| # taz.de -- Niedersachsens Agrarminister Meyer: „Es kommt auf uns Grüne an“ | |
| > Mit einer rechtsgewandten, nationalistischen CDU wie in Niedersachsen | |
| > haben die Grünen aus Sicht von Christian Meyer keine Gesprächsbasis. | |
| Bild: Findet die niedersächsische CDU sozial und ökologisch rückständig: Ch… | |
| taz: Herr Meyer, machen Sie eigentlich CDU-Agrarpolitik? | |
| Christian Meyer: Nein. Wir setzen eine fortschrittliche grüne Agrarpolitik | |
| um. Wenn Sie auf den Tierschutzplan anspielen, den mein Amtsvorgänger Gert | |
| Lindemann aufgesetzt hatte … | |
| CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann hat das so hervorgehoben, ja. | |
| Dieser Plan war in der CDU höchst umstritten. Wir haben diesen Plan, der | |
| ehrgeizige Ziele formuliert hat, ernst genommen und sind dabei auf heftige | |
| Gegenwehr der CDU gestoßen: Die hat im Landtag jede einzelne | |
| Tierschutzmaßnahme abgelehnt. Nicht dank, sondern trotz der CDU behält in | |
| Niedersachsen seit Anfang des Jahres jedes Huhn seinen Schnabel. | |
| Im Konsens mit den Haltern, wie Lindemann damals plante? | |
| Nein, wir haben das auch ordnungsrechtlich durchgesetzt. Schnabelkürzen ist | |
| in Niedersachsen verboten. Wir haben alle Enten mit Wasserzugang versorgt. | |
| Wir haben den höchsten Anteil von Schweinen mit intakten Ringelschwänzen | |
| von allen Bundesländern. Und wir wollen jetzt die Sau beim Kastenstand | |
| rauslassen. Auch durch das Klagerecht für anerkannte Tierschutzverbände hat | |
| diese Landesregierung den Tierschutz auf ein neues Niveau gehoben – durch | |
| Maßnahmen, die die CDU nicht wollte: Jeden einzelnen Fortschritt fürs | |
| Tierwohl hat sie bekämpft. | |
| Althusmann schreibt sie sich jetzt trotzdem auf die Fahnen und behauptet | |
| sogar, die Halbierung des Antibiotikaeinsatzes in Niedersachsen habe | |
| Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) bewirkt. War die denn ein | |
| Unions-Anliegen? | |
| Nichts dergleichen. Die Union hat immer versucht, zu verheimlichen, wie | |
| viele Antibiotika in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Noch bis heute | |
| ist Schmidt der Ansicht, ich dürfte die niedersächsischen Zahlen nicht | |
| veröffentlichen, und will mir einen Maulkorb verpassen. Ich nenne sie aber | |
| trotzdem – und siehe da: Die Reduzierung um 50 Prozent ist seit 2014 in | |
| meiner Amtszeit passiert und erst seit wir die Zuständigkeit für die | |
| Antibiotikaminimierung und Kontrollen gegen hartnäckigen Widerstand der CDU | |
| beim Landesamt für Verbraucherschutz, dem Laves, angesiedelt haben. Dafür | |
| haben wir dort neue Stellen geschaffen. Und dafür kontrollieren wir jedes | |
| Jahr den Antibiotikaeinsatz und die Tierhaltung in mehreren tausend | |
| Betrieben. Es ist hanebüchen, die Halbierung des Antibiotikaeinsatzes, die | |
| von den niedersächsichen Bauern gemeinsam mit engagierten | |
| Laves-MitarbeiterInnen in meiner Amtszeit erreicht wurde, der | |
| Vorgängerregierung oder gar dem nichtstuenden Bundesagrarminister anrechnen | |
| zu wollen. | |
| Schade. Denn, wenn das alles Maßnahmen im Sinne der CDU gewesen wären, dann | |
| wäre in der Agrarpolitik der Weg zur Jamaika-Koalition kurz. Aber das ist | |
| nicht so? | |
| Die CDU redet mit gespaltener Zunge. Sie war vor ein paar Jahren auch | |
| einmal für eine sanfte Agrarwende gewesen … | |
| … als Gert Lindemann die Putenbrüterin Astrid Grotelüschen auf dem | |
| Ministerposten abgelöst hatte. | |
| Man wollte eine Fleischabgabe einführen, man wollte das Verstümmeln von | |
| Tieren beenden. Jetzt dagegen kündigt Schattenumweltminister Frank | |
| Oesterhelweg massive Rückschritte an. Er will das neue Düngerecht nicht | |
| mehr umsetzen, Großschlachthöfe und die industrielle Massentierhaltung | |
| fördern: Dabei wäre es doch dringende Aufgabe eines Umweltministers, unser | |
