# taz.de -- Essay Jamaika-Sondierungen und Klima: Wir brauchen die echte schwar… | |
> FDP, Union und viele Medien tun so, als sei Klimapolitik ein grünes | |
> Partikularinteresse. Das ist falsch. Klimaschutz ist eine Aufgabe für | |
> alle. | |
Bild: Der Klimaschutz ist in der Prioritätenliste der deutschen Politik immer … | |
Höher, schneller, weiter – nach diesem olympischen Motto könnte sich bis | |
2100 weltweit der Meeresspiegel um zwei oder sogar drei Meter heben, | |
warnten drei neue wissenschaftliche Studien in der letzten Woche. Und zwar | |
an demselben Tag, als die potenzielle Jamaika-Koalition in Berlin | |
beschloss, [1][zu den Klimazielen einer neuer Regierung besser erst mal | |
nichts zu beschließen]. Das zeigt das ganze Elend der aktuellen deutschen | |
Klimadebatte. | |
Am Montag beginnt in Bonn mit großem Brimborium und 117 Millionen Euro | |
deutschem Steuergeld die nächste UN-Klimakonferenz. Gleichzeitig bröckeln | |
beim selbsternannten „Vorreiter im Klimaschutz“ unter „Klimakanzlerin“ | |
Angela Merkel die deutschen Klimaziele und der politische Konsens in dieser | |
Frage. Das hat mit den Rechtspopulisten von Gauland bis Trump zu tun, die | |
fröhlich die Grundrechenarten als Fake News abtun, wenn ihnen die | |
Ergebnisse nicht passen. Aber es liegt auch an einer Mutlosigkeit der | |
Regierung Merkel, mit ernsthaften Maßnahmen endlich Klarheit für | |
Investoren, Beschäftigte und Steuerzahler zu schaffen. | |
Es ist kein Zufall, dass die Konferenz in Bonn stattfindet. Deutschland hat | |
mit viel diplomatischem Einsatz und noch mehr Geld die Ansiedlung des | |
UN-Klimasekretariats am Rhein erreicht. Der deutsche Einsatz für | |
Klimaschutz und weltweite Energiewende ist groß und wird überall gebührend | |
gelobt: Merkels Durchbruch auf dem [2][G7-Treffen in Elmau], der das | |
Pariser Abkommen vorbereitete; Milliardenhilfen für Klimaschutz in armen | |
Ländern; die globale Solarrevolution, die Deutschlands Subventionen | |
angeschoben haben. Und die [3][deutsche Energiewende] zeichnet vor, wie | |
eine Abkehr von Kohle, Öl und Gas aussehen könnte. | |
Könnte. Wäre da nicht das „Energiewende-Paradox“: Jedes Jahr zahlen wir 25 | |
Milliarden Euro für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber obwohl | |
inzwischen ein Drittel des Stroms aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse | |
kommt, sinken unsere CO2-Emissionen kaum, weil die Braunkohlekraftwerke | |
kräftig weiterrauchen. Diesen Widerspruch nutzt inzwischen genüsslich die | |
US-Regierung unter Donald Trump als Argument gegen eine weltweite | |
Energiewende. | |
Es gibt noch ein weiteres Paradox: [4][Weil wir glauben, dass wir | |
Klimavorreiter sind, passiert so wenig bei uns]. Das Thema Klimaschutz wird | |
zwar in allen Umfragen als wichtig erkannt, in der Prioritätenliste der | |
Politik ist es immer weiter nach hinten gerutscht. Alle ruhen sich auf den | |
Lorbeeren der Vergangenheit aus – und sind beruhigt, denn „wir haben ja | |
Paris“. Dort aber ist nur beschlossen worden, dass wir das Problem angehen | |
wollen – was nicht heißt, dass wirklich etwas passiert. Es ist, als würde | |
man sich gleich nach dem Start eines Marathonlaufs selbstzufrieden unter | |
die Dusche stellen, weil ja alles erreicht ist. | |
## Zynische Logik | |
Tatsächlich gibt es ein paar echte Skandale in der deutschen Klimapolitik. | |
Bei den Jamaika-Verhandlungen etwa tun FDP, Union und viele Medien so, als | |
