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# taz.de -- Psychologin über Verschwörungsglauben: „Gegen Kritik immunisier…
> Bei den „Hygiene-Demos“ treffen unterschiedlichste Menschen aufeinander,
> die den Glauben an eine Verschwörung teilen. Pia Lamberty erklärt, warum.
Bild: Ganz viele Menschen mit Deutschlandfahnen sind zu sehen, dazu der berühm…
taz: Am Samstag gab es bundesweit wieder [1][sogenannte „Hygiene-Demos“].
Da treffen alle möglichen Menschen aufeinander. Wie ansteckend sind
Verschwörungserzählungen?
Pia Lamberty: Es gibt dazu kaum Studien. Aber Laborexperimente haben
gezeigt, dass Menschen, die mit einer Verschwörungserzählung konfrontiert
wurden, hinterher misstrauischer waren, sich mehr von der Gesellschaft
entfernt fühlten, weniger bereit waren, sich für sie zu engagieren. Ich
vermute, dass man bei solchen Demonstrationen auch andere
Verschwörungserzählungen aufnimmt und verinnerlicht.
Welche Menschen sind besonders gefährdet?
Es gibt keinen bestimmten Verschwörungstypus. Es ist auch keine psychische
Krankheit. Der Glaube an Verschwörung ist universell und weit verbreitet.
Fast jeder fünfte Deutsche glaubt an Verschwörungserzählungen zum Thema
Impfung. Ein Drittel meint, dass Politiker nur Marionetten von
dahinterstehenden Mächten sind.
Aber Verschwörungsgläubige ähneln sich doch bestimmt in manchen
Eigenschaften?
Klassische Persönlichkeitsdimensionen in der Psychologie, wie Offenheit
gegenüber neuen Situationen, spielen keine Rolle. Auch
Ost-West-Unterschiede, das Alter oder ein Migrationshintergrund sind
unerheblich. Die [2][Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung] hat
allerdings festgestellt, dass Männer stärker an Verschwörungen glauben als
Frauen.
In der Demokratischen Republik Kongo verbreiteten sich während des
Ebola-Ausbruchs 2014 schnell anti-westliche Verschwörungserzählungen.
Können kollektive Erfahrungen wie das Leid unter Kolonialismus die
Verbreitung bestimmter Verschwörungserzählungen beeinflussen?
Man muss sich immer fragen, woher ein so generalisiertes Misstrauen kommt
und klar, das hat in manchen Fällen auch eine reale Grundlage. In den USA
glauben schwarze US-Amerikaner zum Beispiel stärker an HIV-Verschwörungen
und einen Genozidversuch dahinter. Wenn ein Mensch mit einer Biografie, die
seit seiner Geburt von Unterdrückung durch Weiße geprägt ist, an solch eine
Erzählung glaubt, hat das eine andere Grundlage als bei einem weißen,
heterosexuellen Menschen.
Viele [3][Verschwörungserzählungen sind vor allem aus rechten Kreisen]
bekannt. Sind Rechte besonders anfällig?
Verschwörungsglauben ist unter politisch rechts verorteten Gruppen
tatsächlich besonders verbreitet. Aber auch in linken, antikapitalistischen
Szenen ist er zu finden. Eine der Gefahren von Verschwörungserzählungen
ist, dass sie Menschen aus unterschiedlichen Spektren miteinander
verbinden. Das Impf-Thema zum Beispiel bringt impfkritische,
links-alternative Eltern, Esoteriker und Menschen aus der extremen Rechten
zusammen.
Wie ernst müssen wir die aktuellen Warnungen vor Verschwörungserzählungen
von Sicherheitsbehörden nehmen?
Man weiß, dass der abstrakte Glaube an Verschwörungen mit einer
gesteigerten Affinität zu Gewalt einhergeht. Das sind Menschen, die weniger
Möglichkeiten der politischen Partizipation nutzen und sich stattdessen
eher gewalttätigen Alternativen zuwenden. Im Kontext von Corona merkt man
auch, dass der Glaube an Verschwörungen mit gewissen Verhaltensweisen
zusammenhängt. Wer glaubt, Corona hat sich die Bundesregierung nur
ausgedacht, um das Goldsystem einzuführen und das Bargeld abzuschaffen, der
trägt weniger Schutzmasken, wäscht sich weniger oft die Hände, betreibt
weniger Physical Distancing. Aber wer denkt, Corona ist eine Biowaffe aus
einem Labor, der – diese Daten stammen vor allem aus den USA und
Großbritannien – kauft sich eher Waffen und zeigt Prepper-Verhalten.
Die [4][rechtsextremen Terroranschläge] der letzten zwei Jahre wurden alle
auch durch Verschwörungserzählungen legitimiert. Zum Beispiel die der
„Umvolkung“, der in Deutschland rund 20 Prozent der Bevölkerung zustimmen.
