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# taz.de -- 40 Jahre Öko-Institut Freiburg: Von Midlifecrisis keine Spur
> Das Öko-Institut liefert der Umweltbewegung Fakten und Argumente – und
> legt sich auch mit ihr an. Am Anfang ging es nur um den Bau eines AKW.
Bild: Die Bauplatzbesetzung in Wyhl 1975 gilt nicht nur als Wiege der Anti-AKW-…
Berlin taz | Am Anfang war die Erkenntnis: So sind wir denen nicht
gewachsen. „Wir wollten uns mit aller Macht auf Augenhöhe bringen mit der
Gegenseite“, sagt Rainer Beeretz, Rechtsanwalt und Mitbegründer des
[1][Öko-Instituts in Freiburg]. Gemeinsam mit anderen bekämpfte er Mitte
der 70er Jahre den Bau eines Kernkraftwerks in Wyhl. Am schönen Kaiserstuhl
hatte die baden-württembergische Landesregierung ein Atomkraftwerk mit zwei
Reaktorblöcken geplant – und dabei ihre Rechnung ohne die Bürgerinnen und
Bürger gemacht. Ihr so zäher wie kreativer und friedlicher Protest gilt als
Ursuppe der deutschen Anti-AKW-Bewegung, von Bürgerinitiativen und
Umweltgruppen, auch die Grünen haben hier einen ihrer Ursprünge.
Schließlich rangen die Gegner des Kraftwerks der Regierung Filbinger einen
Gerichtsprozess ab, in dem über die Genehmigung des Baus entschieden werden
musste. „Das Gericht hatte 100 Fragen vorbereitet, mit Sachverständigen“,
sagt Anwalt Beeretz, „wir hatten keine Sachverständigen, die für die
Gerichte satisfaktionsfähig“ gewesen wären. Aus dieser „Wissenschaftsnot�…
heraus ist am 5. November 1977 der Verein gegründet worden, der das
Öko-Institut noch heute trägt.
Nicht in einer Garage, aber immerhin in einem Keller der Privatwohnung des
Anwalts und Wyhl-Gegners Siegfried de Witt begannen die ersten Mitarbeiter,
mit wissenschaftlichen Methoden zu Atomkraft und erneuerbaren Energien zu
forschen, später zu Ressourcenschonung, Umweltgiften, Gentechnik oder
nachhaltigem Konsum.
Für den Umwelthistoriker Joachim Radkau liegt die Gründung des ökologisch
orientierten wissenschaftlichen Instituts ganz in der Logik der
Umweltbewegung selbst: Diese sei in ihrem Kern eben keine bloße
Protestbewegung, nicht der Ausbruch von Angst gewesen, sondern eine neue
Aufklärung mit rationaler Basis. Sie war nicht nur durchdrungen von
Wissenschaftlern, sondern auch hungrig nach wissenschaftlicher Erkenntnis.
„Wir sind genauso gut, wir können genauso viel“, beschreibt Beeretz die
damalige Stimmung, „nur haben wir noch ne richtige Haltung.“
## Politisch oder wirtschaftlich umstrittene Themen
Und heute? „Wir arbeiten vor allem an Themen, bei denen ein größerer Wandel
in der Gesellschaft ansteht“, sagt Rainer Grießhammer, „etwa bei der
Energiewende, der Verkehrswende oder einer nachhaltigen Rohstoffnutzung“.
Chemiker Grießhammer, 64, seit 30 Jahren beim Öko-Institut, bestimmt als
Mitglied der Geschäftsführung dessen Geschicke seit Langem wesentlich mit.
Die Herausforderung für die MitarbeiterInnen im Arbeitsalltag sei, „dass
wir meist zu politisch oder wirtschaftlich umstrittenen Themen arbeiten“,
sagt Grießhammer, Themen wie die Mediation zum Flughafen Frankfurt am Main,
die Endlagersuche für den deutschen Atommüll, den Ausbau des Stromnetzes
und den Ausstieg aus der Braunkohle, Rohstoffabbau im Kongo oder
Elektronikschrottentsorgung in Ghana oder die Bewertung von Chemikalien
nach dem EU-Chemikaliengesetz oder der Richtlinie für Elektroprodukte und
-schrott.
Wie die Grünen und viele Umweltorganisationen auch, ist das Öko-Institut
heute nicht mehr am links-ökologischen Rand verortet, sondern mitten im
diskursiven Mainstream einer Republik, die sich als „grüne Industrienation“
versteht. 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Standorten Freiburg,
Darmstadt und Berlin in fast 400 nationalen und internationalen Projekten
jährlich, im Auftrag von Regierungen, Parteien, Organisationen,
Unternehmen.
Geld kommt im Wesentlichen durch Projektfinanzierung herein – eine
Grundausstattung durch die öffentliche Hand gibt es nicht, auch an Mittel
der Deutschen Forschungsgemeinschaft kommt das Öko-Institut nur im Verbund
mit Universitäten heran. Die energie- und ressourcenpolitischen Debatten
bestimmt das Institut trotzdem mit. Schon in den 80ern prägte es den
Begriff der „Energiewende“, lieferte Umweltorganisationen wie dem WWF oder
Greenpeace die wissenschaftliche Grundlage für ihre Forderungen nach einem
klimaneutralen Energiesystem bis 2050, dem möglichen Kohleausstieg in
Ostdeutschland, oder ganz aktuell, für die Rohstoffgrundlage einer auf
Elektroautos basierenden Mobilität. Aufschwung, Aufmerksamkeit und Geld
fließen dem Institut immer dann zu, wenn es irgendwo knallt: in Tschernobyl
etwa, in Fukushima oder bei Sandoz am Rhein.
