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# taz.de -- Debatte der Grünen um Koalition: Darf Kreuzberg Jamaika boykottier…
> Die Grünen sollen kein Bündnis mit CDU/CSU und FDP im Bund eingehen, sagt
> Canan Bayram. Doch es gibt derzeit keine Alternativen. Hat sie trotzdem
> recht?
Bild: Passen da die Grünen rein? Müsliriegel mit CDU-Logo in Jamaika-Farben
## Ja.
Demokratie in der Bundesrepublik lebt von Kompromissen. Erst kämpfen die
Parteien hart gegeneinander und grenzen sich ab; nach der Wahl wird dann
geschaut, wie das dennoch zusammenpasst. Aber das ist nur die halbe
Wahrheit: Die Demokratie lebt genauso stark davon, Kompromisse
auszuschließen. Indem man etwa sagt, mit der AfD gebe es keine Koalition.
Oder wenn die SPD sich bastamäßig in die Opposition verabschiedet. Wenn
eine Partei also Unmöglichkeiten definiert.
Ihre Grenzen festzuschreiben ist elementar für Parteien wie für ihre
Wähler. Dass SPD und CDU am Sonntag so stark verloren haben, liegt auch
daran, dass ihre eigenen Positionen oft kaum mehr abzugrenzen waren von
denen anderer Parteien. Nach dem Erfolg der AfD wollen nun alle ihr Profil
schärfen; die CSU kündigt an, ihre „rechte Flanke“ besser decken zu wolle…
Sprich: der AfD nachzueifern.
Angesichts dieser Gemengelage kann Canan Bayram gar nicht anders, als eine
Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und ihren Grünen [1][auszuschließen].
Die in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg-Ost am Sonntag direkt
gewählte Abgeordnete hat diese Position vor der Wahl vertreten, und es ist
mehr als eine Glaubwürdigkeitsfrage, es weiterhin zu tun.
Denn wer wie Bayram in Friedrichshain-Kreuzberg gegen eine starke linke
Konkurrenz gewählt wird, siegt nicht, weil sie oder er die schnellste oder
pragmatischste Lösung für ein Problem anstrebt, sondern die gerechteste und
ausgewogenste, für die es auch ein bisschen länger dauern darf. Weil die
Wähler wissen, dass die Welt nicht so einfach ist, wie es Union, FDP und
auch SPD darzustellen versuchen.
Bayram sollte offensiv dafür werben, dass ihre Position im Landesverband
keine Einzelmeinung bleibt. Die Berliner Grünen sind eine Großstadtpartei,
die davon lebt, sich mit urbanen Themen zu profilieren: lebenswerte Stadt,
Verkehr, Toleranz, Menschlichkeit, Integration. Grüne wie sie brauchen
keinen Brückenschlag ins wertkonservative Lager, das in Städten konstant an
Relevanz verliert, sondern perspektivisch Partner, die nicht krampfhaft am
Vergangenen festhalten.
Eine Jamaika-Koalition wäre kein progressives Projekt, sondern ein Schritt
zurück ins 20. Jahrhundert. Es will sich doch niemand vorstellen, wie eine
gemeinsame Presseerklärung der Grünen und der CSU zur Integration von
Flüchtlingen aussehen würde oder ein gemeinsamer Auftritt zum Umgang mit
Hartz-IV-Empfängern mit der FDP. Das Anbändeln der Grünen mit einer nach
rechts rutschenden Union und den Neoliberalen wäre verheerend. Jamaika
würde die Linkspartei auf Kosten der Grünen noch stärker machen, als sie
ohnehin schon geworden ist, auch in Friedrichshain-Kreuzberg.
Was die Regierungsbildung angeht, sind längst nicht alle Optionen auf dem
Tisch; Jamaika ist nicht die einzige Lösung. Auch den Grünen muss man
zugestehen, Nein sagen zu dürfen, auch wenn die SPD diesmal damit schneller
war. Bert Schulz
## Nein
Jamaika nicht mit mir, nicht mit uns? Canan Bayram und die Kreuzberger
Grünen können es sich nicht guten Gewissens leisten, eine Koalition mit der
Union und der FDP zu torpedieren und für ein Nein zu werben, wenn die
Grünen bundesweit darüber abstimmen. Guten Gewissens? Ja, es ist eine
Gewissensfrage: Jamaika oder möglicherweise Neuwahlen mit einer dann noch
stärkeren AfD. Warum stärker? Weil die Rechtspopulisten dann noch mehr
damit werben können, die etablierten Parteien bekämen es nicht hin.
Es gibt das kleine Kreuzberg, den linksgrünen Wohlfühlkosmos, und es gibt
das große Ganze. Da kann man natürlich sagen: Was östlich vom Kottbusser
Damm und westlich der S-Bahn-Gleise ist, interessiert uns nicht, das ist
quasi Ausland und da wollen wir ja sowieso keine Einsätze. Kann man
theoretisch. Kann man aber nicht wirklich, wenn man auch nur ein bisschen
den Anspruch erheben will, über den eigenen Tellerrand zu gucken. Schon
2013 hatten die Grünen die Chance, das Land vier Jahre lang mitzugestalten,
hielten es aber allen Ernstes für besser, das allein CDU und SPD zu
überlassen. Wenn denn Union und FDP so schlimm sind und die Sozis nicht
viel besser, wo ist da die Logik, nicht selbst mitmachen zu wollen, und
zwar besser?
Bayram hat in dieser Thematik bereits mit ihren Wählern argumentiert, denen
sie verpflichtet sei. Das mag sie so sehen. Grundgesetzlich aber ist sie
nur einer Sache verpflichtet: ihrem Gewissen. Und wenn sie und andere Grüne
nicht auf diesem Gewissen haben wollen, dass Neuwahlen die AfD noch stärker
machen, dann können sie sich einer Koalition schlicht nicht verweigern.
Wenn es eine Verpflichtung gegenüber den grünen Wählern gibt, dann doch,
grünes Programm in Regierungshandeln umzuwandeln – ein Programm, das auch
für erfolgreiche Wahlkreiskandidaten wie Bayram gilt. Und natürlich geht
das nicht 1:1 – Koalition beginnt nicht umsonst genauso wie Kompromiss.
## Mach dir keinen schlanken Fuß
Völlig daneben wäre es auch, als linker Grüner auf eine
Pro-Jamaika-Mehrheit in der Restpartei zu spekulieren und daraus
abzuleiten, am alten FDP-Seehofer-Feindbild festhalten zu können. Es gibt
so etwas wie den Kant’schen Imperativ, und der sagt sinngemäß: Verhalte und
entscheide Dich so, als ob davon das Wohl aller abhängt, mach Dir keinen
schlanken Fuß und denk nicht, die anderen würden’s schon richten.
Vor allem nicht die SPD. Die kann tatsächlich mit gewissem Recht sagen,
dass sie nicht in der Pflicht zum Koalieren und Regieren ist, weil
abgestraft und abgestürzt, statt gestärkt wie die Grünen aus der Wahl
herauszugehen. Einspringen würde sie vermutlich dennoch, so erleichtert die
Sozis am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus auch angesichts einer Trennung von
der Union schienen. Nicht aus Machtgeilheit, sondern weil die SPD als lange
staatstragende Partei im Zweifelsfall hat, worüber Bayram und die
Kreuzberger hoffentlich auch verfügen: echtes Verantwortungsgefühl, und
zwar fürs Ganze. Stefan Alberti
26 Sep 2017
## LINKS
[1] /Canan-Bayram-ueber-ihr-Direktmandat/!5450010/
## AUTOREN
Bert Schulz
Stefan Alberti
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