handele es sich beim Klimaschutz um ein grünes Partikularinteresse. Die | |
zynische Logik heißt: Wollen die Ökos beim Klima etwas durchsetzen, müssen | |
sie dafür ihr politisches Kapital einsetzen. Das ist falsch: Klimaschutz | |
ist eine Aufgabe für alle. Der Bundestag hat dieses Ziel deshalb seit 1987 | |
einmütig unterstützt. Und die aktuellen Klimaziele der Bundesregierung | |
wurden nicht etwa von einem grünen Kanzler erlassen – sondern von den | |
Regierungen Merkel. | |
Um die Blockaden in der deutschen Klimapolitik zu lösen, ist jetzt vor | |
allem das Parlament gefragt. Wir brauchen endlich ein Klimaschutzgesetz, | |
das die Ziele und die Wege dahin festschreibt und sie nicht zum Spielball | |
wechselnder Mehrheiten und Konjunkturen macht. | |
Der Eiertanz um die von der Industrie abgeschossene „Klimaabgabe“ von | |
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und den mühsam zusammengestoppelten | |
„Klimaschutzplan“ von Umweltministerin Barbara Hendricks zeigt, wie es | |
nicht geht. Die Volksvertreter müssen selbstbewusst und am besten im | |
Konsens festlegen, wie Deutschland seinen Weg zum Ende des Einsatzes | |
fossiler Energieträger geht. | |
Wichtig dabei: Die echte schwarze Null. Spätestens 2050, am besten deutlich | |
früher, darf Deutschland kein menschengemachtes Kohlendioxid mehr | |
emittieren. Bisher sehen die offiziellen Planungen vor, 2050 immer noch 5 | |
bis 15 Prozent des CO2-Ausstoßes von 1990 zu erlauben. Das hat dazu | |
geführt, dass alle, die ihre Emissionen nicht reduzieren wollen, dieses | |
letzte Schlupfloch für sich reklamieren. Verkehr, Braunkohle, | |
Landwirtschaft, Industrie: Alle begründen ihre mangelnde Bereitschaft zu | |
ernsthaften Schritten damit, es sei ja noch Platz für ein paar Emissionen. | |
Eine stringente Klimapolitik zu entwerfen ist machbar. Relativ einfach ist | |
zu errechnen, wie viel Kohlenstoffbudget Deutschland noch zusteht, wenn die | |
weltweiten CO2-Emissionen „in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf | |
Null gehen sollen“, wie wir uns im Pariser Abkommen vorgenommen haben. Da | |
lassen sich die Zwischenstationen für 2020, 2030 und 2040 leicht ziehen. | |
## Mindestpreis von 30 Euro pro Tonne CO2 | |
Genau so hat es Großbritannien gemacht, mit einem Climate Change Act von | |
2008 und einer unabhängigen Climate Change Commission, die Regierung und | |
Parlament regelmäßig die Leviten liest. Der Erfolg? Großbritannien ist | |
deutlich weiter beim Abschied von Kohle und Öl als wir angeblichen | |
Klimastreber. | |
Der neue Bundestag muss auch endlich die absurden umweltschädlichen | |
Subventionen von jährlich 58 Milliarden Euro abbauen. Steuergeld für | |
Klimakiller und Umweltzerstörer wie den Diesel, Kerosin oder die | |
industrielle Landwirtschaft auszugeben bedeutet, öffentliches Vermögen zu | |
veruntreuen. | |
Schwieriger, aber fast noch wichtiger ist die Einführung eines | |
Mindestpreises für CO2. Wer sich wie die FDP dagegen sträubt und auf den | |
Europäischen Emissionshandel verweist, der hat den Anschluss an die Debatte | |
verloren. Denn schon in den nächsten Wochen wird sich die EU auf den | |
Kompromiss zum Emissionshandel einigen, der diese Debatten bis 2030 | |
beendet. | |
Als logische Folge daraus muss Deutschland zusammen mit Frankreich und | |
skandinavischen Staaten einen Mindestpreis von etwa 30 Euro pro Tonne CO2 | |
einführen. Das macht endlich den Klimaschmutz zum Kostenfaktor in den | |
Bilanzen von Unternehmen, Banken und Analysten. Wie die Industrie dann am | |
