| # taz.de -- Öffentlichkeit zu sexueller Gewalt: Die böse, wir gut | |
| > Die #metoo-Debatte blieb in Deutschland abstrakt, obwohl „Köln“ zeigte, | |
| > dass wir durchaus konkret über sexuelle Gewalt sprechen können. | |
| Bild: Dunkler Dom, aber sonst alles schöne Idylle | |
| Silvester steht bevor und mit ihm der zweite Jahrestag von „Köln“. Während | |
| die #metoo-Debatte noch läuft, ohne dass hierzulande auch nur ein*e | |
| Täter*in mit Namen genannt und zur Rechenschaft gezogen wurde, naht die | |
| posttraumatische Belastungsstörung der Silvesternacht 2015/16. | |
| Damals waren auf der Kölner Domplatte Hunderte Frauen sexuell belästigt, | |
| begrapscht und beklaut worden. Knapp 1.200 Anzeigen gingen bei der Polizei | |
| ein, die meisten wegen Sexualdelikten. Bei den Tätern hatten wir es mit | |
| einem besonderen Typus zu tun: dem nordafrikanischen Mann oder dem Araber. | |
| Unter den knapp 200 Beschuldigten waren vor allem Marokkaner und Algerier. | |
| Er war der Fremde. Der, der die weiße Frau mit seinen schwarzen Händen | |
| befleckt – so, wie es auf den Titelseiten der [1][Süddeutschen Zeitung von | |
| 9. und des Focus] vom 6. Januar 2016 dargestellt wurde. Ob das eine – die | |
| Herkunft – mit dem anderen – sexueller Gewalt – zu tun hatte, war oft ega… | |
| Es dominierte eine Angst vor sexuellen Übergriffen, die nicht aus | |
| emanzipatorischen, sondern aus rassistischen und chauvinistischen Gedanken | |
| stammt. | |
| Die Professorin für Geschlechterstudien an der Uni Frankfurt, Helma Lutz, | |
| schrieb im Dezember auf der Website des Mediendienstes Integration, dass | |
| die sexuellen Übergriffe von „Köln“ [2][nicht als Problem von Männlichke… | |
| betrachtet wurden, sondern als Problem der „angeblich ausschließlich | |
| traditionell-patriarchalen Verhältnisse unter Migrantinnen und Migranten | |
| oder Muslimen“]. | |
| Lutz zog damit eine Parallele, die in den vergangenen Wochen häufig | |
| übersehen wurde: nämlich die zwischen „Köln“ und der #metoo-Debatte. Bei… | |
| liegt sexuelle Gewalt zugrunde, und trotzdem reden wir unterschiedlich über | |
| sie. | |
| Nach Köln bemühten sich Medien und Kulturwissenschaftler, das muslimische | |
| Patriarchat aufzudecken. Die Emma wurde zum Organ gegen den muslimischen | |
| Mann, die Zeit fragte: „Wer ist der muslimische Mann?“, und am Ende waren | |
| sich alle irgendwie einig: Das Frauenverachtende, die sexuelle Gewalt, der | |
| Chauvinismus – das ist im Islam und in der muslimischen Kultur angelegt. | |
| Der Araber kann einfach nicht aus seiner Haut. | |
| ## Und bei uns? | |
| Nach #metoo fragte kaum eine*r: Was sagt es eigentlich über unsere | |
| Gesellschaft aus, dass mächtige, weiße Männer herablassend über Frauen | |
| (oder untergebene Männer) reden, dass sie Frauen begrapschen oder | |
| erniedrigen? Sind Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung vielleicht auch | |
| in unserer Kultur angelegt? Die Debatte von #metoo blieb weit weg: in | |
| Hollywood, in Parlamenten oder in Unternehmen. Und selbst dort forderten | |
| die Männer Differenzierung: „Wir sind nicht alle gleich, nicht jeder Mann | |
| ist ein Sexist.“ Nach Köln wurde kaum differenziert zwischen den „guten“ | |
| und den „bösen“ Arabern. Das waren plötzlich alle „Nafris“, | |
| „nordafrikanische Intensivtäter“, wie die nordrhein-westfälische Polizei | |
| sie nennt. | |
| In der #metoo-Debatte hat mancher zur Verteidigung des weißen Mannes sogar | |
| die Grenze zwischen Flirt und Gewalt verwischt. Als dürfe man heute noch | |
| nicht einmal mehr ein Kompliment machen, ohne als übergriffig zu gelten. | |
| Aber darum ging es nie bei #metoo. | |
| Bei #metoo ging es darum, dass vor allem männliche Vorgesetzte ihre Macht | |
| ausnutzen, und um eine Kultur, in der sexuelle Gewalt passieren kann. Weil | |
| die Betroffenen – wie bei Weinstein – um ihr Ansehen und ihre Karriere | |
| fürchten. Weil sie Angst haben, dass ihnen niemand glaubt. Weil sie dumme | |
| Sprüche und plumpe Anmachen gewöhnt sind und sie deshalb nicht als | |
| übergriffig erkennen. | |
| Solange sexuelle Gewalt nicht als systematisches Problem auch innerhalb der | |
| deutschen Gesellschaft angesehen wird, sondern lediglich als Import aus | |
| muslimischen Ländern, bleibt die Debatte unehrlich. So wird das Problem | |
| nicht gelöst werden. | |
| 28 Dec 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.migazin.de/2016/01/12/nach-koeln-kritik-titelseiten-focus/ | |
| [2] https://mediendienst-integration.de/artikel/was-metoo-mit-der-koelner-silve… | |
| ## AUTOREN | |
| Sibel Schick | |
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