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# taz.de -- Tierrechts-Autorin über Veganer: „Sie vertragen Kritik schlecht�…
> Vegan leben liegt im Trend. Doch unter den politischen Veganern finden
> sich auch Rassisten und Ökofaschisten, sagt Autorin Mira Landwehr.
Bild: „Der Gedanke, dass Menschen nicht mehr Gewicht haben als Stechmücken, …
taz: Frau Landwehr, der Gründer und [1][Geschäftsführer der
Biolebensmittelmarke Rapunzel], Joseph Wilhelm, hat sich kürzlich als
Verschwörungsgläubiger entpuppt. Er verbreitete über seine Webseite
menschenverachtende und wissenschaftsfeindliche Thesen zur Coronapandemie.
Hat Sie das überrascht?
Mira Landwehr: Überhaupt nicht. Ich fand es tatsächlich ganz gut, dass
Wilhelm sich so klar geäußert hat. Nur mit sehr viel Fantasie konnte man
ihn falsch verstehen. In einer seiner Wochenendbotschaften schreibt er,
dass Viren „Teil des biologischen Lebens auf unserer Erde“ seien und
„ihren Beitrag zur Weiterentwicklung des selbigen und der menschlichen
Anatomie und Psyche leisten“. Um darauf zu kommen, muss man schon recht
tief in diese verschwörungsideologischen Kreise vorgedrungen sein.
Welches Weltbild liegt dem zugrunde?
Wilhelm glaubt, dass Viren etwas Gutes seien und uns in der Entwicklung
helfen würden. Bei ihm kommt noch hinzu, dass er als Jugendlicher die
ersten Berührungspunkte mit der Anthroposophie hatte.
Eine Lehre, die auf [2][Rudolf Steiner] zurückgeht.
Steiner glaubte, mit Erzengeln und unsichtbaren Wesen in Kontakt treten zu
können und somit Zugang zu einer anderen Welt zu haben. Anhängerinnen und
Anhänger der Anthroposophie glauben, dass es über die Realität hinaus noch
etwas gibt – das aber nur bestimmten Personen zugänglich sei. Damit gehört
man dann zu einer Art Elite und kann sich über andere Menschen erhöhen. Im
Grunde ist das eine Weltanschauung, die von qualitativen Unterschieden
zwischen Menschen ausgeht. Die negiert, dass es ein prinzipielles Recht
aller Menschen auf Leben und Freiheit gibt.
Nach heftiger Kritik hat Wilhelm in einer Stellungnahme erklärt, seine
Aussagen erschienen ihm „rückwirkend überzogen“. Kann man ihm das abkaufe…
Ich nehme ihm das nicht ab. Ende April schrieb Wilhelm noch über den „in
Aussicht stehenden Impfzwang“. Und in seiner Stellungnahme, die eigentlich
als Entschuldigung dienen sollte, wiederholt er dieses Narrativ eines
Impfzwangs – ohne das selber zu hinterfragen. Das ist nach wie vor das
Geraune von irgendwelchen bösen Mächten, die die deutsche Bevölkerung
zwangsimpfen wollen. Dahinter stecken häufig noch ganz andere Ideen.
Zum Beispiel?
Fast alle Verschwörungsnarrative haben einen antisemitischen Kern. Früher
waren es die bösen Juden, die die Brunnen vergiftet haben. Beim Impfen ist
es der böse Pharmakonzern. Oder Figuren wie Bill Gates, die uns angeblich
beim Impfen gleich chippen wollen, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Dem
zugrunde liegt eine Grundangst.
Welche?
Na ja, die große Angst vor Kontrollverlust. Sicherlich ist das irrational.
Ich würde deshalb auch nicht sagen, man sollte jede dieser Ängste ernst
nehmen. Was man aber ernst nehmen muss, ist das Bedürfnis, an so etwas zu
glauben. Warum schafft eine einigermaßen aufgeklärte Gesellschaft es aber
nicht, dem etwas entgegenzusetzen? Es wäre ja wichtig, zu vermitteln: Du
brauchst davor keine Angst zu haben.
Ist die vegane Bioszene besonders anfällig für solche
[3][Verschwörungsideologien]?
Sie hat jedenfalls keine funktionierenden Abwehrmechanismen dagegen
entwickelt. Ich habe den Eindruck, es gibt eine prinzipielle Verweigerung,
sich mit Theorie zu befassen. Das ist gerade unter den politisch
motivierten Verganerinnen und Veganern ein Problem. Der damalige
Pressesprecher der veganen Tierrechtsorganisation Anonymous for the
Voiceless, Dennis Michaelis, sagte Ende 2018, dass er von keiner Aktivistin
verlangen könne, sich mit den Funktionsmechanismen von Rassismus oder
Sexismus zu beschäftigen, weil das ja ein jahrelanges Studium bedeuten
würde. Ja, eben, denke ich da, darum geht’s ja. Wenn ich mich aber für die
Rechte einer Gruppe einsetze, ob das jetzt Tiere sind oder es eine Gruppe
von Menschen ist, dann bin ich nicht unpolitisch.
Unpolitisch zu sein soll dann entlasten.
