# taz.de -- Linker Wahlkreis in Berlin: Bayram muss zittern | |
> Der Krimi zu später Stunde und die spannendste Entscheidung am Wahlabend: | |
> Wer tritt Ströbeles Nachfolge in Friedrichshain-Kreuzberg an? | |
Bild: Selbst zu später Stunde keine Gewissheit: Grünen-Direktkandidatin Canan… | |
Der Kreuzberger Wahlkrimi zieht sich: Nachdem um 22.30 Uhr rund ein Drittel | |
der 233 Wahllokale im Wahlkreis 83 Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer | |
Berg-Ost ausgezählt sind, liegt die Grünen-Direktkandidatin Canan Bayram | |
lediglich um 1,4 Prozentpunkte knapp vor ihrem schärfsten Konkurrenten | |
Pascal Meiser von den Linken. Dennoch gibt der Soundtrack auf der Wahlparty | |
der Kreuzberger Grünen im Rathaus an der Yorckstraße schon mal die Richtung | |
vor, in die es in dieser Wahlnacht noch gehen soll: Ton Steine Scherben | |
singen „Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus!“ Seit 2002 hat | |
Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele den Bezirk direkt gewonnen – das | |
einzige Direktmandat der Grünen bundesweit. | |
Friedrichshain-Kreuzberg ist wohl einer der spannendsten Wahlkreis der | |
Republik: Wer wird die Nachfolge von Ströbele, inzwischen 78 Jahre, | |
antreten dürfen? Wird die Grünen-Kandidatin Bayram in seine übergroßen | |
Fußstapfen treten können? Zuletzt, 2013, gaben Ströbele knapp 40 Prozent im | |
Wahlbezirk ihre Stimme. | |
Canan Bayram stand denn auch gewaltig unter Druck in diesem Wahlkampf: Im | |
Gegensatz zu Meiser ist sie nicht über die Landesliste ihrer Partei | |
abgesichert. Und sie musste sich zuletzt gegen massive Anfeindungen aus den | |
eigenen Reihen durchsetzen. Beim Grünen-Bundesparteitag im Juni hatte | |
Bayram dem grünen Oberbürgermeisters von Tübingen, Boris Palmer, geraten, | |
er möge beim Thema Flüchtlingspolitik doch „einfach mal die Fresse halten�… | |
Palmer ist, im Gegensatz zu seiner Partei und der profilierten | |
Flüchtlingspolitikerin Bayram, für eine Obergrenze beim Flüchtlingszuzug. | |
## Für Realos war das Maß voll | |
Viele aus dem realpolitischen Lager bei den Grünen hatten der linken | |
Bayram, diesen Satz übel genommen. Zumal sie sich bei einer Protestaktion | |
öffentlich mit der linken Webseite linksunten.indymedia solidarisiert | |
hatte, die Ende August von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) | |
verboten worden war. Als Bayram in ihrem Wahlbezirk dann noch mit dem | |
Spruch plakatierte: „Die Häuser denen, die drin wohnen“, ein alter | |
Hausbesetzerslogan, war für einige Realos das Maß voll: „Die ist echt nicht | |
wählbar“, soll Volker Ratzmann, Leiter der Grünen-Landesvertretung in | |
Baden-Württemberg, in einem internen Mailverteiler geschrieben haben. | |
Im taz-Interview hatte sie vor der Wahl unlängst klar gemacht, dass sie | |
Enteignungen von Vermietern, die ihre Häuser lange leer stehen lassen, | |
nicht ablehnend gegenüber steht. „Gerade als Juristin weiß ich, dass im | |
Grundgesetz steht, dass der Gebrauch des Eigentums dem Gemeinwohl dienen | |
muss. Natürlich kann gegen Entschädigung enteignet werden.“ | |
Im taz-Interview hatte Bayram auch gesagt: Im Falle einer Jamaika-Koalition | |
– die wahrscheinlichste Option – würde sie einer Kanzlerin Merkel die | |
Stimme verweigern. „Und dabei bleibe ich auch“, sagte Bayram am Wahlabend | |
auf der Wahlparty der Kreuzberger Grünen im Rathaus an der Yorckstraße. | |
Neben einem Großteil der anwesenden Grünen-Basis hat sie mit Ströbele, der | |
am Sonntagabend kurz bei den Kreuzberger Grünen vorbei schaute, auch die | |
Unterstützung eines prominenten Grünen hinter sich: „Wir sollten Jamaika | |
eine Absage erteilen. Ich habe diese Partei mitgegründet. Eine solche | |
Koalition stand nicht auf unserer Agenda.“ | |
Auf der Agenda der Kreuzberger Grünen steht am Sonntagabend erst einmal der | |
Einzug ihrer Direktkandiatin in den Bundestag. Die Stimmung ist trotz des | |
knappen Vorsprungs zuversichtlich: „Es war ja klar, dass es knapp werden | |
würde“, sagt Annika Gerold, Fraktionssprecherin der Grünen im Kreuzberger | |
Bezirksparlament. „Naja, im Herzen hätten wir uns wahrscheinlich schon | |
früher ein klareres Ergebnis gewünscht“, murmelt ein Parteifreund neben | |
ihr. Aber da sind die Kreuzberger Grünen nach der Ära Ströbele wohl auch | |
ein bisschen verwöhnt. | |
24 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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