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# taz.de -- Aus dem Leben eines Landwirts: Gerhard versteht die Welt nicht mehr
> Gerhard, Landwirt aus Brandenburg, fühlt sich im Stich gelassen. Von
> Windrädern hält er nichts, von den Volksparteien noch weniger.
Bild: Verhasst, besonders unter AfD-Wählern, aber auch Umweltschützern: Windr…
Brandenburg taz | Alle kennen sie, die netten Nachbarn, der Onkel oder
dieser eine Sportlehrer. Es gibt immer wieder Leute, die aus dem privaten
Umfeld in [1][Verschwörungstheorien] verfallen. Der Absturz kennt teilweise
keine Grenzen. Vor ein paar Tagen erzählte mir ein Kollege der taz von
einem alten Freund, der ihm am Esstisch unverblümt erklärte, dass es
Echsenmenschen gebe.
Auch ich habe ein paar Problemfälle, etwa den einen Lehrer aus der Schule.
Er hat nicht nur afghanische Terroristen bekämpft, sondern ist auch aus
einem Kanonenrohr gekrochen und hat unter Wasser eine Moräne vermöbelt,
alles klar. Ich weiß nicht, ob meine alte Babysitterin noch darauf wartet,
dass ich „aufwache“. Oder auch mein erster Fußballtrainer, der mich fragte,
„glaubst du das mit den Juden …“.
Der Umgang damit ist schwer. Wo ist die Grenze? Ab welchem Punkt ist eine
Diskussion unnötig und wo muss man sich selbst schützen?
Um Leute [2][von der AfD] zurückzugewinnen und von der demokratischen Sache
zu überzeugen, ist es auch wichtig, dass der eigene Schutzmechanismus nicht
zu früh greift.
So wie beim Gespräch mit meinem Bekannten Gerhard anlässlich dieser
Reportage. Das ursprüngliche Thema sollte der Ausbau von [3][Windrädern] in
Brandenburg sein. Die Argumente für Ausbau von Windenergie liegen auf der
Hand. In der Region gibt es neben notorischem Nörgel auch konstruktive
Gegenstimmen und Verbesserungsvorschläge. Gerhard hat zu dem Thema viel zu
sagen, dann plötzlich erklärte er mir ganz offen, dass er für die AfD in
der Regierung wäre.
Es kam zu einer Diskussion, die ich normalerweise nie zugelassen hätte.
Welchen Konsens soll ich bitte mit Menschen erzielen, die Rechtsextreme im
Parlament unterstützen? Wenn die Tatsache, dass ein Faschist eine der
zentralsten Figuren der Partei ist, nicht ausreicht, um sich davon so weit
wie möglich zu distanzieren, was soll ich dann rumquatschen?
## Ein netter Kerl
Gerhard ist Landwirt in Brandenburg, das ist nicht sein richtiger Name, ihm
ist es lieber so. Er steht um fünf Uhr morgens auf und arbeitet eigentlich
den ganzen Tag. Er hat raue Arbeiterhände und es ist ihm anzusehen, dass er
oft auch in der prallen Sonne arbeitet. Ich kenne ihn durch meinen Vater
und hab ihn seit meiner Kindheit hin und wieder gesehen. Gerhard ist ein
netter, hilfsbereiter Kerl.
Windräder findet er im Grunde genommen „okay, aber in begrenztem Maß“. Die
großen Windkraftparks seien nicht so gut. Sie stehen neben seinen Feldern,
er erlebt sie quasi jeden Tag, und er bekommt mit, was die Anderen aus der
Bevölkerung sagen. Brandenburg ist das Bundesland mit der größten
installierten Windkraftleistung in absoluten Zahlen in Deutschland, der
Ausbau der erneuerbaren Energien fällt beim Durchreisen schon auf. Zum
Thema Windräder gibt es zwei entscheidende Daten.
Zum einen, dass 2 Prozent der Landfläche zum Ausbau von Windrädern zur
Verfügung gestellt werden sollen, in Brandenburg ist das Ziel sogar 2,2
Prozent. Zum anderen die erforderliche Distanz zu bewohnten Gebieten,
gesetzlich 1.000 Meter.
