| # taz.de -- Der Hausbesuch: Burn-out in Brandenburg | |
| > Als linker Pfarrer in Brandenburg wird es für Lukas Pellio manchmal | |
| > ungemütlich. Wie er mit Anfeindungen umgeht, musste er erst lernen. | |
| Bild: Lukas Pellio hat sich einen Klatschmohn tätowiert. „Für die schönen … | |
| Den brennenden Dornbusch hat er sich tätowieren lassen, als er Pfarrer | |
| wurde. Da konnte Lukas Pellio noch nicht wissen, dass er einmal mit einem | |
| Brandanschlag wird umgehen müssen. Und mit einem Burn-out. | |
| Draußen: Der Schillerplatz in der Altstadt [1][von Cottbus], englischer | |
| Rasen vor dem prächtigen Jugendstiltheater. Lukas Pellio wartet am Zaun | |
| eines Gründerzeithauses. Bei der brandenburgischen Landtagswahl im | |
| September gewann die AfD in einem der beiden Cottbuser Wahlkreise ein | |
| Direktmandat; im Straßenwahlkampf wurde [2][die CDU-Kandidatin Adeline | |
| Abimnwi Awemo rassistisch angegriffen]. Aus Sorge um seine eigene | |
| Sicherheit und die seiner zwei Kinder möchte Pellio nicht, dass seine | |
| Privatadresse öffentlich wird. Die taz besucht den 38-Jährigen deshalb im | |
| Gemeindehaus. Seit 2023 betreut er hier die evangelische | |
| Studierendengemeinde, nach zweieinhalb Jahren als Pfarrer im nahegelegenen | |
| Spremberg. | |
| Drinnen: Neben der Tür hängt die Ikone eines Schwarzen Heilands. Im | |
| Büroraum neben der kleinen Teeküche sitzt eine junge Frau am Computer, | |
| [3][die Initiative „Unteilbar Südbrandenburg“] hält hier ihr Plenum, auch | |
| andere soziale Bewegungen können das Büro nutzen. Christ:innen sind eine | |
| Minderheit in Cottbus, die Studierendenseelsorge ist nicht üppig | |
| ausgestattet. „Bis jetzt putzen wir auch selber. Aber da kommt vielleicht | |
| bald jemand einmal die Woche“, sagt Lukas Pellio. | |
| Raum geben: „Wir wollen die zivilgesellschaftlichen Strukturen stärken, die | |
| politisch immer mehr unter Druck geraten“, sagt Pellio. Von 8.000 | |
| Studierenden in Cottbus kommen 4.000 aus dem Ausland. „Ich finde es auch | |
| immer wichtig zu zeigen, dass das hier ein Raum ist, wo man über | |
| Erfahrungen mit Rassismus oder so sprechen kann.“ Noch öfter allerdings | |
| seien bei den ausländischen Studis bürokratische Hürden Thema oder die | |
| Ausbeutung, der sie in ihren Nebenjobs begegneten. | |
| Segen: Und manche haben auch spirituelle Sorgen. „Letzte Woche kam eine | |
| katholische Studierende aus Indien zu mir“, sagt Lukas Pellio. Die habe vom | |
| Heimatbesuch ein Jesusbild mitgebracht und ihn darum gebeten, es zu segnen. | |
| „Als Evangele kriege ich es nicht so gut übers Herz, Dinge zu segnen. Also | |
| habe ich die beiden zusammen gesegnet.“ In Pellios Rücken steht ein | |
| Flipchart, darauf die Namen Sara und Hagar und die Verbindungen der beiden | |
| biblischen Frauen. Alle zwei Wochen wird hier beim „Feminist Bible Brunch“ | |
| über Texte aus dem Alten und dem Neuen Testament in fortschrittlicher | |
| Perspektive gesprochen. | |
| Regenbogen: Die evangelischen Studierendengemeinden verteilen Kondome und | |
| Lecktücher mit Regenbogenfahnen-Verpackung und Aufschriften wie „Gott liebt | |
| auch die kleinen Dinge“ und „Deine Frucht ist meinem Gaumen süß“. Und a… | |
| im Fenster des Gemeindehauses hängt eine Regenbogenfahne. Das gefällt nicht | |
| allen. „Manchmal werfen mir Leute irgendwelche Bibelverse, die mich zum | |
| Nachdenken anregen sollen, in den Briefkasten“, erzählt Pellio, und: Wo in | |
| Cottbus eine Regenbogenfahne heruntergerissen werde, da hänge der | |
| CSD-Verein Cottbus zwei neue auf. Auch der Brandanschlag, den Pellio im | |
| vergangenen Jahr erlebte, hatte mit einer Regenbogenfahne zu tun. | |
| Wessi: Aufgewachsen ist Lukas Pellio in einem rheinland-pfälzischen Dorf. | |
| Ist das ein Problem hier im Osten? „Auch Linken, die von hier kommen und | |
| nie weggegangen sind, wird empfohlen, sich nach Berlin zu verpissen“, sagt | |
| Pellio. Manchmal verhalte er sich als Wessi vielleicht auch falsch, „dann | |
| ist es gut, wenn mir Leute das sagen“. Für die meisten sei entscheidend, ob | |
| man sich vor Ort mit Herzblut einsetze. Und: Klasse steche Herkunft. „Mein | |
| Vater war der Hausmeister in einer Kirchengemeinde und meine Mutter | |
| zeitweise Sekretärin dort, wir wohnten in der Hausmeisterwohnung im | |
| Gemeindehaus.“ Stühle aufstellen für die Frauenhilfe, danach die übrig | |
| gebliebenen Kekse knabbern: „So bin ich kirchlich aufgewachsen.“ | |
| Knast: In Marburg, Groningen und Berlin studiert Pellio schließlich | |