Das ist jeder Fünfte. Das ist beängstigend. Früher hat man über
Verschwörungsgläubige häufig gesagt, sie hätten einfach einen Spleen. Es
gab kein gesellschaftliches Bewusstsein, keine Sensibilität für das Thema.
Die brauchen wir aber. Wir müssen hier extrem vorsichtig sein.
Warum hängen Menschen Verschwörungserzählungen nach?
Es gibt zwei Aspekte, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben.
Der eine ist ein gesteigertes Bedürfnis nach Einzigartigkeit, das man über
Verschwörungserzählungen befriedigen kann. Man glaubt, dass man über eine
Art Geheimwissen verfüge, dass man zur Wahrheit gefunden habe. Wer diese
nicht auch erkenne, sei naiv, blind systemtreu oder sogar der Feind selbst.
Das bietet die Möglichkeit, sich über andere zu erhöhen und so seinen
Selbstwert zu steigern.
Die zweite Begründung liegt im Kontrollverlust. Zum Beispiel durch
einschneidende Lebensereignisse oder auch strukturelle Umstände wie
unsichere Arbeitsverhältnisse. Verschwörungserzählungen geben ein klares
Feindbild vor, ein einfaches Weltbild, das auf Schwarz und Weiß, „wir da
unten“ und „die da oben“ basiert. Das bietet eine einfache Struktur in
unsicheren Zeiten.
Können wir diesen Menschen nicht auf einer anderen, persönlicheren Ebene
Einzigartigkeit vermitteln und sie so gegen Verschwörungsglauben stärken?
Dafür braucht es viel Geduld und die richtigen Umstände. Und es kommt auf
die Motivation der Person an. Bei unserer Recherche zum Buch haben wir oft
solche Geschichten gehört: Jemand wohnt in einer Kleinstadt im Osten, die
Beziehung geht in die Brüche, die Person hat keinen Job und keine
Perspektive und auf einmal braucht sie ein Feindbild. Da eignen sich die
Mächtigen ganz gut, weil weniger Leute hellhörig werden. In linken Kreisen
zum Beispiel sind die Grenzen zwischen Kritik und Verschwörungsglauben oft
fließend. Die Menschen geraten dann immer weiter hinein in ihre
Verschwörungserzählung. Man kann versuchen, dieses Bedürfnis zu verstehen –
doch es wird nicht immer funktionieren.
Und wo liegen die Grenzen zwischen einem kritischen Bewusstsein und einer
Verschwörungserzählung?
Beim kritischen Denken ist man in verschiedene Richtungen kritisch: in
Bezug auf Quellen oder ein System, aber auch sich selbst gegenüber. Beim
Verschwörungsdenken ist der Feind hingegen im Vornherein klar – das sind
„die da oben“ – und das Feindbild ist personalisiert.
Welche Rolle spielen Individualismus und Einsamkeit bei der Verbreitung von
Verschwörungserzählungen?
Auf der einen Seite scheint es plausibel, dass in einer individualistischen
Gesellschaft Menschen verstärkt das Bedürfnis haben, aus der Masse
hervorzustechen. Auf der anderen Seite tritt Verschwörungsglaube auch in
kollektivistischen Gesellschaften auf. Es ist schwierig auseinander zu
dividieren, zu welchen Anteilen historische, kulturelle,
evolutionsbiologische oder psychologische Aspekte Einfluss auf
Verschwörungsglauben nehmen.
In der Psychologie gibt es die sogenannten “WEIRD samples“. WEIRD steht für
weiß, gebildet, industrialisiert, reich und demokratisch. Der Großteil
aller Studien arbeitet mit Stichproben aus dieser Bevölkerungsgruppe.
Kulturelle Unterschiede werden also kaum untersucht. Da steht die Forschung
noch am Anfang.
Gibt es auch evolutionspsychologische Erklärungsmodelle?
Verschwörungsglaube hat es immer und überall auf der Welt gegeben. Das legt
einen evolutionären Zusammenhang nahe. Es gibt die Idee, dass
verschwörungsgläubige Menschen wie ein hypersensibles Warnsystem
funktionieren: Sie erkennen tatsächliche Verschwörungen, aber vermuten
darüber hinaus auch dort Verschwörungen, wo keine sind. Wie ein
Schwangerschaftstest, der zu oft anschlägt: Man verpasst keine
Schwangerschaft, aber der Test zeigt eben auch falsch-positive Ergebnisse
an. Die Metapher verdeutlicht, wie viel Stress diese Hypersensibilität
auslösen muss.
Warum bekommen Verschwörungserzählungen gerade bei kollektiven
Großereignissen so großen Aufwind?