Vor allem über Letzteres wird in der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik
heftig diskutiert. Péter Vida ist Vorsitzender der Brandenburger Vereinigte
Bürgerbewegungen/Freie Wähler und setzt sich für eine Verlängerung des
Mindestabstands auf 1.500 Meter ein. Er argumentiert, dass die neue
Generation der Windräder deutlich höher sei und daher auch der Abstand
vergrößert werden müsse.
Die Frage ist letztendlich: Wie hoch ist die Belastung wirklich? Es wird
viel geredet oder geschrieben, dabei geht es um die Geräuschkulisse, eine
Beeinträchtigung der Landwirtschaft und die Auswirkungen auf die Tierwelt.
Laut Gerhard sei in seiner Gegend die Abneigung gegenüber Windrädern bei
der großen Mehrheit nicht so groß. Der entscheidende Punkt ist die Distanz
für die Bevölkerung. Doch es gibt auch Vorschläge, den gesetzlichen
Mindestabstand von einem Kilometer zu verringern.
Die Organisation Nabu ist bekannt für ihren Einsatz für die Umwelt. Der
Vorsitzende ihres Landesverbands Brandenburg, Björn Ellner, sieht die
Folgen durch Windräder für Tier und Mensch so: „Je geringer der Abstand,
desto negativer die Auswirkungen für die Menschen.“
## Windräder im Wald
Dennoch spricht er sich für einen kürzeren Mindestabstand aus. Hintergrund
ist der Bau von Windrädern im Wald. Diese neue Herangehensweise sehen nicht
nur meine drei Gesprächspartner kritisch. Sondern auch Menschen, die ich
auf der Straße darauf angesprochen habe.
Die Argumente liegen auf der Hand: Die riesigen Windräder müssen erst
einmal in den Wald transportiert und dort installiert werden. Dafür müssen
der Standort und der Zufahrtsweg gerodet werden. Durch einen großen
Temperaturunterschied zwischen der betonierten Fläche und dem Waldboden
bröckelt das Ökosystem des Waldes. Für Björn Ellner ganz klar, der Mensch
braucht ja den Strom, also müssen die Nachteile auch in Kauf genommen
werden, damit das 2,2-Prozent-Ziel eingehalten wird, ohne Schutzgebiete zu
missachten.
Ein zusätzliches Problem besteht laut Gerhard darin, dass viele
Windkraftanlagen auf fruchtbarem Boden gebaut werden. Die Resignation ist
ihm deutlich anzumerken. „Alles dreht sich nur ums Geld.“ Viele
klimapolitische Maßnahmen erschließen sich ihm nicht. Windräder werden
hingepflanzt, ohne darauf zu achten, was das mit dem Ort macht, den Tieren,
der Landwirtschaft. Er berichtet, wie schwer es regionale Bauernhöfe und
Landwirte haben, es gebe keine Planungssicherheit.
Großes Unverständnis zeigt er für die Abholzung des Urwaldes, er spricht
davon, dass wir uns in einer Spirale befinden, aber irgendwann gehe es
nicht mehr weiter, irgendwann sei das Maximum erreicht. Das ist linke
Kapitalismuskritik vom Feinsten. Doch als ich ihm das sage und den Punkten
zustimme, weiß er nicht ganz, wie er damit umgehen soll.
Anscheinend wurde ihm das noch nicht so gesagt. Dann kritisiert er die
Grünen heftig, auch SPD und CDU kommen nicht gut weg. Abermals stimme ich
zu, erneut ist er überrascht. Er fühlt sich von den Altparteien nicht
abgeholt, auch das kann ich verstehen, auch ich werde die Grünen nicht
wählen, SPD und CDU schon gar nicht.
Dabei bringt er auch konstruktive Verbesserungsvorschläge. Wir kommen auf
Fotovoltaik zu sprechen, „an sich ’ne super Sache, das stört keinen“.
