# taz.de -- Widerstand gegen rechts: Die Kirche im Dorf | |
> Die Kirchenmitglieder werden weniger, die aber sind gut vernetzt. | |
> Widerstand gegen Rechtsextreme wird in Brandenburg oft von den Kirchen | |
> mitgetragen. | |
Bild: Die Klosterkirche in Neuruppin | |
Im Juni hatten Unbekannte einen Brandsatz gegen den Glockenturm der | |
evangelischen Kirche in Spremberg geworfen: dorthin, wo eine große | |
Regenbogenflagge hing. Die evangelische Kirchengemeinde der 22.000 | |
Einwohner zählenden Stadt in Südbrandenburg hatte am Vorabend einen Film | |
über eine lesbische Liebe im KZ Ravensbrück gezeigt. Nur durch Glück kamen | |
bei dem Anschlag keine Menschen zu Schaden. Direkt daneben hatten zum | |
Tatzeitpunkt Menschen übernachtet. | |
Nach dem Brandanschlag hatte das örtliche Bündnis Unteilbar ein buntes | |
Stadtfest organisiert. Pfarrer Lukas Pellio hatte für dieses Bündnis einst | |
Geburtshilfe geleistet. Dort treffen sich auch Menschen außerhalb des | |
kirchlichen Spektrums, die nicht zur rechten Szene gehören. Wichtig in | |
einer Stadt, in der die rechte Szene dominiert. | |
Noch auf dem Fest bedrohten ortsbekannte Rechte den Pfarrer mit den Worten: | |
„Wenn du so weitermachst, wirst du hier nicht mehr froh.“ Das hatte Pellio | |
im Sommer kirchlichen Zeitungen gesagt. Gegenwärtig stehe er für | |
Pressestatements nicht zur Verfügung, sagt er der taz. | |
Aber Strafanzeige hat Pellio gestellt und der polizeiliche Staatsschutz | |
ermittelt. Während im Fall der Bedrohung ein Tatverdächtiger ermittelt | |
wurde und die Sache bei der Staatsanwaltschaft Cottbus liegt, konnte der | |
Brandanschlag auf die Kirche noch niemanden zugeordnet werden, sagt | |
Polizeisprecherin Ines Filohn. Ob es sich um Homofeindlichkeit handelt oder | |
aber um eine gezielte Attacke gegen den gegen Rechtsextremismus engagierten | |
Pfarrer, ist nach ihrer Sicht offen. | |
Spremberg ist bei weitem nicht der einzige Ort in Brandenburg, wo sich | |
evangelische Kirchengemeinden lautstark gegen Rechtsextremismus engagieren, | |
obwohl ihre eigene Größe überschaubar ist: Gerade mal 335.000 der 2,5 | |
Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger gehören der evangelischen | |
Kirche an. Und die Zahl ist rückläufig: Pro Jahr verliert die Kirche rund | |
zweieinhalb Prozent ihrer Mitglieder. Noch schwächer ist in Brandenburg die | |
katholische Kirche vertreten, die nur 3,6 Prozent der Bevölkerung stellt. | |
Nicht alle Anti-rechts-Bündnisse mit evangelischer Beteiligung wurden von | |
der Kirche gestiftet. Oft sind diese Bündnisse schon da und die | |
Kirchengemeinden bringen sich als gleichberechtigtes Mitglied neben anderen | |
ein. Aber sie können im ländlichen Raum etwas sehr Wichtiges beisteuern: | |
repräsentative Räume, wenn beispielsweise in Neuruppin im Nordwesten | |
Brandenburgs die Kirche für eine Gedenkveranstaltung zur | |
„Reichspogromnacht“ am 9. November ihre Klosterkirche zur Verfügung stellt. | |
Das weithin sichtbare rote Backsteingebäude aus dem 13. Jahrhundert mit | |
zwei hohen Türmen hat eine andere Symbolik, als würde die Veranstaltung in | |
Parteiräumen oder in einem Büro der AWO stattfinden. | |
Die Klosterkirche ist das Wahrzeichen der Stadt und liegt im Zentrum direkt | |
am Ufer des großen Sees. „Als Kirchgemeinde stellen wir aber auch andere | |
Infrastruktur zur Verfügung“, sagt Pfarrerin Christiane Schulz. Zudem sei | |
die Gemeinde gut in der Kommune vernetzt, so dass viele Menschen erreicht | |
werden. | |
Schulz kann man als „Vernetzungspfarrerin“ bezeichnen. Sie koordiniert die | |
Migrations- und Integrationsarbeit der Evangelischen Kirche | |
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) für den Westen | |
Brandenburgs. Sie steht Kirchengemeinden mit Fachwissen zur Seite, die sich | |
für Flüchtlinge engagieren und etwa Kirchenasyl gewähren. Trotz | |
Mitgliederschwunds, der auch mit sinkenden Einnahmen für die Kirchen | |
verbunden ist, leistet sich die evangelische Kirche solche Stellen. | |
