# taz.de -- Protest vor der Weltklimakonferenz: Multilingual in die Grube | |
> Internationale KlimaaktivistInnen besetzen zu Tausenden eine Kohlegrube. | |
> Es ist die größte gelungene Blockadeaktion. | |
Bild: DemonstrantInnen dringen in den Tagebau Hambach ein | |
BONN/BUER/MORSCHENICH taz | Gegen 12 Uhr am Sonntagmittag sind die | |
BraunkohlegegnerInnen nicht mehr zu stoppen: Tausende KlimaaktivistInnen | |
stürmen in Richtung des Tagebaus Hambach bei Köln. Die Polizei versucht, | |
die UmweltschützerInnen abzudrängen, setzt dabei Pfefferspray und auch | |
Schlagstöcke ein – doch mindestens 3.000 Menschen erreichen die gewaltigste | |
Grube, die die riesigen Radschaufelbagger des Stromkonzerns RWE in die Erde | |
des Rheinischen Braunkohlereviers gefressen haben: 85 Quadratkilometer ist | |
das Loch groß – und bis zu 370 Meter tief. | |
Dies ist das Symbolfeld eines großen Kampfes, um den es geht, wenn an | |
diesem Montag die Weltklimakonferenz mit ihren 20.000 Delegierten aus allen | |
Ländern der Welt im nur 50 Kilometer entfernten Bonn beginnen wird. Diese | |
Grube ist gewissermaßen eine Zukunftsfrage. | |
Im Tagebau klebt rotbrauner Matsch zentimeterdick an den Schuhen. Nachdem | |
es die ganze Nacht geregnet hat, ist der Boden noch völlig aufgeweicht. | |
Jetzt aber bieten sich den KlimaaktivistInnen in der | |
Braunkohle-Mondlandschaft gigantische, fast surreale Anblicke: 95 Meter | |
hoch ist der größte Bagger im Tagebau Hambach. Begrenzt wird der Grubenrand | |
von der kahlen Abraumkippe Sophienhöhe, die die ansonsten briefmarkenflache | |
Bördelandschaft um 200 Meter überragt. | |
„Wir sind mitten im Tagebau Hambach – genau an dem Ort, an dem das Klima | |
zerstört wird“, sagt Insa Vries vom Bündnis „Ende Gelände“, das die | |
Proteste am Tag organisiert hat: „Während die deutsche Regierung in den | |
nächsten beiden Wochen verkünden wird, dass wir das Energiewende-Land | |
Nummer eins sind, ist das hier die Realität der Klimapolitik der | |
Bundesrepublik.“ Zumindest damit, das lässt sich schwer bestreiten, hat | |
Insa Vries nicht ganz unrecht. | |
## 250.000 Tonnen Braunkohle täglich | |
Denn nichts ist so klimaschädlich wie die Braunkohleverstromung: Knapp 80 | |
Millionen Tonnen des für die Erderwärmung verantwortlichen Treibhausgases | |
Kohlendioxid haben die vier RWE-Großkraftwerke Neurath, Niederaußem, | |
Weisweiler und Frimmersdorf allein 2016 in die Atmosphäre geblasen. An | |
jedem einzelnen Tag verheizt der Konzern mit Hauptsitz in Essen dazu | |
250.000 Tonnen Braunkohle, die aus den umliegenden firmeneigenen Tagebauen | |
Garzweiler, Inden und eben hier aus Hambach stammen. | |
Doch der Protest gegen die Umweltzerstörung wächst: [1][Schon als am | |
Samstag] die großen Umweltorganisationen zur Demonstration rufen, kommen | |
nach Veranstalterangaben mehr als 25.000 Menschen, um gegen die | |
Kohleverbrennung zu demonstrieren. Dazu aufgerufen hatten mehr als 100 | |
Naturschutz- und Menschenrechtsorganisationen. Ann-Kathrin Schneider vom | |
BUND spricht danach von der „größten Klimademonstration, die es in | |
Deutschland je gab“. | |
Auch am Sonntagmorgen sind Freude und Jubel groß, als eine Aktivistin zu | |
Beginn der „Ende Gelände“-Aktion von einem Lautsprecherwagen aus die Zahl | |
der DemonstrantInnen durchgibt: Rund 4.500 Menschen sind in das Dorf | |
Kerpen-Buir gekommen, sorgen so im Laufe des Tages bei ungemütlichem | |
Novemberwetter für die größte Blockadeaktion, die dem Bündnis je gelungen | |
ist. | |
Von Buir ziehen sie in einem kilometerlangen Protestzug nach Morschenich: | |