Er erzählt von einer schwierigen Saison, das Getreide kann nicht verkauft
werden, „es gibt für Landwirte keine Planungssicherheit“. Die Landwirte
haben eine Idee: Es könnten auf den Feldern Beeren angebaut und darüber
eine Fotovoltaikanlage angebracht werden.
## Nur BSW oder AfD
Doch das Vorhaben sei von der zuständigen Behörde nicht genehmigt worden.
Gerhard versteht die Welt nicht mehr. Die Begründung habe sich auf eine
versperrte Sicht der Schutzfelder berufen. Trotz der Empathie und mehrerer
politischer Übereinstimmungen ist spürbar, dass wir nicht auf derselben
Seite stehen.
Auf die Frage, ob sich eine gewisse Politikverdrossenheit bei ihm angestaut
habe, antwortet er recht schnell mit Ja. Also frage ich ganz vorsichtig
nach, welche Parteien bei ihm infrage kommen bei der anstehenden
Bundestagswahl. „Na daraus mache ich keinen Hehl: nur BSW oder AfD.“
Obwohl es ein Stück weit offensichtlich war, zieht sich mein Herz zusammen,
im ersten Moment verspüre ich Hilflosigkeit. Denn ganz gleich, ob ich ihn
jetzt nun kenne oder nicht, vor Menschen wie ihm habe ich riesigen Respekt.
Die arbeitende Klasse, die die Welt aufgebaut hat, die Straßen geteert, die
Ziegelsteine aufeinander gesetzt, das Obst geerntet.
Weil diese essenzielle Arbeit zu wenig gewürdigt und entlohnt wird und weil
ich das Gefühl habe, dass ich diese Arbeit nicht machen könnte. Deswegen
habe ich Respekt vor diesen Menschen. Sie hatten über eine lange Zeit ihre
politische Heimat bei einer linken Partei. Also frage ich nach, warum die
Linke bei ihm nicht infrage kommt. Dabei bin ich jedoch ganz vorsichtig,
denn immerhin frage ich jemanden, der in der DDR aufgewachsen ist.
Doch die Vorsicht war bei Gerhard nicht notwendig. Er zählt die Vor- und
Nachteile im Gegensatz zu der BRD auf. „Du hast 10 Jahre auf ein Auto
gewartet, aber du hast ein Auto gekriegt.“ Auch beim Thema Enteignung sieht
er keine Verbesserung, damals habe es eine Entschädigung gegeben, heute
eine Verweisung auf Schutzgebiete. „Man hat für die Wende gekämpft und dann
bemerkt, ist ja ’ne noch größere Scheiße als es vorher war!“
Doch den Grund für das Einsetzen der Wende 1989, die politische Freiheit,
sieht er bei einer AfD-Regierung nicht gefährdet.
„In unserer Welt muss sich grundlegend was ändern, wer das dann ändert,
weiß ich nicht.“ Nachdem wir zum Ukrainekrieg kommen und Gerhard eine neue
Russland-Politik fordert, lenke ich ein. Wie er das Kriechen der AfD vor
Trump und Musk beurteilt? An der Tonlage merke ich, dass ich da einen
wunden Punkt erwischt habe. Deswegen frage ich, ob er die ehemalige
Bundestagsabgeordnete der AfD, Birgit Malsack-Winkemann, kennen würde. Die
mutmaßliche rechtsextreme Terroristin, die in der Reichsbürgerszene aktiv
gewesen ist. Das wäre dann natürlich ein „Unsicherheitsfaktor, den ich
nicht will“.
Das ist immerhin etwas, es ist ein langer Prozess, Menschen wie Gerhard zu
überzeugen. Ich habe gelernt, dass es kein Allheilmittel gibt, die Leute
abzuholen. Es hilft nicht, die Positionen nachzuplappern, es hilft nicht,
alle vorzuverurteilen. Für jeden einzelnen Menschen braucht es einen
individuellen Ansatz.
21 Jan 2025
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## AUTOREN
Fridolin Haagen
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