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# taz.de -- Rechtsextremismus in Brandenburg: Gewalt mit Tradition
> Hitlergruß und Totschlag: Rechtsextreme Gewalt hat in Brandenburg eine
> lange Geschichte, die von militanten Neonazis bis in heutige AfD-Kreise
> führt.
Bild: Nicht nur modisch in den 90ern hängengeblieben: Rechte in Brandenburg
Seit den 1990er Jahren ist Brandenburg als ein Hotspot rechter Gewalt
bekannt, auch wenn es schon zu DDR-Zeiten eine stark ausgeprägte
rechtsextreme Szene gab. Besonders bekannt wurde ein exemplarischer Fall
gut einen Monat nach der Wiedervereinigung, als in Eberswalde am 25.
November 1990 ein Mob von 50 Neonazis Jagd auf Ausländer machte.
10 Neonazi-Skinheads schlugen und traten den ehemaligen angolanischen
DDR-Vertragsarbeiter [1][Antonio Amadeu] auf dem Bürgersteig mit einem
Baseballschläger und Sprüngen auf den Kopf zusammen. Zivilpolizisten
beobachteten den Angriff, griffen aber nicht ein. Amadeu wachte nicht
wieder auf und starb wenig später im Krankenhaus, er hinterließ eine
schwangere Freundin.
Der Verein Opferperspektive zählt mit Amadeu 23 Todesopfer rechter Gewalt
zwischen 1990 und 2008, ebenso sieht der Verein Anhaltspunkte dafür, den
Mord eines „Querdenkers“ an seiner Frau, seinen drei Töchtern und sich
selbst als rechte Tat einzuordnen. Vor allem die Taten bis 2008 sind nur
die Spitze der Eisbergs alltäglicher rechtsextremer Gewalt in Regionen, die
von organisierten Neonazis oder auch rechten Jugendcliquen dominiert werden
und in denen heute meist die AfD stark ist.
## Nach unten treten
Die Gewalt richtet sich meist gegen als „ausländisch“, links, arm,
wohnungslos oder sonst wie „minderwertig“ wahrgenommene Personen. Der
implodierte DDR-Staat hinterließ ein Machtvakuum, das eine rechte
Jugendbewegung mit Baseballschlägern, Stahlkappenschuhen, Messern und
Gaspistolen ausfüllte. Die Gewalt entlud sich häufig äußerst brutal und an
alltäglichen Orten, wie Bahnhöfen, Bushaltestellen und Kneipen.
Nachdem die Polizei ab den 2000er Jahren repressivere Ansätze der Gegenwehr
fuhr, ebbten die Gewaltexzesse in Anzahl und Qualität ab. Nachdem es im
Zuge der Fußball-Heim-WM 2006 eine Diskussion über No-go-Areas für
Nichtdeutsche gab, bekam diese später als [2][Baseballschlägerjahre]
bezeichnete Zeit mehr Aufmerksamkeit. Neonazi-Strukturen erfuhren
Repression, Gewaltexzesse wurden weniger, lokal organisierte sich auch
antifaschistische Gegenwehr sowie Gedenken an Opfer rechter Gewalt.
Gesellschaftlich wirken die Baseballschlägerjahre bis heute nach: Gab es
damals vielerorts in Schulen und Jugendclubs einen rechten Mainstream, sind
es heute teils Kinder der Täter von damals, die auch heute lokal
rechtsextreme Hegemonie schaffen. Rechte Vorfälle gibt es in Brandenburg,
wenn auch die Stärke der Gewalt abgenommen hat, noch immer viele. Zuletzt
machte vor allem [3][eine Schule in Burg] Schlagzeilen, nachdem Lehrer
teils Zustände wie in den neunziger Jahren angeprangert hatten –
Hitlergruß, Hakenkreuze, rechtsextreme Sprüche.
