# taz.de -- Die Geschichte der Verschwörungstheorien: Mut zum Verstand | |
> Manche Menschen glauben, dass Illuminaten die Welt regieren. Einer der | |
> originalen Illuminaten hieß sogar Coronini. Zufall? | |
Bild: Bloßer Ausdruck von individueller Verrücktheit? | |
Die Erde ist hohl. In Tunnelanlagen werden Kinder festgehalten, um ihr Blut | |
zu gewinnen. Die Eliten extrahieren Adrenochrom daraus, um sich zu | |
verjüngen. Wer die Eliten sind, kann man sich denken. Es sind die | |
Illuminaten, oder die Juden. Vielleicht auch Reptilien. Oder alles | |
zusammen. Ihre Chefin heißt Hillary Clinton. Während Sie diese Zeilen | |
lesen, bemühen sich hunderttausend US-Soldaten unter dem Kommando Trumps | |
darum, die Kinder zu befreien. So ungefähr sehen Anhänger des anonymen „Q“ | |
die Welt. | |
Richard Hofstadter prägte für solche Erzählungen einst den Begriff der | |
„Verschwörungsfantasien“. Sie seien durch einen [1][„paranoiden Stil“ … | |
Welterklärung] gekennzeichnet. Ihre Wahnhaftigkeit besteht oft gerade | |
darin, dass es sich um so wohlausgeklügelte Systeme handelt, dass es in | |
ihnen keine Zufälle, keine Widersprüche, keine Ambivalenzen gibt – aber | |
dafür umso dämonischere Individuen und Gruppen, die uns brave Menschen | |
austricksen. | |
Das widerspricht jeder Erfahrung und erzählt uns mehr über [2][die Anhänger | |
dieser Fantasien] als über die Welt, die diese angeblich beschreiben. Die | |
Bösen sind immer die anderen. Wahnvorstellungen nicht unähnlich sind diese | |
Fantasien, denen andere Forscher den Status einer Theorie zugestehen, weil | |
sie einerseits den Anspruch an Belegen an wissenschaftliche Theorien | |
„übererfüllen“, während sie andererseits unterkomplex sind, also mit sehr | |
wenigen Annahmen sehr viel erklären. „Zu schön, um wahr zu sein“, wie | |
Forscher das Problem zusammengefasst haben. | |
Wer nun meint, Verschwörungstheorien seien bloßer Ausdruck von | |
individueller Verrücktheit oder eines kollektiven Rückfalls in mythisches | |
Denken, verkennt ihre Herkunft als Welterklärungsmodelle in der Tradition | |
aufklärerischen Denkens. Ist es Zufall, dass Verschwörungstheorien in der | |
Zeit der Aufklärung besonders virulent waren? „Sometimes paranoia’s just | |
having all the facts“, meinte William Burroughs. | |
## Der Kant in den Verschwörungstheorien | |
Verschwörungstheorien halfen, die französischen Volksmassen gegen den | |
König, die amerikanischen Kolonisten gegen die Briten aufzubringen. Im | |
vorrevolutionären Frankreich kursierten Berichte über Hungerverschwörungen, | |
die dem König angelastet wurden. In den amerikanischen Kolonien war man | |
sich sicher, dass sich die Briten gegen die Amerikaner verschworen hatten. | |
Der Republikanismus, die Leitidee der Zeit, berief sich auf die Tugend als | |
die wichtigste positive Eigenschaft des Menschen, den man damals mit | |
Rückgriff auf Aristoteles als Zoon politikon, als politisches Wesen zu | |
begreifen begann. Doch die Menschen haben auch eine dunkle Seite, weswegen | |
für die aufgeklärten Menschen des 18. Jahrhunderts die Annahme von | |
Verschwörungen hinter den Kulissen des politischen Theaters eine | |
selbstverständliche Vorstellung war. Einen okkultistischen Dreh bekam sie | |
erst gut hundert Jahre später: Die Welt ist nicht so, wie sie scheint. | |
Erst waren es die Jesuiten, die Elitetruppe der Gegenreformation, denen | |
unterstellt wurde, hinter den Kulissen die Strippen zu ziehen. Dann drehten | |
konservative Autoren die Perspektive um, und behaupteten, die Freimaurer, | |
Illuminaten und Juden hätten es darauf abgesehen, die gottgegebene Ordnung | |
auf den Kopf zu stellen, indem sie überall Revolutionen anzettelten. | |
Textanalysen haben ergeben, dass die antisemitischen „Protokolle der | |
Weisen von Zion“ aus einer antijesuitischen Verschwörungsfantasie | |
abgeschrieben wurden. | |
Wenn Anhänger solcher Theorien Ihnen heute erklären, die Propaganda der | |
Mainstreammedien könnten Sie für sich behalten, denn man ziehe es vor, | |
„selber zu denken“, dann nehmen diese – trotz aller [3][Resistenz gegenü… | |
Auffassungen, die mit wissenschaftlichen Verfahren begründet werden] – | |
letztendlich doch Kant für sich in Anspruch: „Sapere aude! Habe Mut, dich | |
deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der | |
Aufklärung.“ | |
## Blutschande und Kindsmord? | |
Als Kant diese Sätze 1784 veröffentlichte, war die kurpfalzbayerische | |
Regierung gerade dabei, die Illuminaten zu verbieten, die noch heute manche | |
