# taz.de -- Pädagoge über Verschwörungstheoretiker: „Argumente-Pingpong br… | |
> Die Beratungsstelle „ent-täuscht“ will Menschen helfen, die an | |
> Verschwörungstheorien glauben. Koordinator Christian Pfeil über | |
> Strategien zum Ausstieg. | |
Bild: Sieht nach einem Fall für die Beratungstelle aus: Demonstrant gegen die … | |
taz: Glauben immer mehr Menschen an Verschwörungstheorien, Herr Pfeil? | |
Christian Pfeil: Da streiten sich die Experten. Fest steht: | |
Verschwörungstheorien gab es schon immer. Das Internet befeuert sie aber. | |
Soziale Netzwerke wie Telegram sind ideal, um die Theorien zu verbreiten. | |
Früher gab es die Möglichkeit nicht, sich so schnell zu vernetzen und zu | |
radikalisieren. Und: Es entstehen viel schneller neue Theorien, die | |
Anhänger finden. | |
An die wenden Sie sich mit Ihrem Aussteiger-Programm. Wie erreichen Sie | |
die? | |
Wir versuchen, Menschen mit Zweifeln und deren Angehörige anzusprechen. Die | |
können sich dann über unsere [1][Website] bei uns melden, auch anonym. | |
Wann nehmen Menschen solche Angebote an? | |
Ohne die Zweifel funktioniert es nicht. Wenn jemand zu 100 Prozent von | |
einer Theorie überzeugt ist, können wir auch nichts anbieten, das besser | |
ist. Wir glauben aber: Anhänger von Verschwörungstheorien erleben in ihrem | |
Umfeld oft [2][Ablehnung], sie werden belächelt und es kommt zu Konflikten. | |
Da können wir ansetzen. | |
Wie können Sie Menschen denn überzeugen, auszusteigen? | |
Das wichtigste ist für uns, dass wir den Menschen auf Augenhöhe begegnen. | |
Mit Anhängern von Verschwörungstheorien wird oft von oben herab umgegangen. | |
Das führt aber in der Regel nicht dazu, dass sie sich tatsächlich von ihrem | |
Glauben abwenden. Wir setzen deshalb auf Beziehungsarbeit und bieten uns | |
erst mal als Gesprächspartner an. | |
Das heißt, Sie versuchen nicht, die Menschen mit Fakten zu überzeugen? | |
Nein, diesen Ansatz beobachten wir oft bei Angehörigen. Wir nennen das | |
Argumente-Pingpong, das [3][in der Regel zu nichts führt.] Als gläubiger | |
Mensch gehe ich ja davon aus, dass meine Fakten wahr sind und alles andere | |
eben Teil der Verschwörung. Aber wir versuchen in der Beratung Angstgefühle | |
abzubauen und fragen vielleicht auch: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass | |
tatsächlich eine mächtige Gruppe [4][die Weltmacht übernehmen will?] | |
Warum glauben die Menschen, die zu Ihnen kommen, überhaupt daran? | |
Das hat viel mit Ängsten und Kontrollverlust zu tun. Während der | |
[5][Corona-Pandemie] zum Beispiel wussten viele Leute nicht, wie sie damit | |
umgehen sollen. Das hat dann ein Misstrauen in Machtstrukturen ausgelöst. | |
Wie kann so ein Beratungstreffen ablaufen? | |
Wir arbeiten mobil und treffen uns für die Beratung an öffentlichen Orten, | |
an denen sich die Klienten wohl fühlen. Das kann ein Park, eine Bibliothek | |
oder ein Café sein. Dann geht es erstmals darum, sich kennenzulernen und zu | |
schauen, ob die Person sich überhaupt drauf einlassen will. Nur wer sich | |
freiwillig beraten lässt, ist dafür auch empfänglich. Dann müssen wir | |
schauen, warum die Personen einem überhaupt gegenüber sitzen. Es kann sein, | |
dass es Konflikte mit dem Umfeld sind oder dass die Person merkt, die | |
Theorien machen nicht so richtig Sinn. | |
Es gibt kein festes Programm? | |
Nein, die Unterstützung wird dann individuell angepasst. Wir arbeiten | |
prinzipiell an solchen Dingen wie [6][Medienkompetenz] und sprechen | |
darüber, wie man Widersprüche besser aushalten kann. Aber das kann bei | |
jeder Person unterschiedlich aussehen und unterschiedlich lange dauern. | |
Wenn ein Klient das braucht, treffen wir uns auch zwanzig Mal mit ihm. | |
Kann es nach einer Beratung auch Rückfälle geben? | |
Das will ich nicht verneinen, auch nach einem Ausstieg können Menschen | |
wieder Kontrollverluste erleben und für Verschwörungstheorien | |
anschlussfähig werden. Aber unser Ziel ist es, Klienten und Klientinnen | |
resilienter zu machen. | |
Wie kann man Verschwörungstheoretiker:innen in seinem Umfeld | |
unterstützen? | |
Soweit es möglich ist, hilft es, mit den Menschen im Kontakt zu bleiben. | |
Dabei sollten Angehörige aber immer auf ihre eigenen Grenzen achten. Und | |
ganz wichtig: Nicht auf das Argumente-Pingpong einlassen. Das bringt | |
nichts. | |
Was ist denn zur Zeit die beliebteste Theorie? | |
Das wechselt immer wieder. Während Corona war es der Impfstoff, der uns | |
töten sollte. Jetzt drehen sich viele Theorien um den russischen | |
Angriffskrieg auf die Ukraine. Die meisten Theorien verbindet, dass sie | |
einen antisemitischen, rassistischen Kern haben. | |
Liegt da die große Gefahr von Verschwörungstheorien? | |
Auf jeden Fall. Anhänger von Verschwörungstheorien verlieren oft den | |
Glauben an den Verfassungsstaat und haben ein hohes Risiko, sich zu | |
radikalisieren. Wir haben bereits erlebt, dass Menschen, die sich | |
radikalisiert haben, auch Gewalttaten begehen: 2021 hat ein Mann den | |
[7][Verkäufer einer Tankstelle erschossen], nachdem dieser ihn auf die | |
Maskenpflicht hingewiesen hatte. Wenn wir das belächeln, hat auch die | |
Demokratie ein Problem. | |
Was für Maßnahmen braucht es noch, um Verschwörungstheorien in der | |
Gesellschaft abzubauen? | |
Das wichtigste ist Präventionsarbeit. Wir müssen ganz dringend an der | |
Medienkompetenz auch von älteren Menschen arbeiten. Viele wissen gar nicht, | |
wie sich seriöse Quellen ausmachen lassen. Und wir müssen wieder mehr | |
kommunizieren, ohne gleich einen Konflikt loszutreten. | |
5 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lindemann | |
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