| Theologie und ist nebenbei politisch aktiv. Pfarrer will er da noch nicht | |
| werden. „2009 war ich auf einer Demo, kurz vor Weihnachten, und bin in | |
| einen Polizeikessel geraten. Dann habe ich die Nacht auf der Wache | |
| verbracht.“ Das Eingesperrtsein beschäftigt ihn, er macht ein Praktikum in | |
| der Gefängnisseelsorge, hat das Gefühl, etwas sehr Sinnvolles zu tun. Ein | |
| Hafterlebnis wie beim heiligen Petrus? „Im Knast haben sich die Leute immer | |
| über Bushido lustig gemacht, dass der einen Tag im Knast war und sein | |
| ganzes Leben darüber rappt. So ist es auch ein bisschen bei mir.“ Früher | |
| hat Pellio viel deutschen HipHop gehört, dann Punk. Heute gönnt er sich | |
| Mainstreamigeres, auch „Popgören“ wie Nina Chuba. | |
| Molotowcocktail: Schließlich zieht es Pellio doch in die Gemeindearbeit, | |
| nach Spremberg an der Grenze von Brandenburg und Sachsen, zusammen mit zwei | |
| jungen Pfarrerinnen. Im Juni 2023 zeigen die drei in ihrer Kirche die Doku | |
| „Nelly & Nadine“ über die Liebe von zwei Frauen im KZ Ravensbrück. Zum | |
| Christopher Street Day 2023 hängen sie eine Regenbogenfahne an ihre Kirche. | |
| [4][Nachts dann fliegt ein Molotowcocktail] gegen den Glockenstuhl von | |
| Sankt Michael. Niemand wird verletzt, doch das Signal sitzt. Wie stark? „Es | |
| wollten mehrere Zeitungen unbedingt diese Story bringen: Pfarrer wird | |
| vertrieben“, sagt Pellio. „Tatsächlich hatte ich schon im März Kontakt | |
| aufgenommen mit Cottbus, weil ich wusste, dass die Stelle hier frei wird.“ | |
| Belastend war der Angriff trotzdem. | |
| Für alle: Ein Pfarrer ist nicht nur für die Linken da. Wie geht Lukas | |
| Pellio mit rechten Gläubigen um? „Also, ich kann durchaus ein | |
| seelsorgerliches Gespräch mit einem führen, der falsche Überzeugungen hat. | |
| Ich kann klar benennen, was uns trennt und trotzdem die Beziehung | |
| aufrechterhalten.“ Das habe er im Knast gelernt, im Umgang mit | |
| Schwerverbrechern. | |
| Plattform: „Der Cottbuser Bürgermeister macht irgendwie einen Superjob“, | |
| sagt Pellio über Tobias Schick (SPD). „Gleichzeitig ist der zur | |
| Diskussionsrunde eines extrem rechten YouTubers gegangen und ich denke, das | |
| ist der falsche Weg.“ Weil „diese Typen“ dadurch aufgewertet werden, find… | |
| Pellio. Er selbst würde nicht teilnehmen. „Vielleicht ist es aber auch | |
| richtig in seiner Rolle. Vielleicht ist die Lage so beschissen, dass man zu | |
| einem gewalttätigen rechtsextremen YouTuber gehen muss, um überhaupt noch | |
| Gehör zu finden.“ | |
| Das C: Lukas Pellio hat CDU-Mitglieder erlebt, die gegen Nazis auf die | |
| Straße gehen. Was die CDU-Positionen in der Asylpolitik angeht, zweifelt er | |
| aber am christlichen Gehalt der Partei. Und der anderen Parteien. „Ich | |
| glaube, Parteien und Kirchen haben nicht nur die Aufgabe, Sprachrohr zu | |
| sein für Einstellungen, die es in der Gesellschaft gibt, sondern diese | |
| Einstellungen auch mitzuformen.“ Er findet es „ein bisschen flach“, aus | |
| rassistischen Einstellungen vor Ort den Schluss zu ziehen, rassistische | |
| Politik machen zu müssen. | |
| Imagepflege: Mit seinen offen linken Einstellungen, seiner Herkunft eckt | |
| Pellio an. Als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet er sich selbst, sagt aber auch: | |
| „Ich verstehe meine Arbeit schon auch als Imagekampagne für die Region. Ich | |
| will, dass die Probleme angegangen werden und sich dadurch das Image | |
| verbessert und nicht, dass alles irgendwie rosa getüncht wird.“ Doch das | |
| Nestbeschmutzen, Organisieren und Seelsorgen zehrt. Nach dem Brandanschlag | |
| auf die Spremberger Kirche kommt die Medienwelle. Danach der Burn-out. | |
| Schönheit: Drei Monate lang ist Pellio krankgeschrieben. Er verbringt viel | |
| Zeit mit seinen Kindern, nimmt Therapie in Anspruch. Die neue Aufgabe als | |
| Studierendenseelsorger tritt er auf einer halben Stelle an. Zum brennenden | |
| Dornbusch auf dem linken Arm kommt das Tattoo einer Mohnblume auf dem | |
| rechten. „Einfach eine Blume. Schönheit. Ich versuche irgendwie, meine | |
| Balance besser zu halten und mehr Pausen zu machen und schöne Dinge zu | |
| machen.“ | |
| Bleiben: In Brandenburg erlebt Lukas Pellio einen Zusammenhalt, den er aus | |
| Berlin nicht kennt. „Das ist ein Grund, warum ich bleiben will. Es klappt | |
| hier oft, Unterschiede besser auszuhalten. Vielleicht, weil der äußere | |
| Druck so hoch ist.“ | |
| 27 Dec 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Hunglinger | |
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