Menschen tauschen sich mehr über Großereignisse aus als über individuelle
Schicksalsschläge, weil sie alle davon betroffen sind. Die Hintergründe
solcher Ereignisse sind komplex, die Verunsicherung ist groß. Menschen
denken, das kann kein Zufall sein und suchen nach einer einer einfachen
Erklärung. So wird die Situation für sie kontrollierbarer. Es lindert das
Ohnmachtsgefühl von 'Hier passiert gerade etwas, worauf ich keinen Einfluss
nehmen kann’. Corona ist ein besonders gutes Beispiel dafür, das Virus ist
quasi der Prototyp des kollektiven Kontrollverlustes.
Wie können wir mit diesem Kontrollverlust am besten umgehen?
Man kann versuchen, handlungsfähig zu bleiben, zum Beispiel, indem man sich
in der Nachbarschaftshilfe engagiert oder Masken näht.
Wie können wir mit Menschen umgehen, die an Verschwörungserzählungen
glauben?
Das hängt davon ab, wen ich erreichen will. Wenn ich in den Sozialen Medien
einer Person begegne, die ich nicht kenne, die schon abgetaucht ist, werde
ich sie nicht mit einem Link zum Faktenfinder vom Gegenteil überzeugen.
Aber unsere Reaktion ist wichtig für die, die mitlesen.
Und wie reagiere ich auf Verschwörungsgläubigen im engen Umfeld?
Es ist wichtig, früh zu intervenieren. Man sollte sich fragen: Was ist die
Funktion dieser Verschwörungserzählungen für die betroffene Person? Wenn es
menschenfeindlich wird, sollte man klare Grenzen ziehen. Mittlerweile gibt
es auch Beratungsstellen für Angehörige.
Was tun, wenn Menschen schon so tief im Verschwörungsglauben stecken, dass
sie jeden Widerspruch auflösen, indem sie wissenschaftlichen Fakten einfach
die Wahrhaftigkeit absprechen?
Das ist das große Problem: Verschwörungserzählungen immunisieren gegen
Kritik. Versucht man sie zu dekonstruieren, bekommt man entweder vage
Antworten, die Person springt zu einem anderen Thema oder es heißt, Studien
und Fakten seien gefälscht. Wie belegt man mal eben, dass eine Studie nicht
gefälscht ist? Aber etwas zu widerlegen, das gar nicht existiert, also den
Inhalt einer Verschwörungserzählung, ist per se unmöglich. Die
Herausforderung ist, sich nicht im Kleinklein zu verheddern, um gar nicht
erst an diesen Punkt zu kommen, sondern auf einer abstrakten Ebene zu
bleiben. Einer solchen Diskussion sind damit sehr enge Grenzen gesetzt.
Was kann man der Presse im Umgang mit Corona-Verschwörungserzählungen
vorwerfen?
Mich stört, dass jetzt so anlassbezogen über das Thema diskutiert wird
während es zuvor jahrelang negiert oder in die Verrückten-Ecke gedrängt
wurde. Die Berichterstattung fokussiert sich jetzt auf die Demonstrationen
und eine Partei, die sich gerade erst gegründet hat. Da muss man aufpassen,
dass man sie nicht größer macht, als sie ist.
Es wäre wichtig, in den Medien auch strukturelle Analysen und historische
Einordnungen zu liefern damit Menschen sehen: Das ist nicht neu, das hat
historische Vorläufer. Woher kommen eigentlich gewisse Analogien, wie kann
ich sie einordnen und verstehen? So, dass wir langfristig über das Thema
sprechen und uns gesellschaftlich darüber verständigen, wie wir damit
umgehen. Das sind komplexe Fragen, für die wir eine langfristige
Berichterstattung brauchen, die einordnet und in die Tiefe geht.
Was macht die Pathologisierung der bösen „Mainstream Medien“ mit Menschen,
die aktuell an der Klippe stehen?
Insgesamt finde ich es schwierig von Irren, Dummen oder #covidioten zu
reden. Das Phänomen Verschwörungsglaube, ist so weit in der Gesellschaft
verbreitet, dass man es nicht krankhaft nennen kann. Außer man sagt, dass
die ganze Gesellschaft krank ist. Die gesellschaftliche Debatte schmeißt
mit falschen Begriffen um sich und diese Pathologisierung ist gefährlich:
Sie entpolitisiert, sie reißt aus dem Kontext und am Ende stigmatisiert sie
mitunter Menschen mit tatsächlichen psychischen Erkrankungen. Das hilft
nicht weiter.