besten das Klimagift vermeidet, das entscheidet dann – hergehört, FDP! – | |
der Markt. | |
Dringend muss sich das Parlament einem Ausstieg aus der Braunkohle widmen. | |
Dabei dürfen die Beschäftigten nicht ins Leere fallen und den betroffenen | |
Regionen (vor allem der Lausitz) muss mit Geld, Infrastruktur und guten | |
Ideen wieder auf die Beine geholfen werden. Brauchbare Vorschläge dazu gibt | |
es, zum Beispiel von dem Thinktank Agora Energiewende. | |
## Deutschland ist Vorbild | |
Der Bundestag muss in die Entscheidungen der zuständigen Kommission | |
eingebunden sein. Es gilt: Wir Deutsche können Ausstieg. Wir haben ihn beim | |
Steinkohlebergbau und beim Atom hinbekommen, wir werden auch das viel | |
kleinere Problem der Braunkohle lösen. Der Rest der Welt schaut neugierig | |
darauf, was sich das reiche Deutschland hier einfallen lässt. Denn wer in | |
China, Russland oder Indien Kohlegruben schließen und Kraftwerke vom Netz | |
nehmen muss, der sucht nach Vorbildern, wie solche Verwerfungen halbwegs | |
akzeptabel zu managen sind. | |
Damit nicht genug. Denn ein echter Umstieg auf Ökostrom wird dazu führen, | |
dass viel mehr grüne Elektrizität gebraucht wird. Die Ausbauziele für die | |
Erneuerbaren müssen also radikal nach oben korrigiert werden, wenn | |
demnächst auch Autos, Heizungen und Industrieprozesse „dekarbonisiert“ | |
werden sollen, also ohne Kohle, Öl und Gas auskommen müssen. Das heißt: | |
eine weitere Reform des EEG, des Netzausbaus, der Förderung von Speichern | |
und endlich mal eine ernst gemeinte und umgesetzte Strategie zum | |
Energiesparen. | |
Und damit die bitteren Pillen gerecht verteilt werden, müssen sich | |
Klimaschützer in Behörden, Parlamenten und Umweltverbänden damit | |
anfreunden, dass über die Abscheidung und Einlagerung von CO2 aus Biomasse | |
(dem sogenannten BECS) ernsthaft und mit Nachdruck geforscht werden muss. | |
Die Temperaturziele von Paris, „deutlich unter zwei Grad und mit Blick auf | |
1,5 Grad“ gehen sonst sofort in Rauch auf. So viel Ehrlichkeit muss auch | |
die Umweltbewegung aufbringen. | |
Die Entscheidungen kann nicht die Bürokratie treffen. Diese Debatten muss | |
das Parlament führen. Dabei werden die Fetzen fliegen, denn zum ersten Mal | |
sitzt mit der AfD eine Fraktion im Parlament, die den Klimawandel nicht für | |
eine naturwissenschaftliche Tatsache, sondern für linke Spinnerei hält. Die | |
anderen Fraktionen sollten die Gelegenheit zu einer solchen Konfrontation | |
mit den Populisten begrüßen. Im Plenum können sie zeigen, dass das Denken | |
von vorgestern die Probleme von heute nicht löst, sondern ignoriert. | |
Zugegeben, da wartet eine Menge Arbeit. Aber wenn die Abgeordneten wissen | |
wollen, warum gerade der 19. Deutsche Bundestag diese Entscheidungen | |
treffen muss, sollten sie den Klimawissenschaftler ihres Vertrauens fragen. | |
Der wird ihnen vorrechnen, dass Handeln lange überfällig ist. Denn ob die | |
Welt den Klimawandel eindämmt, entscheidet sich in dieser | |
Legislaturperiode. Wenn nicht in den nächsten vier Jahren in den | |
wichtigsten Industrieländern die Trendwende zu mehr Klimaschutz kommt, | |
werden überall die Schäden durch Stürme, Dürren und Überschwemmungen weiter | |
zunehmen. Das kann den Parlamentariern nicht egal sein. Bedroht ist | |
schließlich Deutschland genau so wie Jamaika. | |
5 Nov 2017 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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