| Grundwasser zu schützen! Die CDU kämpft gegen Obergrenzen bei Ställen. Und | |
| sie will das Baurecht für industrielle Mastanlagen erleichtern, wie es in | |
| Nordrhein-Westfalen auf dem Programm der schwarz-gelben Regierung steht. | |
| Ich fürchte, die CDU will auch hier das Rad der erfolgreichen Agrarwende | |
| zurückdrehen, die auf mehr Tierschutz und eine umweltverträgliche | |
| Landwirtschaft setzt. Als Schutzpatronin der Agrarchemielobby gebärdet sie | |
| sich auch im Landtag, und aus dem Grund hat sie mich als Hauptfeind | |
| auserkoren. | |
| Gerade wenn man die Koalitionsverträge von Kiel und Düsseldorf vergleicht, | |
| wirkt es, als könnte eine Jamaika-Koalition ein solches Rollback | |
| verhindern. | |
| Das ist nicht falsch. Dafür bedürfte es aber auch einer CDU, die wenigstens | |
| im Ansatz so aufgestellt ist wie die in Schleswig-Holstein. Der jetzige | |
| Ministerpräsident Daniel Günther hatte schon im Wahlkampf mit Professor | |
| Friedhelm Traube einen Schattenagrarminister aufgestellt, der eher die | |
| Verschärfung, mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit für die Landwirtschaft | |
| forderte. Robert Habeck hatte dessen Nominierung damals zu Recht als | |
| Kapitulation der alten CDU-Agrarpolitik bezeichnet. Bloß die | |
| Niedersachsen-CDU ist nicht die CDU in Schleswig-Holstein. Sie ist | |
| Befürworter des Höfesterbens und deutlich rückwärtsgewandter. | |
| Nur in der Agrarpolitik? | |
| Nein, auch in anderen Politikfeldern kann ich mir eine Jamaika-Koalition in | |
| Niedersachsen beim besten Willen nicht vorstellen. Die CDU will für mehr | |
| Abschiebungen sorgen, sie plant soziale Rückschritte, der rechtsnationale | |
| Braunschweiger CDU-Landesvorsitzende Oesterhelweg will nicht nur den Wolf, | |
| sondern auch Geflüchtete mit der Schusswaffe vertreiben. | |
| Es gibt also nicht einmal eine Gesprächsbasis? | |
| Nein, und ich bedauere das sehr: Mit einer solchen nach rechts gewandten | |
| sozial und ökologisch rückständigen CDU wie hier in Niedersachsen ist für | |
| uns keine Koalition vorstellbar. Und in dieser Frage sind wir uns auch alle | |
| einig, von Stefan Wenzel bis Anja Piel und von Meta Janssen-Kucz bis zu | |
| mir. | |
| Herr Althusmann versucht diese Differenzen an Ihnen festzumachen: Mit | |
| Umweltminister Wenzel und Kulturministerin Gabriele Heinen-Kljajic könne | |
| man ja reden, aber mit Ihnen …? | |
| Herrn Althusmann kann ich, ehrlich gesagt, nicht so ganz ernst nehmen. Der | |
| stellt ständig neue Forderungen, schließt mal grundsätzlich eine Koalition | |
| mit den Grünen aus, dann ist er bei gesunkenen Umfragen auf Brautsuche, | |
| aber nur mit dem Personal, das ihm gefällt – also ich weiß gar nicht, was | |
| der Wendehals eigentlich vorhat. Seine Schattenagrarministerin lobt mich, | |
| weil man mit mir eine vertrauensvolle Zusammenarbeit habe und will den | |
| Tierschutzplan fortsetzen. Sein Schattenumweltminister bekämpft mich und | |
| sagt, Dünge- und Wassergesetze brauchen Bauern nicht einhalten. Ich weiß | |
| nicht, wie viele Pirouetten er noch drehen muss, um zu sich selbst zu | |
| kommen. Fakt ist: Wir wollen mit starken Grünen Rot-Grün fortsetzen und | |
| nicht mit Herrn Althusmann ins Bett. Herr Althusmann muss hinnehmen, dass | |
| er immer unbeliebter wird, je mehr er von seinem Schattenkabinett und | |
| seinen Inhalten vorstellt. Bei der Bundestagswahl hatte die CDU in | |
| Niedersachsen die höchsten Verluste im ländlichen Raum. Wir Grünen sind | |
| stabil geblieben. | |
| Aber kommt die SPD Ihnen nicht abhanden? | |
| Ich bin sehr überzeugt, dass wir in Niedersachsen eine rot-grüne Mehrheit | |
| wieder erreichen können. Es gibt zur Landtagswahl deutlich bessere | |
| Prognosen als bei der Bundestagswahl und eine Jetzt-erst-recht-Stimmung. | |
| Wir haben mit der Energie- und der Agrarwende und einer humanen | |