Bis 2024 soll der noch knapp 400 EinwohnerInnen zählende Weiler devastiert | |
werden. Das bedeutet: Die Bauwerke müssen weichen, damit gebaggert werden | |
kann. Schon heute stehen viele der Häuser leer und zerfallen. Wie schon | |
mehr als 40 Orte zuvor wird Morschenich langsam zum Geisterdorf. | |
## Englisch, spanisch, italienisch | |
Lautstark fordern die AktivistInnen immer wieder „Climate Justice“ – | |
Klimagerechtigkeit. „Was glaubt ihr, was hier los wäre, wenn alle wüssten, | |
was hier los ist“, steht auf einem der Transparente. Andere werben für den | |
Ausstieg aus RWE-Aktien. | |
Auffällig dabei: Die Bewegung ist international. Die UmweltschützerInnen, | |
die am Sonntag die Grube erstürmen, reden englisch ebenso | |
selbstverständlich wie deutsch. Andere Kohlegegnerinnen sprechen spanisch, | |
italienisch, niederländisch. | |
Vor der [2][am Montag in Bonn beginnenden UN-Klimakonferenz] ist auch das | |
Interesse internationaler Medien groß: Neben Nachrichtenagenturen und | |
Zeitungen sind nicht nur die großen deutschen Sender ARD, ZDF und RTL vor | |
Ort: JournalistInnen sind auch aus China, Italien, Spanien ins Rheinische | |
Revier gekommen. | |
Und bereits am Sonntagmorgen demonstrieren die „Pacific Climate Warriors“ | |
im verlassenen Geisterdorf Kerpen-Manheim gegen den drohenden Untergang | |
ihrer Inseln: „Deutschlands Kohleabbau exportiert Zerstörung in den Pazifik | |
und die Welt“, sagt der von den Fidschi-Inseln stammende Klimaaktivist | |
George Nacewa. Unterstützung kommt auch von Grünen und Linkspartei. | |
Sabine Leidig, Beauftragte für soziale Bewegungen der Bundestagsfraktion | |
der Linken, sieht sich ausdrücklich nicht als Beobachterin, sondern als | |
teilnehmende Demonstrantin. „Ich bin natürlich aufgeregt“, sagt die | |
Abgeordnete, „aber wir als Linkspartei unterstützen diese gewaltfreie | |
Aktion zivilen Ungehorsams.“ Später schafft es auch Leidig in die Grube, | |
bekommt Pfefferspray ab. „Wer hier herkommt, blutet“, habe ihr ein Polizist | |
zugerufen, erzählt sie. | |
## Bagger außer Betrieb | |
Für die Grünen sind NRW-Landesparteichefin Mona Neubaur und der aus dem nur | |
10 Kilometer entfernten Düren stammende Klimaexperte Oliver Krischer da. | |
Der Bundestagsabgeordnete macht den Tagebaubetreiber RWE seit Jahren nicht | |
nur für die Erderwärmung, sondern vor Ort auch für die Zerstörung des | |
ökologisch einzigartigen Hambacher Waldes verantwortlich. | |
Auch einige AnwohnerInnen solidarisieren sich an diesem Sonntag mit dem | |
Protest. „Der Kampf gegen den Klimawandel ist richtig“, sagt etwa Marianne | |
Loevenich, die in Morschenich noch auf einem Hof in Sichtweite der | |
Braunkohlebagger wohnt. Gerade für ihren Mann sei die anstehende Umsiedlung | |
ins Retortendorf „Morschenich neu“ schwer, erzählt sie: „Der lebt seit 60 | |
Jahren hier, hat nie woanders gewohnt.“ | |
Im Tagebau geht unterdessen der Protest weiter. Die Polizei setzt | |
Pfefferspray ein, RWE nimmt zwei Großbagger aus dem Betrieb. Der goldene | |
und der grüne „Finger“ von „Ende Gelände“ haben einen ersten Bagger | |
erreicht, der orange „Finger“ nähert sich einem weiteren. | |
Die restriktive Strategie des Aachener Polizeipräsidenten Dirk Weinspach, | |
der den AktivistInnen den Aufbau jeder Form eines Protestcamps untersagt | |
hat, ist gescheitert. Aus der Grube heulen heute stundenlang die | |
Warnsirenen. | |
5 Nov 2017 | |
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[1] /Anti-Kohle-Demo-vor-dem-Klimagipfel/!5460174 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Andreas Wyputta | |
Bernhard Pötter | |
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