Zwischen 2015 und 2018 hatte die rechte Szene eine andere Kirchengemeinde | |
im Visier. Auch überregionales Interesse erregten damals rechte Übergriffe | |
in Jüterbog, einer mittelalterlichen Kleinstadt im Südwesten Brandenburgs. | |
Die Gemeinde hatte ein Begegnungszentrum für Flüchtlinge eingerichtet. Das | |
reichte schon, um zum Feindbild der Rechten zu werden. 2015, in der Nacht | |
nach einer NPD-Demo vor Ort, wurden die Begegnungsstätte zerstört und | |
Gegenstände angezündet. 2017 hatten dann AfDler unter Missachtung des | |
Hausrechts der Kirche beide Kirchtürme besetzt und dort ein Banner | |
entrollt. | |
Die Gemeinde bekam eine Flut von Hassmails, ihre damalige und inzwischen | |
pensionierte Pfarrerin Mechthild Falk wurde in einem Brief eine | |
Vergewaltigung gewünscht. Ihr und anderen aus der Flüchtlingsgruppe wurde | |
wahrheitswidrig unterstellt, sie würden Straftaten von Flüchtlingen | |
ermöglichen, unterstützen oder gar selbst begehen. Der Kirchengemeinde | |
zufolge war der rechtslastige Bürgermeister der Stadt an der Kampagne | |
beteiligt. | |
Der Gemeindekirchenrat reagierte und sperrte für mehrere Monate die Türme | |
der Nikolaikirche. Auch sie ist Wahrzeichen der Stadt. Mit den Türmen und | |
der dortigen Aussichtsplattform hatte die Stadt für den Fremdenverkehr | |
geworben. „Wir akzeptieren es nicht, wenn Würdenträger der Stadt privat | |
oder öffentlich falsche Behauptungen aufstellen, um das für ihre | |
politischen Ziele zu nutzen“, erklärte damals der Gemeindekirchenrat. | |
Inzwischen hat sich die Lage in Jüterbog nach Gemeindeangaben beruhigt. Die | |
Flüchtlingsberatung laufe ohne Störungen. | |
Ganz in der Nähe, in der 6.000 Einwohner zählenden Gemeinde Niedergörsdorf, | |
gab es in diesem Jahr Probleme mit Rechten. Als der Ukrainekrieg begann, | |
brachte die dortige Pfarrerin Ines Fürstenau-Ellerbrock an ihrem Pfarrhaus | |
eine Regenbogenfahne an. Die Fahne mit den bunten Streifen und dem Wort | |
„Peace“ ist zum Symbol der LGBTQ-Bewegung geworden. In der kirchlichen | |
Geschichte gilt sie aber ebenso als Friedensfahne. Fürstenau-Ellerbrock | |
sagt der taz, sie kenne beide Bedeutungen der Fahne, „und für mich ist | |
beides okay“. | |
Mehrfach hätten Unbekannte die Fahne an ihrem Haus abgerissen. „Ich hatte | |
an einen Dummejungenstreich gedacht und einfach eine neue gekauft.“ Doch am | |
Himmelfahrtstag hatte sie eine kleine Gruppe junger Männer erwischt, die in | |
ihren Vorgarten eingedrungen waren und die Fahne abreißen wollten. Es | |
entwickelte sich ein Wortgefecht, in dem die Pfarrerin die Eindringlinge | |
laut aufforderte, aus ihrem Vorgarten zu verschwinden. Daraufhin hätten die | |
Männer ihre restliche Gruppe, die im Dorf unterwegs war, herangerufen. | |
Diese kamen der Pfarrerin zufolge „Sieg Heil!“ rufend herangeradelt, so | |
dass sich plötzlich 20 bis 30 stramm rechte Männer vor dem Pfarrhaus | |
versammelten, die mit Worten wie „Homosau“ und „Scheißfahne“ um sich | |
geworfen hätten. „Als ich begonnen hatte, die Leute zu filmen, haben sie | |
Fersengeld gegeben. Es war ihnen nicht gelungen, die Fahne abzureißen.“ | |
Auch hier ermittelt die Polizei. | |
Auf die Frage, warum in Brandenburg immer öfter PfarrerInnen und | |
Kirchengemeinden ins Visier der rechten Szene geraten, hat Ines | |
Fürstenau-Ellerbrock eine klare Antwort: „Wenn ich das Evangelium ernst | |
nehme, kann ich gar nicht anders, als gegen rechts zu sein.“ Dafür gäbe es, | |
so die Frau, eine theologische Erklärung: „Wer das Evangelium vertritt und | |
für Schwache einsteht, Fremdlinge aufnimmt, Werte wie Nächstenliebe, | |
Respekt, Toleranz und ein gutes Miteinander lebt, kommt doch gar nicht aus | |
der Nummer raus, gegen rechts zu sein.“ Und dadurch werde man quasi | |
automatisch auch zum Feindbild der Rechten, sagt die Pfarrerin. „Deren | |
Menschenverachtung sehe ich als absolut unchristlich an.“ | |
Ähnlich formuliert es ihre Kollegin Christiane Schulz aus Neuruppin: „Mein | |
Glaube motiviert mich, mich gegen rechts zu engagieren. Denn | |
