# taz.de -- Forscherinnen über Political Correctness: „Gender ist symbolisch… | |
> Gender Studies? Sind das nicht diese politisch Korrekten? Zwei | |
> Geschlechterforscherinnen sprechen über das Image ihres Fachs und den | |
> Kampf um Deutungsmacht. | |
Bild: Zwei Demos treffen aufeinander – eine für und eine gegen die Demo für… | |
taz: Frau Motakef, Frau Cattien, was sind Gender Studies? | |
Jana Cattien: Sie sind Teil eines emanzipativen Projekts. Eine akademische | |
Disziplin, die aus politischen Bewegungen erwachsen ist – und diesen immer | |
verpflichtet bleibt. | |
Mona Motakef: Die Gender Studies sind ein Forschungsfeld mit vielen | |
Disziplinen, entstanden aus der Frauenbewegung, aus queeren Protesten. | |
Heute gibt es ganz unterschiedliche Arten, Gender Studies zu betreiben. | |
Jana Cattien steht für eine Richtung, die vor allem Macht und Hegemonie | |
kritisch in den Blick nimmt. Es gibt aber auch Forscher_innen, die sich | |
nicht als so politisch verstehen. In meinem Fach, der Soziologie, geht es | |
zum Beispiel darum, wie genau zwischen Frauen und Männern unterschieden | |
wird und welche Ungleichheiten dadurch entstehen. Gender Studies erforschen | |
aber nicht nur Geschlecht allein, sondern zum Beispiel in der Verschränkung | |
mit Rassismus. | |
Die breite Öffentlichkeit assoziiert Gender Studies vor allem mit Binnen-I | |
oder genderneutralen Toiletten. Was ist da schiefgelaufen? | |
Motakef: Das liegt daran, dass sich gerade unterschiedlichste Akteur_innen | |
gemeinsam gegen Gender in Stellung bringen. Da ist die Rede von | |
„Genderwahn“, von „Femokratie“ oder „Homolobby“. Diese Akteur_innen… | |
sich vielleicht sogar wundern, wie ähnlich sie argumentieren. | |
Wir sprechen von der Rechten? | |
Motakef: Nicht nur. Attacken kommen auch aus der katholischen und aus den | |
evangelikalen Kirchen. Oder von sogenannten besorgten Eltern. Die stellen | |
sich uns als eine „Genderelite“ vor, die Frühsexualisierung oder | |
Homosexualisierung der Gesellschaft vorantreibt. Andere wiederum sagen, man | |
habe es übertrieben, inzwischen seien Männer im Nachteil, oder Frauen | |
dürften keine Hausfrauen mehr werden. Gender eignet sich einfach gut als | |
Feindbild, denn der Begriff ist fluide und schwer abzugrenzen. Man sagt | |
auch: Gender ist ein symbolischer Klebstoff. Er bringt alle diese | |
Akteur_innen gegen den gemeinsamen Feind zusammen. Wir würden sagen: Das | |
ist eine Reaktion auf Prekarisierung. Es gibt immer mehr prekäre | |
Arbeitsverhältnisse. Das verunsichert. | |
Wirklich? Je schlechter die wirtschaftliche Situation, desto schlimmer | |
findet man Gender? | |
Motakef: Das habe ich nicht gesagt. Es ist eben nicht nur die | |
wirtschaftliche Situation prekär geworden, sondern auch bestimmte | |
Gewissheiten: was Männlichkeit ist, Weiblichkeit, Sexualität, eine gute | |
Kindheit. Gerade rechte Gruppen versuchen deshalb, Gegenhegemonien | |
aufzubauen. Natürlich schließen sich dem keinesfalls nur die so genannten | |
Modernisierungsverlierer an. | |
Cattien: Wir müssen aufpassen, dass wir das Problem nicht auf Gender | |
einengen. Ich finde, statt von Anti-Gender sollten wir von | |
Anti-Political-Correctness sprechen. Am Ende geht es diesen Menschen darum, | |