Außerdem reden wir hier von einer ideologischen Komponente. Es geht nicht
darum, dass diese Menschen nicht in der Lage sind, Fakten zu verstehen,
sondern dass Fakten in einer bestimmten Art und Weise verstanden werden
wollen. Das ist ein Motivationsprozess. Ich kann mir schon vorstellen, dass
eine gewisse Form der Berichterstattung Menschen noch tiefer in
Verschwörungserzählungen treibt.
Die Popkultur nutzt seit Jahrzehnten Elemente aus Verschwörungserzählungen:
Chemtrails, Laborunfälle, Geheimbünde. Hat das einen Einfluss darauf, wie
schnell wir an Verschwörungen glauben?
Studien zu [5][Akte X] haben keinen Effekt festgestellt. Menschen, die eine
Episode von Akte X gesehen hatten, haben hinterher nicht mehr an
Verschwörungserzählungen geglaubt als vorher. Aber die Datenlage dazu ist
dünn.
Menschen fasziniert diese Jagd nach dem Geheimwissen; man selbst ist dann
die Person, die über dieses Wissen verfügt. Auf eine verdrehte Art und
Weise macht das Spaß.
Und da ist dieses ambivalente Verhältnis zwischen der Opferrolle und dem
Helden oder der Heldin, die im Widerstand ist. Man ist „denen da oben auf
die Schliche gekommen, denen die reich sind, die es so einfach haben im
Leben, die die Fäden in der Hand halten“. Plötzlich ist man der verkannte,
allwissende Widerstandskämpfer.
Ein Mythos, den auch [6][manche Prominente aktuell aufbauen].
Die Inszenierung von Menschen, die eine gewisse Reichweite haben, ist
aktuell sehr relevant. Wenn sie auf Facebook oder YouTube zensiert werden,
gehen sie auf einen anderen Kanal oder sagen: „Auf YouTube darf ich die
Wahrheit nicht sagen.“ Die Szene kreiert so einen Widerstandsmythos. Auf
der einen Seite sind sie die Unterdrückten, auf der anderen die Helden, die
Befreier. Es geht um Erleuchtung, um den „Kampf gegen die Säuberung“. Da
sind wir dann auch ganz schnell in bagatellisierten NS-Analogien.
Gleichzeitig ist ihr Verhältnis zu Medien extrem ambivalent. Sie schreien
Lügenpresse, aber zitieren die Presse, wenn es das eigene Weltbild
untermauert.
Radikalisieren sich Teile unserer Gesellschaft schneller durch die
Corona-Verschwörungserzählungen?
Ja, ich denke, die Coronakrise hat ein verstärktes
Radikalisierungspotenzial. Plötzlich versammeln Prominente eine sehr
heterogene Gruppe hinter sich. Leute, die sonst nicht auf die Straße gehen,
folgen nun dieser Erweckungsfantasie. Attila Hildmann postet Bilder, auf
denen er mit Waffen posiert, und in Beiträgen Endzeitstimmung hervorruft.
Unter seinem Video „Der Fall der Kabale“ schreibt er, dass wir seit
Jahrtausenden verfolgt würden, dass „die“ uns alle umbringen wollen, dass
„wir“ uns dagegen wehren müssen. Da sind wir ganz schnell im
Antisemitismus.
Seine Anhänger, die ich in ihren Lebensentscheidungen, zum Beispiel in
Sachen Ernährung, nach ihm richten und ihn sich zum Vorbild nehmen, sehen
ständig diese Inszenierung. Das kann Konsequenzen haben. Diese Konsequenzen
können sich auf Demonstrationen zeigen und dort entladen, sie können aber
auch Einzelpersonen radikalisieren.
Können Menschen wieder zurückfinden in eine Welt ohne Verschwörung?
Hin und wieder liest man von Menschen, die rückblickend erzählen, dass sie
an Verschwörungserzählungen geglaubt haben. Doch wenn man einmal in diesem
Kaninchenbau ist, fällt es schwer wieder herauszufinden. Viele isolieren
sich von ihrem Umfeld und irgendwann gibt es niemanden mehr, der kritisch
ist und dagegen hält. Daran können Familien und Beziehungen zerbrechen.
Aber ich glaube schon, dass Menschen unter bestimmten Umständen, mit der
richtigen Motivation auch wieder herausfinden können.
19 May 2020
## LINKS
[1] /Hygiene-Demonstrationen-in-Berlin/!5683822
[2] https://www.fes.de/forum-berlin/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie
[3] /Verschwoerungstheorien-auf-YouTube/!5540029
[4] /Schwerpunkt-Rechter-Terror/!t5007732
[5] /Jubilaeum-eines-Fernsehhits/!5050586
[6] https://www.zdf.de/nachrichten/digitales/coronavirus-promis-instagram-versc…
## AUTOREN
Nora Belghaus
Johannes Drosdowski
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