Rechtsextremismus ist menschenverachtend, autoritär und er entspricht damit | |
nicht dem christlichen Menschenbild.“ Schulz sagt aber auch: „Ich gebe mich | |
da keinen Illusionen hin. Auch in Kirchgemeinden gibt es Menschen, die die | |
AfD wählen.“ Doch das seien eher leise Stimmen. „Jeden Sonntag mahnen wir | |
schließlich im Gottesdienst unsere Werte an.“ | |
Aber gibt es da nicht vielleicht noch etwas anderes als Theologie und | |
christliches Menschenbild, was gerade Pfarrerinnen und Pfarrer | |
qualifiziert, rechte Strukturen zu erkennen und sich ihnen | |
entgegenzustellen? Bringen sie vielleicht einen frischen Blick von außen | |
mit? | |
Lange schon sind die Zeiten vorbei, in denen der Vater dem Sohn die | |
Pfarrstelle vererbt hat. Meist kommen Pfarrerinnen und Pfarrer in ländlich | |
geprägte Regionen mit stark rechtsextremen Strukturen, die in anderen | |
Regionen aufgewachsen sind. Sie gehören zu den wenigen Zugezogenen in von | |
Abwanderung geprägte Regionen, die nicht nur eine akademische | |
Qualifikation, sondern auch den frischen Blick von außen mitbringen. Der | |
kann wichtig sein, um Rechtsextremismus überhaupt erst zu erkennen. | |
Menschen, die im Ort verwurzelt sind, kann das schwerer fallen. | |
„Das kann für die Wahrnehmung von Rechtsextremismus im Alltag ein Vorteil | |
sein“, räumt Thomas Wisch ein. Er ist Superintendent eines Brandenburger | |
Kirchenkreises und zugleich Vorstandsvorsitzender des Aktionsbündnisses | |
gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus des Landes. Wie Christiane | |
Schulz sieht Wisch Kirchgemeinden eher als Querschnitt der Gesellschaft an. | |
„Es bewirkt aber etwas, dass sich unser Bischof klar gegen | |
Rechtsextremismus positioniert. Dafür bin ich dankbar.“ | |
Im äußersten Norden von Brandenburg, in Rutenberg, einem Vorort von Lychen, | |
zählt mit Christiane Richter ebenfalls eine evangelische Pfarrerin zu den | |
zentralen Personen im Kampf gegen rechts. Im Ort gibt es ein | |
genossenschaftliches Wohnprojekt, bei dem nach Recherchen des ARD-Magazins | |
„Kontraste“ die Reichsbürgerorganisation „Königreich Deutschland“ ver… | |
Einfluss zu gewinnen sowie weitere Grundstücke im Ort aufzukaufen. Der | |
Brandenburger Verfassungsschutz warnt: Er schätzt es als möglich ein, „dass | |
sich Strukturen der rechtsextremen Bestrebung ‚Königreich Deutschland‘ im | |
Ort vorübergehend festsetzen könnten“, so eine Sprecherin gegenüber der | |
dpa. Es gebe auch Verbindungen zur Anastasia-Bewegung. | |
Ein örtliches Demokratiebündnis, dem sich die Kirchengemeinde angeschlossen | |
hat, will das verhindern. „Letzten Dezember fand die Auftaktveranstaltung | |
des Bündnisses in der großen Kirche in Lychen statt“, sagt die Pfarrerin. | |
Sie war weit und breit das größte Gebäude. Am Kirchgebäude in Rutenberg | |
selbst, das sich wegen der fehlenden Heizung nicht für Zusammenkünfte im | |
Winter eignet, prangt ein Transparent „Demokratie für Rutenberg“. Das ist | |
zwar das an prominentester Stelle im Ort angebrachte Transparent gegen die | |
mutmaßlichen Reichsbürger, aber nicht das einzige. Die Dorfstraße ist von | |
Plakaten nur so gesäumt. „Kein Ort für völkische Siedler“, steht | |
beispielsweise am Zaun eines Hofes, „Gegen Nazis“ auf einem anderen. „Keh… | |
um! Reichsbürger, euer ‚Königsweg‘ ist eine Sackgasse“, steht direkt vor | |
der Kirche. | |
Pfarrerin Christiane Richter sagt der taz: „Der Protest gegen die | |
mutmaßlichen Reichsbürger ging zwar nicht von der Kirchengemeinde aus. Aber | |
wir haben uns dem gern angeschlossen. Der Beschluss im Gemeindekirchenrat | |
fiel einstimmig.“ Völkische Siedler würden sich von Demokratie und Staat | |
abwenden, „uns ist als Kirche Demokratie hingegen wichtig.“ In einem Video | |
der Reichsbürgerbewegung sei von einem geplanten Schulungszentrum in | |
Rutenberg die Rede, sagt Richter der taz. „Das wollen wir in jedem Fall | |
verhindern.“ | |
10 Sep 2023 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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