 Jan 2025
## LINKS
[1] /Abschaffung-des-Paragrafen-218/!6045917
[2] /Baseballschlaegerjahre-in-Wernigerode/!5941578
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/joseph-beuys-die-nazis-und-die-kunst-1…
[4] /Zum-100-Geburtstag-von-Mala-Zimetbaum/!5477369
## AUTOREN
Lea De Gregorio
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