# taz.de -- Linke Grüne zu Jamaika-Aus: „Die Zerreißprobe bleibt uns erspar… | |
> Die Berliner Abgeordnete Canan Bayram war nicht überrascht vom | |
> Jamaika-Ende. Sie kündigt eine Debatte über die Zugeständnisse der grünen | |
> Verhandler an. | |
Bild: „Deckel, Rahmen und andere unsägliche Wörter“: Canan Bayram, hier m… | |
taz: Frau Bayram, die FDP hat die Jamaika-Sondierungen platzen lassen. Sind | |
Sie erleichtert oder entgeistert? | |
Canan Bayram: Sagen wir mal so: Ich war nicht überrascht. | |
Also irgendwie doch erleichtert? Schließlich haben Sie schon im Vorfeld der | |
Sondierungen gesagt, dass Sie eine Jamaika-Koalition nicht mitwählen | |
werden. Jetzt kommen Sie erst gar nicht in diesen Gewissenskonflikt. | |
Das ist keine Kategorie für mich. Ich habe einfach bis zuletzt nicht | |
geglaubt, dass es zu Jamaika kommt. Erleichtert würde ja heißen, dass ich | |
es befürchtet hätte. Und selbst wenn es eine Einigung bei den Sondierungen | |
gegeben hätte, hätte ich große Zweifel gehabt, ob dieses weite | |
Entgegenkommen unserer Spitzenkandidaten überhaupt Rückhalt in der Partei | |
gefunden hätte. | |
Es geht um höchst dehnbare Formulierungen wie etwa jene, dass eine | |
Obergrenze für Geflüchtete von 200.000 als „atmender Rahmen“ gelten würd… | |
Richtig. „Deckel“, „Rahmen“ und andere unsägliche Wörter. Seitdem das | |
jüngste Sondierungspapier geleakt wurde, ging in der Partei einiges ab. | |
Deswegen war ich eher in der Stimmung: Hier wird das Unmögliche versucht | |
und das wird nicht klappen. | |
Lag das an der FDP? | |
Zuletzt wurde in der Fraktion immer klarer, dass die FDP ein | |
Unsicherheitsfaktor ist: Wenn wir über FDP-Positionen in der Innen- oder | |
Rechtspolitik gesprochen haben, dann wurde oft gesagt, dass deren Position | |
unklar sei. Aber es wurde deutlich, dass die Partei während ihrer | |
parlamentarischen Auszeit in den letzten Jahren ihren national-liberalen | |
Flügel gestärkt hat. Das erlebe ich auch als Mitglied des Berliner | |
Abgeordnetenhauses bei der Berliner FDP. | |
Für die linken Grünen ist der Abbruch durch die FDP die beste Lösung: | |
Jamaika kommt nicht, und die Schuld daran trifft die FDP und nicht die | |
Grünen. | |
Das hat der Partei eine Zerreißprobe erspart. Der Bundesparteitag am | |
Samstag wäre für viele sehr schwierig geworden. Aber die parteiinterne | |
Auseinandersetzung wird dennoch in gewissen Teilen stattfinden. Es muss | |
darüber geredet werden, inwieweit die grünen Verhandler ihr Mandat | |
überschritten haben. | |
Sie kommen gerade aus einer Sitzung der grünen Fraktionslinken. Wie war | |
dort die Stimmung? | |
Sagen wir so: Es gibt Klärungsbedarf, in vielerlei Hinsicht. | |
Jamaika hätte ja zur absurden Situation geführt, dass die Grünen im Bund | |
mit konservativen Kräften regieren, im Land Berlin aber mit linken Kräften. | |
Gerade aus einer Berliner Perspektive wären die Konflikte sehr hart | |
gewesen. Ich sehe ja, welchen Anspruch wir an den Bund haben, um unsere | |
rot-rot-grünen Projekte hier umzusetzen. Da wäre Jamaika eher ein Gegner | |
als ein Partner gewesen. | |
Wie geht es Ihrer Meinung nach jetzt weiter im Bund? | |
Durch das Scheitern von Jamaika bekommt der Bundespräsident eine | |
herausragende Rolle. Und dieser Präsident ist ja nicht irgendwer: | |
Frank-Walter Steinmeier war mal Spitzenkandidat der SPD. Die | |
Sozialdemokraten müssen jetzt für sich definieren, gegen welche Regierung | |
sie künftig Opposition machen will. Das Grundgesetz macht es uns | |
Abgeordneten nicht leicht, den Weg zu Neuwahlen zu finden. Wahrscheinlich | |
ist also, dass es die aktuelle geschäftsführende Regierung erst mal weiter | |
geben wird. Ich glaube, dass sich die Sozialdemokratie noch mal sehr | |
eingehend mit ihrer Rolle in der aktuellen Konstellation beschäftigen muss | |
– bei allem Verständnis für ihre Sehnsucht nach Opposition. | |
Was wäre mit einer Minderheitsregierung? | |
Noch vor Jamaika habe ich das auch mal als Idee erwähnt. Eine Variante wäre | |
gewesen, CDU/CSU und FDP bilden die Regierung und man sucht wechselnde | |
Mehrheiten. Aber in der jetzigen Situation wäre es ja nur die Union, die | |
die Regierung bilden müsste. | |
Grüne und CDU/CSU haben sich in den Sondierungen doch gar nicht so schlecht | |
verstanden … | |
Das war nicht mein Eindruck. | |
Sie glauben nicht, dass die beiden noch zusammen kommen können? | |
Es wurde uns in Fraktionssitzungen auch berichtet, dass es die CDU ist, die | |
beim Klimaschutz bremst und die uns beim Thema Migration bis zum äußersten | |
vorführen will. Nach dem Platzen der Sondierung haben alle über den | |
geschimpft, der den Tisch verlassen hat. Aber man kann jetzt nicht sagen, | |
dass es nur die FDP war, die alles verweigert hat. Das würde zu kurz | |
greifen. | |
Zum Abschluss einen inhaltliche Frage: Was den in den Verhandlungen | |
umstrittenen Familiennachzug von Flüchtlingen mit sogenanntem subsidiärem | |
Schutz angeht, ist das Ende der Sondierung doch eine prima Sache. Die | |
Aussetzung für zwei Jahre läuft ja wiederum im Frühjahr 2018 aus, oder? | |
Genau. Ab März. Das ist in Paragraf 104 des Aufenthaltsgesetz geregelt. Ich | |
fand es beachtlich, dass unsere Verhandler gar nicht transportiert haben, | |
dass es nicht darum geht, dass wir Grünen etwas wollen – nämlich den | |
Familiennachzug. Sondern dass die anderen von uns wollten, dass wir unsere | |
Zustimmung geben zur Verlängerung dieser menschenverachtenden Vorschrift – | |
der Aussetzung des Familiennachzugs. | |
Die Vorschrift wird also auslaufen? | |
Auch die SPD hat gesagt, sie würden einer solchen Aussetzung nicht mehr | |
zustimmen. Bei diesem Thema hat die Union im Bundestag wirklich nur die FDP | |
und die AfD an ihrer Seite. Es wäre ein Tabubruch, wenn diese Vorschrift | |
mit den Stimmen dieser drei Fraktionen verlängert würde. | |
20 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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