Privilegien zu erhalten – dazu gehören auch rassistische Einstellungen. | |
Dann reden wir doch über Political Correctness. Gerade haben zwei | |
PC-kritische Texte den [1][Deutschen Reporterpreis] gewonnen. Die | |
prämierten Essays sehen die Rede- und Kunstfreiheit in Gefahr: durch eine | |
rigide Vorstellung von dem, was man sagen oder durch Kunst ausdrücken darf. | |
Haben Sie Verständnis dafür, dass Menschen so auf antisexistische und | |
antirassistische Bewegungen blicken? | |
Cattien: Von welchen Menschen sprechen Sie? | |
[2][In einem der prämierten Essays] aus der Zeit geht es zum Beispiel um | |
Werke der zweier US-Künstler_innen. Die beiden hatten Gewalt gegen schwarze | |
Menschen und Ureinwohner_innen in den USA thematisiert. Betroffene Gruppen | |
kritisierten aber, die weißen Künstler_innen hätten sich eine Geschichte zu | |
eigen gemacht, die nicht ihre sei. Viele Menschen finden: Es gibt hier ein | |
legitimes Anliegen, aber in der Ausformung geht das zu weit. | |
Cattien: Ich hatte bei dem Text keineswegs das Gefühl, dass der Autor ein | |
legitimes Anliegen anerkennt, sondern dass er diffamieren wollte. Er beruft | |
sich auf aufklärerische Ideale von Kunstfreiheit – die basierten aber von | |
Anfang an auf kolonialistischen, rassistischen und sexistischen | |
Ausschlüssen. Es ist interessant, wie die Anti-Political-Correctness | |
versucht, den Westen als Zentrum von Kultur und Werten zu verteidigen; „Vor | |
30 Jahren, bevor die People of Color und die Frauen uns alles kaputtgemacht | |
haben, haben wir so tolle Kunst produziert.“ Ich finde diese Rhetorik | |
problematisch. | |
Motakef: Ich finde, man muss die einzelnen Fälle diskutieren. Es gab ja in | |
diesem Jahr auch die [3][Debatte um das Gedicht] an der Fassade der | |
Berliner Alice-Salomon-Hochschule, das nach Ansicht der Studierenden | |
frauenfeindlich ist. Dieses und andere Beispiele, die PC-Kritiker_innen | |
anführen, müssen natürlich ausgehandelt werden. Es hat aber auch etwas von | |
Scheindebatte. Auch im Fall von #metoo ist ja immer von Moralaposteln oder | |
Tugendwächtern die Rede. Es wäre doch schön, wenn unser Problem nur darin | |
bestünde, dass wir von Tugendwächterinnen und Tugendwächtern bestimmt | |
würden. Das Problem ist aber ein ganz anderes, nämlich sexualisierte Gewalt | |
und Sexismus. | |
Viele haben das Gefühl, dass hier etwas von oben herab verordnet wird. | |
Akademiker_innen bestimmen, was okay ist zu sagen und was nicht. Ich nehme | |
an, dass Sie das anders sehen… | |
Motakef: Naja. | |
Oder nicht? | |
Motakef: Wenn Universitäten sagen: Unsere Sprachregelung ist die und die, | |
dann ist das durchaus eine Verordnung. Aber wer sich ärgert, man werde zum | |
Gendern gezwungen, sollte dann auch zugeben: Was wir vorher gemacht haben, | |
war auch Gendern. Nur eben männlich. Die Frage ist, welche Entscheidung man | |
trifft. | |
Wer sollte solche Entscheidungen treffen, und wie? | |
Cattien: Ich bin bei Verordnungen eher skeptisch. Für mich muss es immer | |
einen Entscheidungsprozess von unten geben, einen, der ständig in Bewegung | |
bleibt. Interventionen von oben würgen die Debatte über Gender und Sprache | |
eher ab. | |
Übertragen wir das auf die Kunst. Eine Gruppe Aktivist_innen verlangt, dass | |
