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# taz.de -- Berlins Grüne nach 1 Jahr Rot-Rot-Grün: Willkommen auf dem Partyt…
> Rot-Rot-Grün in Berlin hat im ersten Jahr viel Kritik eingesteckt –
> unberechtigterweise, finden die Grünen, und nutzen ihren Parteitag zum
> feiern.
Bild: Gegenstimmen? Nicht doch, zumindest nicht beim Parteitag der Berliner Gr�…
Parteien sind letztlich auch nur Menschen, und an manchen Tagen wollen sie
einfach keine Kritik hören, ja nicht mal äußern. So geht es den Berliner
Grünen auf ihrem Parteitag: Seit fast einem Jahr regieren sie zusammen mit
Linkspartei und SPD im Land; [1][eine Zeit, in der sie auch viel Kritik zu
hören bekamen]. Deswegen wollen sie an diesem Samstag vor allem eins:
Feiern, dass sie in ihrer Hochburg Berlin erstmals seit ihrer Gründung
dauerhaft an der Macht sind. Und die Gelegenheit für den Partytag ist
günstig: Nachdem Jamaika im Bund geplatzt ist, bleibt die Zerreißprobe über
dieses schwierige Bündnis auf jeden Fall erspart.
So wird die erste Debatte über den Leitantrag über die Regierungsarbeit im
ersten Jahr R2G eine vielstimmige Lobeshymne. Die drei grünen
Senatsmitglieder machten tolle, engagierte und natürlich jetzt schon
erfolgreiche Arbeit. Verkehrs- und Umweltsenatorin Regine Günther
(eigentlich parteilos, von den Grünen aufgestellt) habe den Kohleausstieg
des Landes bis 2030 durchgesetzt und leiste Pionierarbeit mit dem so gut
wie verabschiedungsbereiten Entwurf des deutschlandweit ersten
Mobilitätsgesetzes. Ebenso Justizsenator Dirk Behrendt mit seinem
Schwerpunkt auf Antidiskriminierung.
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop schließlich sorge für dringend benötigen
Investitionen bei den landeseigenen Betrieben, etwa 3 Milliarden Euro bei
den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Zudem habe sie das noch unter
Rot-Schwarz gegründete Stadtwerk „entfesselt“, sprich überhaupt erst zu
einem überlebens- und handlungsfähigen Unternehmen auf dem Energiemarkt
gemacht.
Wie groß die Harmonie am Samstag war, zeigt sich schließlich am ehrlichen
Lob der Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg und erklärten
Parteilinken Monika Herrmann für die ausgezeichnete Arbeit von Oberreala
Ramona Pop. „Das ging runter wie Öl“, kommentiert die Abgeordnete Katrin
Schmidberger die knapp einstündige Debatte, die man eigentlich nicht so
nennen konnte.
## Gegenstimmen? Gibt's nicht
Erst gegen deren Ende machen einige Redner darauf aufmerksam, dass die
Stimmung in der Stadt draußen leider nicht ganz so berauschend ist wie in
der ehemaligen Kreuzberger Kirche, in der der Parteitag stattfindet. Da
gebe es zum Beispiel Unmut über fehlende Schulplätze und mangelhafte
Anbindung durch unzuverlässigen Öffentlichen Nahverkehr. Man müsse den
Berlinern zudem vermitteln, wenn die Lösung eines Problems länger dauere.
Fraktionschefin Antje Kapek erinnert daran, dass viele Berliner weiterhin
Angst um ihre Sicherheit hätten: Vor allem vor einem Anschlag, wobei
allerdings der Straßenverkehr in Berlin das weitaus größere Risiko
darstelle. In den beiden Tagen zuvor waren zwei Radfahrer unverschuldet ums
Leben gekommen.
Einig sind sich alle, dass noch viel Arbeit für die Grünen ansteht. Unklar
bleibt, wie viel Versäumnisse der Vergangenheit aufgearbeitet werden
müssen: zehn Jahre Sparkurs sprich Haushaltskonsolidierung, wie Ramona Pop
meinte? 15 Jahre „brutalster Abbau der Verwaltung“, was Monika Herrmann
anmerkte? 20 Jahre verpatzte Wohnungspolitik (Schmidberger)? Gar 100 Jahre
autogerechte Stadt (Kapek)?
Gegenstimmen für die wichtigen Anträge gibt es nicht: Sie werden meist mit
wenigen Enthaltungen angenommen. Abgelehnt werden lediglich Anträge, die
einen schnellen Ablauf des Tages verhindern könnten.
## Canan Bayram ist krank
Einige eigentlich höchst kontroverse inhaltliche Punkte umschiffen die
Delegierten souverän. Das auch im Berliner Landesverband nicht
unumstrittene Jamaika-Verhandlerteam auf Bundesebene wurde gar nicht erst
angesprochen; die direkte gewählte Bundestagsabgeordnete aus
Friedrichshain-Kreuzberg und prominente Parteilinke, Canan Bayram, ist
krank und nicht vor Ort.
In ihrem zweiten wichtigen Antrag fordern die Grünen mehr Engagement für
die Integration von Geflüchteten, ein Thema, für das im Senat die
Linkspartei zuständig ist. Im Vorfeld des Parteitags hatte es
Unstimmigkeiten gegeben, inwiefern der Antrag ein Angriff auf den
Koalitionspartner und insbesondere die zuständige Senatorin Elke
Breitenbach war. „Wir wollen, dass da mehr passiert“, hatte Parteichef
Werner Graf im taz-Interview vorab gesagt. Am Samstag betont Graf, die
Grünen wollen bei diesem Thema nicht verstummen, Veränderungen aber mit
Breitenbach, nicht gegen sie anzustreben.
## Ende des Kopftuchverbots
In dem Antrag wird zudem die Abschaffung des sogenannten Berliner
Neutralitätsgesetzes verlangt, also etwa das Verbot für Lehrerinnen, ein
Kopftuch zu tragen. „Nach der Rechtssprechung des
Bundesverfassungsgerichts“ lasse sich dieses pauschale Verbot nicht mehr
halten, heißt es darin. Auch das scheint Konsens zu sein in der Partei –
zumindest spielt das Thema keine Rolle in der Debatte. „Ich möchte, dass es
Lehrerinnen mit Kopftuch gibt. Und ich erwarte zugleich, dass sie die
Religionsfreiheit von Schülerinnen verteidigen, die kein Kopftuch tragen
wollen“, beschreibt die frühere Landeschefin Bettina Jarrasch die
Anforderungen an die Realität. Aber kann man das umsetzen? Die Debatte
dürfte die Grünen noch einholen.
Doch für diesen Tag hat Parteichefin Nina Stahr recht behalten. Sie hatte
im Vorgespräch einen harmonischen Parteitag prophezeit: „Die Mitglieder
sind ziemlich begeistert von dem, was wir an der Regierung machen.“ Unnötig
war ihre Warnung, dass die Zeitplanung für den Samstag nur ein grober
Rahmen sei und Verzögerungen natürlich immer drin seien. „Wir sind ja bei
den Grünen.“ Tatsächlich sind die Delegierten ihrer Zeit meist um mehr als
eine Stunde voraus. So geht Party auf politisch.
2 Dec 2017
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## AUTOREN
Bert Schulz
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