In Südbrandenburg gibt es zudem eine gefährliche Mischung aus Neonazis,
organisierter Kriminalität, rechten Unternehmern mit mittelständischen
Betrieben und wegschauenden Sicherheitsbehörden und Gerichten, die mild
gegen rechte Straftäter urteilen. Rechte sind hier teilweise
unwidersprochen Teil der Mitte des Gesellschaft, wer widerspricht, eckt an.
## Flügelkämpfe in der AfD
All dies ermöglicht der AfD ideale Entfaltungsbedingungen. Viel Hoffnung
setzt die extrem rechte Partei auf anstehende Kommunalwahlen und die
Brandenburger Landtagswahl im September 2024. Die AfD stand in Brandenburg
zunächst unter dem Einfluss von Alexander Gauland, der trotz seiner
langjährigen CDU-Mitgliedschaft die völkisch-nationalistische Strömung der
Partei protegierte.
Der ehemalige Falschirmjäger Andreas Kalbitz mit neonazistischer
Vergangenheit wurde Nachfolger von Gauland als Landesvorsitzender der AfD
Brandenburg – für den völkischen Flügel war er wichtiger Strippenzieher bis
zu seinem Parteiausschluss. In einem Machtkampf ließ der mittlerweile
ausgetretene Parteivorsitzende Jörg Meuthen den Flügel-Strippenzieher wegen
seiner neonazistischen Vergangenheit rauswerfen.
Trotz seines Rausschmisses ist Kalbitz noch immer Teil der AfD-Fraktion im
Potsdamer Landtag. Zudem besucht er gerne AfD-Veranstaltungen, prinzipiell
tut er so, als würde er noch zur Partei gehören, zumal er immer betont hat,
dass er früher oder später in die Partei zurückkehren will. Entsprechend
wird Kalbitz noch immer Einfluss in der AfD Brandenburg nachgesagt – die
derzeitige Landesvorsitzende Birgit Bessin gilt als enge Vertraute.
## Innerrechter Machtkampf
Kalbitz’ Macht ist mittlerweile aber auch brüchig: Für die anstehende
Landtagswahl im Herbst 2024 gibt es eine Kampfkandidatur gegen Kalbitz’
Verbündete Birgit Bessin. Der ebenfalls vom Verfassungsschutz als gesichert
rechtsextrem eingestufte Fraktionsvorsitzende Hans-Christoph Berndt will
ebenfalls als Spitzenkandidat antreten, das brandenburger
Bundesvorstandsmitglied Hohloch unterstützt die Kampfkandidatur.
Inhaltlich sind die Kandidat* innen kaum unterscheidbar: Während Bessin die
Kalbitz-Kandidatin des völkisch-nationalistischen Flügels ist, ist Berndt
nicht weniger extrem: Er gründete den rechtsextremen Verein „Zukunft
Heimat“, der seit 2015 gegen Flüchtlinge mobilisiert und als Musterbeispiel
der Vernetzung zwischen der AfD und rechtsextremen Organisationen gilt.
Nachdem im April in Burg (Spreewald) Lehrer*innen in einem Brandbrief
von der rechtsextremen Hegemonie an ihrer Schule berichteten, griffen auch
alte Mechanismen aus den Baseballschlägerjahren wieder: Diejenigen, die auf
die Probleme aufmerksam machen, gelten vielen als das eigentliche Problem
und als Nestbeschmutzer. Die [4][ehemalige Bürgermeisterin Ira Frackmann]
(CDU) schimpfte etwa auf Facebook, die Lehrer hätten „durch ihre
Verhaltensweise eine Gemeinde und eine Schule, ja sogar eine ganze Region
in Misskredit“ gebracht. So etwas kläre man nicht vor der Presse.
12 Sep 2023
## LINKS
[1] https://todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de/todesopfer/#fh5co-tab-f…
[2] /Baseballschlaegerjahre-in-Wernigerode/!5941578
[3] /Lehrer-Teske-ueber-Rechtsextremismus/!5946267
[4] https://www.rbb24.de/studiocottbus/politik/2023/07/brandenburg-burg-rechtse…
## AUTOREN
Gareth Joswig
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