eine Künstler_in ihr Werk zerstört oder ihnen übergibt – ist das aus Ihrer | |
Sicht ein Beispiel für einen Entscheidungsprozess von unten? | |
Cattien: In dem Fall ist entscheidend, dass die Künstler_in selbst die | |
Botschaft des Protestes gegen ihr Werk wahrgenommen und für sich angenommen | |
hat. Aus Sicht der Anti-Political-Correctness ist das alles immer gleich | |
Zensur. Damit wird so getan, als gäbe es für den Protest gegen das | |
Kunstwerk keine legitimen Argumente. Im Grunde ist es eine Depolitisierung | |
von Debatten, wenn man behauptet, es ginge einzig und allein um | |
Meinungsfreiheit oder -unfreiheit. Schließlich verhandelt man doch jedes | |
Mal politische Inhalte. | |
Motakef: Es geht um Deutungsmacht. Also darum, dass bestimmte Gruppen | |
definieren und andere Gruppen definiert werden. Letztere wollen aber für | |
sich selbst sprechen. | |
Befinden wir uns also in einem Kampf um Deutungsmacht, der gerade ein | |
bisschen egalitärer wird? | |
Motakef: Er macht mehr sichtbar als vorher. Er führt sogar hier und da zu | |
rechtlicher Gleichstellung – Stichwort Ehe für Alle oder drittes | |
Geschlecht. Es hat sich zwar noch nicht so viel verändert wie oft behauptet | |
wird. Aber die Ungleichheiten werden sichtbarer. Sexualisierte Gewalt ist | |
ein Beispiel dafür. | |
Gleichzeitig gibt es einen Backlash, ein Erstarken des Rechtspopulismus in | |
Deutschland und im Ausland. Wie passt das zusammen? | |
Cattien: Ich sehe das ein bisschen anders. Wenn man von Backlash spricht, | |
lässt man vieles unter den Tisch fallen: die Angriffe auf Asylbewerberheime | |
in den 90ern, die NSU-Morde. Wir sollten keine Brüche diagnostizieren, wo | |
eigentlich Kontinuitäten bestehen. Rassismus hat schon immer eine Rolle | |
gespielt in Deutschland. | |
Und doch ist erst jetzt mit der AfD eine Partei im Bundestag, die explizit | |
fordert, dass Gender Studies abgeschafft werden. Ist das kein Bruch? | |
Cattien: Dass Rassismus in deutschen Institutionen wirkmächtig ist, haben | |
wir doch schon im Fall der NSU-Morde gesehen. Der Verfassungsschutz hat | |
sich hier beinahe der Komplizenschaft schuldig gemacht. Ich finde es naiv | |
so zu tun, als sei jetzt auf einmal alles viel schlimmer, weil die AfD im | |
Bundestag ist. Was wird wann als „schlimmer“ beurteilt – und von wem? Wer | |
nimmt Probleme wann wahr? Da geht es schon wieder um Deutungsmacht. | |
Dieser Kampf um Deutungsmacht – ist es möglich, den einigermaßen | |
freundschaftlich auszufechten? | |
Cattien: Ich glaube, es geht nicht ohne Konflikte. Immerhin sprechen wir | |
über das Verschieben von Machtverhältnissen. Niemand wird freiwillig und | |
ohne Druck irgendwelche Privilegien aufgeben. Ich und viele andere sind | |
auch bereit, diesen Konflikt zu suchen. | |
Motakef: Das sind eben soziale Kämpfe, die da gerade ausgetragen werden. | |
Ich finde das für den Moment erst einmal produktiv. | |
22 Dec 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Geschlechterverhaeltnis-im-Journalismus/!5465288/ | |
[2] http://www.reporter-forum.de/fileadmin/pdf/Reporterpreis_2017/rauterberg_ta… | |
[3] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/eugen-gomringer-gedicht-sind-maen… | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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