Angeblich engagieren sich diese Leute nur für die Tiere und das soll die
Hauptsache sein. Dabei merken sie leider nicht, dass sie sich gegenüber
ganz merkwürdigen Kreisen und Interessen öffnen. Das müsste viel mehr
diskutiert werden, aber da stößt man leider schnell an Grenzen. Ich war ja
selbst einige Jahre in der Tierrechtsszene aktiv. Als ich angefangen habe,
Kritik zu äußern, wurde das oft abgewiesen. Mein Eindruck ist, dass das
Vegansein Kritik grundsätzlich sehr schlecht erträgt. Denn die Kritik am
Veganismus wird dann schnell als Kritik an der Person selbst aufgefasst.
In Ihrem Buch „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht: Zum Zusammenhang von
Tierliebe und Menschenhass in der veganen Tierrechtsbewegung“ schreiben Sie
auch, ein wichtiger Unterschied liege zwischen den Aussagen „Ich ernähre
mich vegan“ und „Ich bin vegan“. Welcher ist das?
Wenn ich von mir sage „Ich bin vegan“, dann identifiziere ich mich ganz
stark mit meinen Essgewohnheiten und dem, was sonst noch zum Veganismus
gehört. Und vor allem mit dieser antispeziesistischen Ideologie. In der
Praxis führt die dazu, dass kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen
einer Stechmücke und einem Menschen. Beide sind gleich: gleichermaßen zu
berücksichtigen und gleichermaßen zu vernachlässigen. Und dieser zweite
Gedanke, dass Menschen dann eben auch nicht mehr Gewicht haben als eine
Stechmücke, der ist gefährlich.
Warum?
Weil dieser Gedanke nicht die Stechmücke moralisch erhöht, sondern den
Menschen erniedrigt. Das kann dann bis in ökofaschistische
Auslöschungsfantasien münden. Solche Tendenzen werden von einigen sehr
bekannten Gallionsfiguren aus der Szene vertreten. Paul Watson von Sea
Shepherd etwa, den viele Veganerinnen und Veganer verehren, weil er so
tolle Aktionen für die Meerestiere gemacht hat. Watson sagt aber
gleichzeitig, dass der Mensch wie Aids sei oder wie ein Virus für die
Biosphäre.
Auf der einen Seite wird Veganismus also mit einer Haltung gegen Ausbeutung
und Leid begründet. Gleichzeitig werden Menschen abgewertet. Wie ist das
vereinbar?
Der Ausbeutungsbegriff ist – jedenfalls in der breiten veganen
Tierrechtsszene – keiner, der an die Theorien von Marx angelehnt ist. Der
Begriff wird gar nicht richtig hinterfragt und qualifiziert. Da geht es
eben nicht um die Zurichtung durch Lohnarbeit und die Ausbeutung der
Lohnabhängigen in den Fabriken. Ausbeutung ist da mehr eine moralische
Kategorie. Alles ist in diesem Denken irgendwie Ausbeutung, und alles ist
schlimm. Man hat aber nicht so wirklich Ahnung davon, wie diese Ausbeutung
funktioniert oder wie sie im globalen Zusammenspiel zu werten ist.
Verantwortung bleibt also den Einzelnen überlassen.
Der Ausspruch „go vegan“ ist ein Ausdruck dessen. Also: Werde vegan, und
dann wird alles gut. Es wäre toll, wenn es so wäre, aber so funktioniert es
leider nicht. Nur mal ein Gedankenexperiment: Wenn von heute auf morgen
ganz viele Menschen in Deutschland vegan wären, was würde dann passieren?
Sagen Sie’s mir.
Das kann dazu führen, dass Fleisch noch billiger wird. Dass Leute, die
sowieso schon welches essen, noch mehr Fleisch essen. Und dass gleichzeitig
der Export von Fleisch noch aggressiver vorangetrieben wird. Nur weil viele
Leute vegan werden, heißt das nicht, dass das Tierleid gemindert wird.
Vielleicht ist es danach gleichbleibend, vielleicht weniger, vielleicht
mehr. Man weiß es nicht. Aber diese monokausalen Erklärungen fruchten
leider nicht.
Wie könnte eine Kritik aussehen, die die Ausbeutung von Mensch und Tier
gleichermaßen mitdenkt?
Man müsste weg von diesem Narrativ, „dein Einkaufszettel ist ein
Stimmzettel“. Und auch weg vom Boykott einzelner Konzerne oder Produkte.
Wenn ich das Rapunzel-Mandelmus nicht mehr kaufe, dann kaufe ich halt das
von Alnatura oder das von der Rewe-Eigenmarke. Oder wie es mit dem Konzern
Nestlé passiert. Der gilt ja nicht nur in der veganen Szene als Ausgeburt
des Bösen. Im Grunde erfüllt Nestlé die kapitalistischen Bedingungen
schlicht besonders gut. Es gibt randständige Bestrebungen in der Szene, die
versuchen eine theoretische Untermauerung einzubringen. Aber so etwas liest
man sehr selten.
2 Jul 2020
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## AUTOREN
Erica Zingher
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Verschwörung
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