| Flüchtlingspolitik auch etwas vorzuweisen. Niedersachsens Grüne haben | |
| keinen Asylverschärfungen zugestimmt und wir schieben nicht in | |
| Kriegsgebiete ab. Von daher gibt es klare Alternativen: Wer die Fortsetzung | |
| der Agrarwende will, muss Grün wählen. Die SPD ist zu jeder Zeit bereit, | |
| eine große Koalition zu machen. Es kommt auf uns Grüne an. | |
| Die FDP in Niedersachsen wirkt agrarpolitisch kompromissfähiger als die | |
| CDU, wie man bei der Abstimmung über die mobilen Hühnerställe beobachten | |
| konnte, die von der Union urplötzlich abgelehnt wurden. | |
| Das ist ein gutes Beispiel. Denn es war wirklich peinlich, wie die CDU die | |
| geplante Genehmigungserleichterung aus wahltaktischen Gründen versucht hat | |
| zu blockieren – nachdem sie die jahrelang selbst gefordert hatte: Die Folge | |
| einer erfolgreichen Blockade wäre gewesen, dass sich Hunderte von Bauern, | |
| statt in sehr tiergerechte, kleine Mobilställe zu investieren, weiterhin | |
| mit bürokratischen Baugenehmigungen hätten herumschlagen müssen. Das zeigt | |
| das wahre Gesicht der CDU-Agrarpolitik, der es weder um die Bauern geht | |
| noch um die Tiere. | |
| Aber der Plan der CDU ist gescheitert, weil die FDP im Landtag mit Ihnen | |
| für die Mobilställe gestimmt hat. Wäre, um weiter machtpolitisch | |
| nachzudenken, eine Ampelkoalition die wahrscheinlichere Konstellation? | |
| Uns ist inhaltlich die SPD am nächsten. Wir würden, wenn sie reinkommt, | |
| auch mit der Linkspartei sprechen: Da gibt es keine Ausschließeritis. Aber | |
| auch mit der FDP kann man sich Gespräche vorstellen. Die würden nicht | |
| einfach. Das ist keine Wunschvorstellung. Aber es stimmt, dass wir in | |
| manchen Fragen vom Bürokratieabbau in der Agrarpolitik über | |
| Flüchtlingspolitik bis zu den Bürgerrechten Überschneidungen haben. Da | |
| steht, anders als bei der CDU, mehr Sachlichkeit als ideologische | |
| Verbohrtheit. | |
| Die Agrarwende ist aber noch längst nicht vollendet? | |
| Das ist richtig. Wir haben einiges geschafft: Als ich ins Amt kam, waren | |
| noch Hunderte von Mastställen in Niedersachsen geplant, jetzt haben wir | |
| drei Millionen weniger Puten und Hühner, die Verbringung von Mist und Gülle | |
| wird besser kontrolliert, und wir haben die schlimmsten Quälereien, die | |
| Amputationen, beendet. Aber es muss noch viel getan werden. Jetzt geht es | |
| darum, wirklich artgerechte Ställe zu machen und Freilandhaltung | |
| durchzusetzen. Ich bin froh, dass auch viele Landwirte anerkennen, dass wir | |
| uns um sie kümmern und mit ihnen gemeinsam ihre Tierschutz- und | |
| Umweltschutzleistungen honorieren wollen. | |
| Das Erreichte steht bei der Wahl auf dem Spiel? | |
| Ja. Diese Landtagswahl entscheidet über die Zukunft der Landwirtschaft. | |
| Geht es wieder zurück in Masse, billig und Weltmarkt, oder schaffen wir die | |
| Wende zu einer Landwirtschaft der Zukunft. Dazu brauchen wir eine andere | |
| Verteilung der Agrarförderung. Wir wollen, dass kleine und mittlere | |
| Betriebe mehr bekommen, wir wollen ökologische Landwirtschaft und das | |
| Tierwohl fördern, wir wollen durch eine bessere Kontrolle der | |
| Gülleausbringung unsere Gewässer und das Grundwasser sauber bekommen, und | |
| wir wollen, dass die landwirtschaftlichen Böden möglichst in Bauernhand | |
| sind – und nicht in der Hand von fremden Investoren, die Landgrabbing | |
| betreiben. Dadurch legen wir uns durchaus mit der | |
| Massentierhaltungsindustrie, großen Schlachtkonzernen, dem | |
| agrarindustriellen Komplex an. Ob die gesellschaftliche Mehrheit für mehr | |
| Tierschutz und die Agrarwende sich bei der Landtagswahl durchsetzt oder die | |
| CDU das Rad zurückdrehen kann, das entscheidet sich am 15. Oktober. | |
| 29 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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