## Es gibt auch „Grün-Grün-Konflikte“
Doch wie das so ist, im „Recycling-Weltmeister“ und „Klima-Anführer“
Deutschland, sobald es ans Eingemachte, also an die Geschäftsgrundlage der
klassischen Industrie geht, wird es dann doch ungemütlich. „Da haben wir
automatisch viel Gegenwind“, so Grießhammer, „da wird jede Berechnung oder
Bewertung schärfer überprüft als bei jedem Peer-Review-Journal.“ Allerdings
legen sich die Freiburger nicht nur mit der Industrie an, mittlerweile gebe
es „sogenannte ‚Grün-Grün-Konflikte‘, und wir vertreten beispielsweise …
der Windkraft oder dem Netzausbau andere Positionen als manche
Bürgerinitiativen“, sagt Grießhammer.
Auch im Wissenschaftssystem selbst steht das Öko-Institut im Zentrum einer
heftigen Debatte über das Selbstverständnis von Forschung. Ist
wissenschaftliche Erkenntnis ein Wert an sich, oder muss sie im engen
Dialog mit der Gesellschaft dazu beitragen, deren Probleme zu lösen?
Unter dem Schlagwort „nachhaltige Wissenschaft“ liefern sich die Vertreter
beider Denkschulen dazu seit einigen Jahren einen heftigen öffentlichen
Schlagabtausch, personifiziert in dem Präsidenten des vom Land NRW
grundfinanzierten Wuppertal-Instituts, Uwe Schneidewind, der als
beurlaubter Professor der Uni Wuppertal kaum Rücksicht auf potenzielle
Auftraggeber nehmen muss, und seinem Kontrahenten Peter Strohschneider,
Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Historiker an der Uni
München.
## „Gesellschaftsorientierte Wissenschaft“
In Vorträgen, Zeitungsartikeln und Tweets streitet Schneidewind für eine
Wissenschaft, die „gesellschaftliche Transformationsprozesse nicht nur
begleitet, sondern diese selbst mit anstößt und als Katalysator dient“. Das
Öko-Institut sieht er als „Pionier und Ikone einer solchen,
gesellschaftsorientierten Wissenschaft“. Hubert Weiger, Vorsitzender des
Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschlands, formuliert den Wunsch nach
einer „gesellschaftsorientierten Wissenschaft, die sich frei von
wirtschaftlichem Interesse und im engen Austausch mit der Zivilgesellschaft
zentralen Fragen und Lösungen widmet. Das Öko-Institut sollte deshalb nicht
die Ausnahme, sondern der Regelfall der deutschen Wissenschaft werden.“ Ein
Albtraum, vermutlich, für Strohschneider. Er sieht einen „totalisierenden
Nachhaltigkeitsutilitarismus“ am Werk, „der sich unter neuer
wissenschaftlicher Erkenntnis nichts vorstellen kann, als was er derzeit
für relevant hält“. Forschung müsse pluralistisch organisiert und
finanziert werden, forderte Strohschneider auf einer Tagung der großen
Wissenschaftsvereinigung Leopoldina im vergangenen Jahr.
In dieser großen öffentlichen Kontroverse hält sich das Öko-Institut
weitgehend zurück, arbeitet aber im Hintergrund effizient an anderen
Strukturen mit, etwa im Forschungsverbund der freien gemeinnützigen
Institute, Ecornet (Ecological Research Network), sitzt in Kommissionen für
Nachhaltige Wissenschaft auf Bundes- und Landesebene. „Natürlich gibt es
einen erheblichen Änderungsbedarf im Wissenschaftssystem“, urteilt
Grießhammer, „zum Beispiel bei der Finanzierung, bei der praxisfernen und
absurd einseitigen Ausrichtung an Veröffentlichungen in hoch eingestuften
Peer-Review-Journals oder dem oft nur rhetorischen Bekenntnis zur
transdisziplinären Methodik“. Da werde in einem dreijährigen Projekt schon
mal ein halbtägiger Workshop mit Praxisvertretern als adäquater Einbezug
der Praxis gewertet.
So ganz trennscharf sind die Konfliktlinien zwischen der „etablierten“
Wissenschaft und „ökologischen Outsidern“ heute nicht mehr.
Forschungsverbünde wie die Fraunhofer-Gesellschaft oder die
Leibniz-Gemeinschaft suchen nach Relevanz ihrer Arbeit auch in Konzepten
„nachhaltiger Wissenschaft“, und das Öko-Institut arbeitet in zahlreichen
Kooperationen mit ihnen sowie mit Universitäten zusammen; Rainer
Grießhammer hat eine Honorarprofessur an der Uni Freiburg. Auf Augenhöhe
mit der etablierten Wissenschaft befindet man sich längst; und die
„Gegenseite“ ist in Zeiten schwarz-grün-gelber Koalitionen, in denen
Autokonzerne Teil der Mobilitätswende sind und die Digitalisierung die
Hierarchien zwischen Konsumenten und Produzenten womöglich auflöst, viel
schwerer auszumachen als früher.
Was das Öko-Institut aber noch immer besonders macht und ihm seine Relevanz
verleiht, ist die Motivation seiner Gründer, die sich in der
Gründungserklärung findet: „Der Kampf für eine menschenwürdige Zukunft [�…
verlangt von uns eine positive Antwort auf die Frage, wie wir leben
wollen.“ Eine gute Frage für den 40. Geburtstag.
2 Nov 2017
## LINKS
[1] http://40.oeko.de/zeitreise/
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
AKW
Besetzung
Forschung
Energiespeicher
Schwerpunkt Atomkraft
Klima
E-Autos
Akku
G20-Gipfel
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