Menschen für die wahren Herren der Welt halten, die hinter allem stecken, | |
was uns die Moderne an Unliebsamem so zu bieten hat. Die Illuminaten seien | |
ein „für die Religion und den Staat höchst gefährliches Complott“, meinte | |
damals Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz und von Bayern. | |
Die Illuminaten waren weit davon entfernt, die Herrschaft in Bayern oder | |
der Welt an sich zu reißen. Richtig ist, dass sie sich gegen den Einfluss | |
der katholischen Kirche auf das Denken der Menschen und die Politik wandten | |
und sich daher nur im Geheimen verständigten, was man ihnen nicht verdenken | |
kann. Es war üble Propaganda, als Karl Theodor über den Chef der | |
Illuminaten, Adam Weishaupt, sagte, dieser sei ein „Bösswicht, | |
Blutschänder, Kindsmörder, Volksverführer“. Weishaupt hatte nach dem Tod | |
seiner Frau seine Schwägerin ehelichen wollen und, als sie schwanger wurde, | |
versucht, das Kind abzutreiben. Das eine galt als Blutschande, das andere | |
als Kindsmord. | |
Ein Revolutionär war Weishaupt nicht, trotz seines Pseudonyms „Spartacus“. | |
Über seine im Jahr 1776 gegründete geheime Gesellschaft schrieb er: „Wenn | |
sie sich von Königsmord, Empöhrungen der Unterthanen enthält, nur dem Laufe | |
der Natur folgt, ihr die Hand biethet, nichts weiter thut, als auf allen | |
Wegen das Licht zu verbreiten, und den Menschen die grosse Kunst lehret, | |
sich selbst regieren zu können, solte dieses wohl unrecht seyn?“ | |
Aufklärerische Gesellschaften waren damals in Mode, Geheimbünde zählten | |
auch dazu. Adam Weishaupt war ein junger Doktor der Philosophie und | |
Professor der Rechte und des Kirchenrechts an der bayerischen | |
Landesuniversität in Ingolstadt, die Illuminaten waren anfangs ein Zirkel | |
von Studenten. Erst als der Neu-Illuminat Adolph Freiherr von Knigge | |
anfing, Mitglieder zu rekrutieren, gewannen die Illuminaten Einfluss in | |
Politik, Wissenschaft und Kultur. Schiller sympathisierte mit ihnen, Goethe | |
wurde angeblich nur Mitglied, um sich über ihre Umtriebe zu informieren. | |
Der spätere Begründer des modernen bayerischen Staatswesens, Maximilian von | |
Montgelas, war als junger Mann Illuminat gewesen. | |
## Merkels Raute als Erkennungszeichen | |
Das individuelle Ziel, das die Adepten erreichen sollten, war „die | |
bestmöglichste Ausbildung ihrer gesammten körperlichen und geistigen | |
Fähigkeiten und Kräfte“. Das politische Ziel der Illuminaten war die | |
aufklärerische Modernisierung des bayerischen Staats, auch wenn Weishaupt | |
darüber spekulierte, ob in einer aufgeklärten Welt der Staat eines Tages | |
vielleicht nicht mehr gebraucht werden würde: „Wie aber, wenn alle Staaten | |
nur Mittel oder Stufen wären, um noch etwas besseres hervorzubringen?“ | |
Seit der Aufdeckung ihres „Complotts“ und ihres Verbots im Jahr 1785 | |
beschäftigen die Illuminaten die Fantasie der Leute. Im Jahr 1798 | |
bezichtigten stramme Puritaner Thomas Jefferson, ein antichristlicher | |
Illuminat zu sein. Heute wird man im Netz darüber aufgeklärt, dass Angela | |
Merkels Raute ein Erkennungszeichen der Illuminaten sei. | |
Auf gewitzte Weise haben sich Robert Shea und Robert Anton Wilson der | |
Illuminaten angenommen. Ihre ab 1975 erscheinende „Illuminatus!“-Trilogie | |
war eine Satire auf den paranoiden Stil der amerikanischen Kultur. Shea und | |
Wilson hatten für das Leserforum des Playboy gearbeitet, das wie ein | |
Vorläufer des Internets erscheint. Viele verschwörungstheoretische Motive | |
ihrer so gelehrten wie lustigen Bücher hatten Shea und Wilson Leserbriefen | |
an die Playboy-Redaktion entnommen. | |
Das bringt uns zurück in die Gegenwart. Manche Anhänger von Q glauben, | |
dieser Prophet, der gern aus der Bibel zitiert, arbeite bei einem der | |
vielen amerikanischen Geheimdienste. Andere sind sich sicher, dass Q kein | |
Geringerer als Donald Trump selbst ist. Es gibt aber auch skeptische | |
Stimmen, die sagen, die frühen Texte von Q seien in Wahrheit Parodien auf | |
das irre Geraune der Trumpisten gewesen. | |
Es gibt viele merkwürdige Dinge in der Welt. Manche fallen | |
merkwürdigerweise nicht einmal Verschwörungstheoretikern auf. Warum hat | |
außer dem Autor dieser Zeilen noch niemand bemerkt, dass sich in der | |
Mitgliederliste des Illuminatenordens der Name eines gewissen „Joh. | |
Coronini“ findet? Zufall? | |
20 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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